Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Auftrag von seinem Freunde machten
Anton Reisers ganzen Ehrgeitz rege; er suchte
sich den Vorfall so lebhaft, wie möglich,
vors Auge zu bringen, und nachdem er andert¬
halb Tagelang Ausdruck gegen Ausdruck abge¬
wogen, und seine Seelenkräfte angestrengt
hatte, um sich den Beifall seines Freundes zu
verdienen, waren ihm am Ende folgende Stro¬
phen gelungen:

Wenn seufzend unterm Druck schwer auf ihn
ruh'nder Jahre
Ein frommer Greis erblaßt, wird Wehmuth
unser Herz;
Doch legt ein rascher Tod den Jüngling auf
die Bahre,
Der kaum zu blüh'n begann -- so wird die
Wehmuth Schmerz.
Der braunen Nacht entstieg der schönste
Sommermorgen
Und ruhig athmete noch früh des Jünglings
Brust --

Dieſer Auftrag von ſeinem Freunde machten
Anton Reiſers ganzen Ehrgeitz rege; er ſuchte
ſich den Vorfall ſo lebhaft, wie moͤglich,
vors Auge zu bringen, und nachdem er andert¬
halb Tagelang Ausdruck gegen Ausdruck abge¬
wogen, und ſeine Seelenkraͤfte angeſtrengt
hatte, um ſich den Beifall ſeines Freundes zu
verdienen, waren ihm am Ende folgende Stro¬
phen gelungen:

Wenn ſeufzend unterm Druck ſchwer auf ihn
ruh'nder Jahre
Ein frommer Greis erblaßt, wird Wehmuth
unſer Herz;
Doch legt ein raſcher Tod den Juͤngling auf
die Bahre,
Der kaum zu bluͤh'n begann — ſo wird die
Wehmuth Schmerz.
Der braunen Nacht entſtieg der ſchoͤnſte
Sommermorgen
Und ruhig athmete noch fruͤh des Juͤnglings
Bruſt —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0092" n="82"/>
      <p>Die&#x017F;er Auftrag von &#x017F;einem Freunde machten<lb/>
Anton Rei&#x017F;ers ganzen Ehrgeitz rege; er &#x017F;uchte<lb/>
&#x017F;ich den Vorfall &#x017F;o lebhaft, wie mo&#x0364;glich,<lb/>
vors Auge zu bringen, und nachdem er andert¬<lb/>
halb Tagelang Ausdruck gegen Ausdruck abge¬<lb/>
wogen, und &#x017F;eine Seelenkra&#x0364;fte ange&#x017F;trengt<lb/>
hatte, um &#x017F;ich den Beifall &#x017F;eines Freundes zu<lb/>
verdienen, waren ihm am Ende folgende Stro¬<lb/>
phen gelungen:</p><lb/>
      <lg type="poem">
        <lg n="1">
          <l>Wenn &#x017F;eufzend unterm Druck &#x017F;chwer auf ihn</l><lb/>
          <l>ruh'nder Jahre</l><lb/>
          <l>Ein frommer Greis erblaßt, wird Wehmuth</l><lb/>
          <l>un&#x017F;er Herz;</l><lb/>
          <l>Doch legt ein ra&#x017F;cher Tod den Ju&#x0364;ngling auf</l><lb/>
          <l>die Bahre,</l><lb/>
          <l>Der kaum zu blu&#x0364;h'n begann &#x2014; &#x017F;o wird die</l><lb/>
          <l>Wehmuth Schmerz.</l><lb/>
        </lg>
        <lg n="2">
          <l>Der braunen Nacht ent&#x017F;tieg der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te</l><lb/>
          <l>Sommermorgen</l><lb/>
          <l>Und ruhig athmete noch fru&#x0364;h des Ju&#x0364;nglings</l><lb/>
          <l>Bru&#x017F;t &#x2014;</l><lb/>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0092] Dieſer Auftrag von ſeinem Freunde machten Anton Reiſers ganzen Ehrgeitz rege; er ſuchte ſich den Vorfall ſo lebhaft, wie moͤglich, vors Auge zu bringen, und nachdem er andert¬ halb Tagelang Ausdruck gegen Ausdruck abge¬ wogen, und ſeine Seelenkraͤfte angeſtrengt hatte, um ſich den Beifall ſeines Freundes zu verdienen, waren ihm am Ende folgende Stro¬ phen gelungen: Wenn ſeufzend unterm Druck ſchwer auf ihn ruh'nder Jahre Ein frommer Greis erblaßt, wird Wehmuth unſer Herz; Doch legt ein raſcher Tod den Juͤngling auf die Bahre, Der kaum zu bluͤh'n begann — ſo wird die Wehmuth Schmerz. Der braunen Nacht entſtieg der ſchoͤnſte Sommermorgen Und ruhig athmete noch fruͤh des Juͤnglings Bruſt —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/92
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/92>, abgerufen am 23.11.2024.