Reiser konnte bei der allgemeinen Verachtung der er als ein sogenannter Famulus des Rektors ausgesetzt war, sich nicht die mindeste Hoffnung machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte nicht eimal von irgend einem der Mitschüler ein Billet erhalten, um zuzusehn. Dieß schlug ihn mehr, als alles bisherige nieder -- bis er auf den Einfall kam, mit zwei bis dreien seiner Mit¬ schüler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬ sam eine Parthie der Mißvergnügten auszuma¬ chen, und auf deren Wohnstube bei einer kleinen Anzahl Zuschauer, eine Komödie besonders auf¬ zuführen. --
Hiezu wurde denn Philotas gewählt, wo Reiser einem andren, der die Rolle des Philotas schlecht machte, sie mit Geld abkaufte, und also nun den Philotas spielte.
Nun war er in seinem Elemente -- Er konn¬ te einen ganzen Abend lang, großmüthig, stand¬ haft, und edel seyn, -- die Stunden, wo er sich zu dieser Rolle übte, und der Abend, wo er sie spielte, waren von den seligsten seines Lebens -- obgleich das Theater nur ein schlechtes Zimmer mit weißen Wänden, und das Partere eine
Reiſer konnte bei der allgemeinen Verachtung der er als ein ſogenannter Famulus des Rektors ausgeſetzt war, ſich nicht die mindeſte Hoffnung machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte nicht eimal von irgend einem der Mitſchuͤler ein Billet erhalten, um zuzuſehn. Dieß ſchlug ihn mehr, als alles bisherige nieder — bis er auf den Einfall kam, mit zwei bis dreien ſeiner Mit¬ ſchuͤler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬ ſam eine Parthie der Mißvergnuͤgten auszuma¬ chen, und auf deren Wohnſtube bei einer kleinen Anzahl Zuſchauer, eine Komoͤdie beſonders auf¬ zufuͤhren. —
Hiezu wurde denn Philotas gewaͤhlt, wo Reiſer einem andren, der die Rolle des Philotas ſchlecht machte, ſie mit Geld abkaufte, und alſo nun den Philotas ſpielte.
Nun war er in ſeinem Elemente — Er konn¬ te einen ganzen Abend lang, großmuͤthig, ſtand¬ haft, und edel ſeyn, — die Stunden, wo er ſich zu dieſer Rolle uͤbte, und der Abend, wo er ſie ſpielte, waren von den ſeligſten ſeines Lebens — obgleich das Theater nur ein ſchlechtes Zimmer mit weißen Waͤnden, und das Partere eine
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0134"n="124"/>
Reiſer konnte bei der allgemeinen Verachtung<lb/>
der er als ein ſogenannter <hirendition="#fr">Famulus</hi> des Rektors<lb/>
ausgeſetzt war, ſich nicht die mindeſte Hoffnung<lb/>
machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte<lb/>
nicht eimal von irgend einem der Mitſchuͤler ein<lb/>
Billet erhalten, um zuzuſehn. Dieß ſchlug ihn<lb/>
mehr, als alles bisherige nieder — bis er auf<lb/>
den Einfall kam, mit zwei bis dreien ſeiner Mit¬<lb/>ſchuͤler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬<lb/>ſam eine Parthie der Mißvergnuͤgten auszuma¬<lb/>
chen, und auf deren Wohnſtube bei einer kleinen<lb/>
Anzahl Zuſchauer, eine Komoͤdie beſonders auf¬<lb/>
zufuͤhren. —</p><lb/><p>Hiezu wurde denn Philotas gewaͤhlt, wo<lb/>
Reiſer einem andren, der die Rolle des Philotas<lb/>ſchlecht machte, ſie mit Geld abkaufte, und alſo<lb/>
nun den Philotas ſpielte.</p><lb/><p>Nun war er in ſeinem Elemente — Er konn¬<lb/>
te einen ganzen Abend lang, großmuͤthig, ſtand¬<lb/>
haft, und edel ſeyn, — die Stunden, wo er<lb/>ſich zu dieſer Rolle uͤbte, und der Abend, wo er<lb/>ſie ſpielte, waren von den ſeligſten ſeines Lebens —<lb/>
obgleich das Theater nur ein ſchlechtes Zimmer<lb/>
mit weißen Waͤnden, und das Partere eine<lb/></p></body></text></TEI>
[124/0134]
Reiſer konnte bei der allgemeinen Verachtung
der er als ein ſogenannter Famulus des Rektors
ausgeſetzt war, ſich nicht die mindeſte Hoffnung
machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte
nicht eimal von irgend einem der Mitſchuͤler ein
Billet erhalten, um zuzuſehn. Dieß ſchlug ihn
mehr, als alles bisherige nieder — bis er auf
den Einfall kam, mit zwei bis dreien ſeiner Mit¬
ſchuͤler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬
ſam eine Parthie der Mißvergnuͤgten auszuma¬
chen, und auf deren Wohnſtube bei einer kleinen
Anzahl Zuſchauer, eine Komoͤdie beſonders auf¬
zufuͤhren. —
Hiezu wurde denn Philotas gewaͤhlt, wo
Reiſer einem andren, der die Rolle des Philotas
ſchlecht machte, ſie mit Geld abkaufte, und alſo
nun den Philotas ſpielte.
Nun war er in ſeinem Elemente — Er konn¬
te einen ganzen Abend lang, großmuͤthig, ſtand¬
haft, und edel ſeyn, — die Stunden, wo er
ſich zu dieſer Rolle uͤbte, und der Abend, wo er
ſie ſpielte, waren von den ſeligſten ſeines Lebens —
obgleich das Theater nur ein ſchlechtes Zimmer
mit weißen Waͤnden, und das Partere eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/134>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.