Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Idee mit sich zu nehmen: "Wir haben am
"Steigerwalde freundschaftlich beieinander ge¬
"sessen, haben von da in das anmuthsvolle
"Thal hinuntergeblickt, und dabei unsern Geist
"mit einem schönen Werke der Dichtkunst
"genährt."

Wenn man erwägt, wie viele kleine Um¬
stände sich ereignen müssen, um das Stillsitzen
und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu
machen, so kann man sich denken, mit wie vie¬
len kleinen Unannehmlichkeiten N. . . . und Rei¬
ser bei diesen empfindsamen Scenen kämpfen
mußten: wie oft der Boden feucht war, die
Ameisen an die Beine krochen, der Wind das
Blatt verschlug, u. s. w.

N. . . . fand nun einen vorzüglichen Gefal¬
len daran, Klopstocks Messiade Reisern ganz
vorzulesen; bei der entsetzlichen Langenweile nun,
die diese Lektüre beiden verursachte, und die sie
sich doch einander, und jeder sich selber kaum zu
gestehen wagten, hatte N. . . . doch noch den
Vortheil des lauten Lesens, womit ihm die Zeit
vergieng: Reiser aber war verdammt zu hören,
und über das Gehörte entzückt zu seyn, welches

K 3

Idee mit ſich zu nehmen: „Wir haben am
„Steigerwalde freundſchaftlich beieinander ge¬
„ſeſſen, haben von da in das anmuthsvolle
„Thal hinuntergeblickt, und dabei unſern Geiſt
„mit einem ſchoͤnen Werke der Dichtkunſt
„genaͤhrt.“

Wenn man erwaͤgt, wie viele kleine Um¬
ſtaͤnde ſich ereignen muͤſſen, um das Stillſitzen
und Leſen unter freiem Himmel angenehm zu
machen, ſo kann man ſich denken, mit wie vie¬
len kleinen Unannehmlichkeiten N. . . . und Rei¬
ſer bei dieſen empfindſamen Scenen kaͤmpfen
mußten: wie oft der Boden feucht war, die
Ameiſen an die Beine krochen, der Wind das
Blatt verſchlug, u. ſ. w.

N. . . . fand nun einen vorzuͤglichen Gefal¬
len daran, Klopſtocks Meſſiade Reiſern ganz
vorzuleſen; bei der entſetzlichen Langenweile nun,
die dieſe Lektuͤre beiden verurſachte, und die ſie
ſich doch einander, und jeder ſich ſelber kaum zu
geſtehen wagten, hatte N. . . . doch noch den
Vortheil des lauten Leſens, womit ihm die Zeit
vergieng: Reiſer aber war verdammt zu hoͤren,
und uͤber das Gehoͤrte entzuͤckt zu ſeyn, welches

K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0163" n="149"/>
Idee mit &#x017F;ich zu nehmen: &#x201E;Wir haben am<lb/>
&#x201E;Steigerwalde freund&#x017F;chaftlich beieinander ge¬<lb/>
&#x201E;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, haben von da in das anmuthsvolle<lb/>
&#x201E;Thal hinuntergeblickt, und dabei un&#x017F;ern Gei&#x017F;t<lb/>
&#x201E;mit einem &#x017F;cho&#x0364;nen Werke der Dichtkun&#x017F;t<lb/>
&#x201E;gena&#x0364;hrt.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Wenn man erwa&#x0364;gt, wie viele kleine Um¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ich ereignen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, um das Still&#x017F;itzen<lb/>
und Le&#x017F;en unter freiem Himmel angenehm zu<lb/>
machen, &#x017F;o kann man &#x017F;ich denken, mit wie vie¬<lb/>
len kleinen Unannehmlichkeiten N. . . . und Rei¬<lb/>
&#x017F;er bei die&#x017F;en empfind&#x017F;amen Scenen ka&#x0364;mpfen<lb/>
mußten: wie oft der Boden feucht war, die<lb/>
Amei&#x017F;en an die Beine krochen, der Wind das<lb/>
Blatt ver&#x017F;chlug, u. &#x017F;. w.</p><lb/>
      <p>N. . . . fand nun einen vorzu&#x0364;glichen Gefal¬<lb/>
len daran, Klop&#x017F;tocks Me&#x017F;&#x017F;iade Rei&#x017F;ern ganz<lb/>
vorzule&#x017F;en; bei der ent&#x017F;etzlichen Langenweile nun,<lb/>
die die&#x017F;e Lektu&#x0364;re beiden verur&#x017F;achte, und die &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich doch einander, und jeder &#x017F;ich &#x017F;elber kaum zu<lb/>
ge&#x017F;tehen wagten, hatte N. . . . doch noch den<lb/>
Vortheil des lauten Le&#x017F;ens, womit ihm die Zeit<lb/>
vergieng: Rei&#x017F;er aber war verdammt zu ho&#x0364;ren,<lb/>
und u&#x0364;ber das Geho&#x0364;rte entzu&#x0364;ckt zu &#x017F;eyn, welches<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0163] Idee mit ſich zu nehmen: „Wir haben am „Steigerwalde freundſchaftlich beieinander ge¬ „ſeſſen, haben von da in das anmuthsvolle „Thal hinuntergeblickt, und dabei unſern Geiſt „mit einem ſchoͤnen Werke der Dichtkunſt „genaͤhrt.“ Wenn man erwaͤgt, wie viele kleine Um¬ ſtaͤnde ſich ereignen muͤſſen, um das Stillſitzen und Leſen unter freiem Himmel angenehm zu machen, ſo kann man ſich denken, mit wie vie¬ len kleinen Unannehmlichkeiten N. . . . und Rei¬ ſer bei dieſen empfindſamen Scenen kaͤmpfen mußten: wie oft der Boden feucht war, die Ameiſen an die Beine krochen, der Wind das Blatt verſchlug, u. ſ. w. N. . . . fand nun einen vorzuͤglichen Gefal¬ len daran, Klopſtocks Meſſiade Reiſern ganz vorzuleſen; bei der entſetzlichen Langenweile nun, die dieſe Lektuͤre beiden verurſachte, und die ſie ſich doch einander, und jeder ſich ſelber kaum zu geſtehen wagten, hatte N. . . . doch noch den Vortheil des lauten Leſens, womit ihm die Zeit vergieng: Reiſer aber war verdammt zu hoͤren, und uͤber das Gehoͤrte entzuͤckt zu ſeyn, welches K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/163
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/163>, abgerufen am 21.11.2024.