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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Reiser konnte bei der allgemeinen Verachtung
der er als ein sogenannter Famulus des Rektors
ausgesetzt war, sich nicht die mindeste Hoffnung
machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte
nicht eimal von irgend einem der Mitschüler ein
Billet erhalten, um zuzusehn. Dieß schlug ihn
mehr, als alles bisherige nieder -- bis er auf
den Einfall kam, mit zwei bis dreien seiner Mit¬
schüler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬
sam eine Parthie der Mißvergnügten auszuma¬
chen, und auf deren Wohnstube bei einer kleinen
Anzahl Zuschauer, eine Komödie besonders auf¬
zuführen. --

Hiezu wurde denn Philotas gewählt, wo
Reiser einem andren, der die Rolle des Philotas
schlecht machte, sie mit Geld abkaufte, und also
nun den Philotas spielte.

Nun war er in seinem Elemente -- Er konn¬
te einen ganzen Abend lang, großmüthig, stand¬
haft, und edel seyn, -- die Stunden, wo er
sich zu dieser Rolle übte, und der Abend, wo er
sie spielte, waren von den seligsten seines Lebens --
obgleich das Theater nur ein schlechtes Zimmer
mit weißen Wänden, und das Partere eine

Reiſer konnte bei der allgemeinen Verachtung
der er als ein ſogenannter Famulus des Rektors
ausgeſetzt war, ſich nicht die mindeſte Hoffnung
machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte
nicht eimal von irgend einem der Mitſchuͤler ein
Billet erhalten, um zuzuſehn. Dieß ſchlug ihn
mehr, als alles bisherige nieder — bis er auf
den Einfall kam, mit zwei bis dreien ſeiner Mit¬
ſchuͤler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬
ſam eine Parthie der Mißvergnuͤgten auszuma¬
chen, und auf deren Wohnſtube bei einer kleinen
Anzahl Zuſchauer, eine Komoͤdie beſonders auf¬
zufuͤhren. —

Hiezu wurde denn Philotas gewaͤhlt, wo
Reiſer einem andren, der die Rolle des Philotas
ſchlecht machte, ſie mit Geld abkaufte, und alſo
nun den Philotas ſpielte.

Nun war er in ſeinem Elemente — Er konn¬
te einen ganzen Abend lang, großmuͤthig, ſtand¬
haft, und edel ſeyn, — die Stunden, wo er
ſich zu dieſer Rolle uͤbte, und der Abend, wo er
ſie ſpielte, waren von den ſeligſten ſeines Lebens —
obgleich das Theater nur ein ſchlechtes Zimmer
mit weißen Waͤnden, und das Partere eine

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[124/0134] Reiſer konnte bei der allgemeinen Verachtung der er als ein ſogenannter Famulus des Rektors ausgeſetzt war, ſich nicht die mindeſte Hoffnung machen, eine Rolle zu erhalten; ja er konnte nicht eimal von irgend einem der Mitſchuͤler ein Billet erhalten, um zuzuſehn. Dieß ſchlug ihn mehr, als alles bisherige nieder — bis er auf den Einfall kam, mit zwei bis dreien ſeiner Mit¬ ſchuͤler, welche auch keine Rollen hatten, gleich¬ ſam eine Parthie der Mißvergnuͤgten auszuma¬ chen, und auf deren Wohnſtube bei einer kleinen Anzahl Zuſchauer, eine Komoͤdie beſonders auf¬ zufuͤhren. — Hiezu wurde denn Philotas gewaͤhlt, wo Reiſer einem andren, der die Rolle des Philotas ſchlecht machte, ſie mit Geld abkaufte, und alſo nun den Philotas ſpielte. Nun war er in ſeinem Elemente — Er konn¬ te einen ganzen Abend lang, großmuͤthig, ſtand¬ haft, und edel ſeyn, — die Stunden, wo er ſich zu dieſer Rolle uͤbte, und der Abend, wo er ſie ſpielte, waren von den ſeligſten ſeines Lebens — obgleich das Theater nur ein ſchlechtes Zimmer mit weißen Waͤnden, und das Partere eine

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/134>, abgerufen am 24.11.2024.