Weil nun diß Gedicht im Grunde Heuchelei war, so gelang es ihm auch wiederum nicht, und erhielt auch den Beifall seines Freundes nicht, der fast an jeder Zeile etwas zu tadeln fand -- auch der Pastor M. . ., dem er das Gedicht über¬ reichen ließ, nahm keine besondere Rücksicht dar¬ auf, und er erreichte also seinen Zweck dadurch gar nicht. --
Aber es ereignete sich bald darauf ein Vorfall, der ihm Veranlassung gab, sich auf eine weniger affektirte Art in poetische Begeisterung zu versetzen. Es fügte sich nehmlich im Anfang des Sommers, daß ein junger Mensch von neunzehn Jahren, der ansehnliches Vermögen besaß, und ein sehr guter Freund von Philipp Reisern war, beim Baden im Flusse ertrank. --
Philipp Reiser trug bei dieser Gelegenheit seinem Freunde auf, daß er auf diesen Vorfall ein Gedicht, so gut es nur in seinen Kräften stünde, verfertigen sollte -- er wollte es drucken lassen, und wenn es auch nicht gedruckt würde, so würde es doch immer, wenn es gut geriethe, als ein Produkt des Geistes schätzbar seyn.
3r Theil. F
Weil nun diß Gedicht im Grunde Heuchelei war, ſo gelang es ihm auch wiederum nicht, und erhielt auch den Beifall ſeines Freundes nicht, der faſt an jeder Zeile etwas zu tadeln fand — auch der Paſtor M. . ., dem er das Gedicht uͤber¬ reichen ließ, nahm keine beſondere Ruͤckſicht dar¬ auf, und er erreichte alſo ſeinen Zweck dadurch gar nicht. —
Aber es ereignete ſich bald darauf ein Vorfall, der ihm Veranlaſſung gab, ſich auf eine weniger affektirte Art in poetiſche Begeiſterung zu verſetzen. Es fuͤgte ſich nehmlich im Anfang des Sommers, daß ein junger Menſch von neunzehn Jahren, der anſehnliches Vermoͤgen beſaß, und ein ſehr guter Freund von Philipp Reiſern war, beim Baden im Fluſſe ertrank. —
Philipp Reiſer trug bei dieſer Gelegenheit ſeinem Freunde auf, daß er auf dieſen Vorfall ein Gedicht, ſo gut es nur in ſeinen Kraͤften ſtuͤnde, verfertigen ſollte — er wollte es drucken laſſen, und wenn es auch nicht gedruckt wuͤrde, ſo wuͤrde es doch immer, wenn es gut geriethe, als ein Produkt des Geiſtes ſchaͤtzbar ſeyn.
3r Theil. F
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Weil nun diß Gedicht im Grunde Heuchelei
war, ſo gelang es ihm auch wiederum nicht, und
erhielt auch den Beifall ſeines Freundes nicht,
der faſt an jeder Zeile etwas zu tadeln fand —
auch der Paſtor M. . ., dem er das Gedicht uͤber¬
reichen ließ, nahm keine beſondere Ruͤckſicht dar¬
auf, und er erreichte alſo ſeinen Zweck dadurch
gar nicht. —
Aber es ereignete ſich bald darauf ein Vorfall,
der ihm Veranlaſſung gab, ſich auf eine weniger
affektirte Art in poetiſche Begeiſterung zu verſetzen.
Es fuͤgte ſich nehmlich im Anfang des Sommers,
daß ein junger Menſch von neunzehn Jahren,
der anſehnliches Vermoͤgen beſaß, und ein ſehr
guter Freund von Philipp Reiſern war, beim
Baden im Fluſſe ertrank. —
Philipp Reiſer trug bei dieſer Gelegenheit
ſeinem Freunde auf, daß er auf dieſen Vorfall
ein Gedicht, ſo gut es nur in ſeinen Kraͤften
ſtuͤnde, verfertigen ſollte — er wollte es drucken
laſſen, und wenn es auch nicht gedruckt wuͤrde,
ſo wuͤrde es doch immer, wenn es gut geriethe,
als ein Produkt des Geiſtes ſchaͤtzbar ſeyn.
3r Theil. F
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/91>, abgerufen am 17.02.2025.
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