Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.Diese Frau war hier erzogen, hier gebohren, Diese Art aber sich in die Vorstellungen an¬ Dieſe Frau war hier erzogen, hier gebohren, Dieſe Art aber ſich in die Vorſtellungen an¬ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0024" n="10"/> <p>Dieſe Frau war hier erzogen, hier gebohren,<lb/> hier alt geworden, hatte immer die Waͤnde<lb/> dieſer Stube, den großen Ofen, die Tiſche, die<lb/> Baͤnke geſehen — nun dachte er ſich nach und<lb/> nach in die Vorſtellungen und Gedanken dieſer<lb/> alten Frau ſo ſehr hinein, daß er ſich ſelbſt dar¬<lb/> uͤber vergaß, und wie in eine Art von wachen¬<lb/> den Traum gerieth, als ob er auch hier bleiben<lb/> muͤſte, und nicht aus der Stelle koͤnne. — Ein<lb/> ſolcher Traum war bei der ploͤtzlichen Veraͤnde¬<lb/> rung, die ſein Zuſtand gelitten hatte, ſehr na¬<lb/> tuͤrlich — und als ſeine Gedanken ſich ſammle¬<lb/> ten, fuͤhlte er das Vergnuͤgen der Abwechſe¬<lb/> lung, der Ausdehnung, der unbegrenzten Frei¬<lb/> heit doppelt wieder — er war wie von Feſſeln<lb/> entbunden, und die alte Frau, mit bebendem<lb/> Haupte, war ihm wieder ein gleichguͤltiger Ge¬<lb/> genſtand.</p><lb/> <p>Dieſe Art aber ſich in die Vorſtellungen an¬<lb/> derer Menſchen hineinzudenken, und ſich ſelbſt<lb/> daruͤber zu vergeſſen, klebte ihm von Kindheit<lb/> an — es war einer ſeiner kindiſchen Wuͤnſche,<lb/> daß er nur einen Augenblick aus den Augen<lb/> eines andern Menſchen, den er vor ſich ſahe,<lb/></p> </body> </text> </TEI> [10/0024]
Dieſe Frau war hier erzogen, hier gebohren,
hier alt geworden, hatte immer die Waͤnde
dieſer Stube, den großen Ofen, die Tiſche, die
Baͤnke geſehen — nun dachte er ſich nach und
nach in die Vorſtellungen und Gedanken dieſer
alten Frau ſo ſehr hinein, daß er ſich ſelbſt dar¬
uͤber vergaß, und wie in eine Art von wachen¬
den Traum gerieth, als ob er auch hier bleiben
muͤſte, und nicht aus der Stelle koͤnne. — Ein
ſolcher Traum war bei der ploͤtzlichen Veraͤnde¬
rung, die ſein Zuſtand gelitten hatte, ſehr na¬
tuͤrlich — und als ſeine Gedanken ſich ſammle¬
ten, fuͤhlte er das Vergnuͤgen der Abwechſe¬
lung, der Ausdehnung, der unbegrenzten Frei¬
heit doppelt wieder — er war wie von Feſſeln
entbunden, und die alte Frau, mit bebendem
Haupte, war ihm wieder ein gleichguͤltiger Ge¬
genſtand.
Dieſe Art aber ſich in die Vorſtellungen an¬
derer Menſchen hineinzudenken, und ſich ſelbſt
daruͤber zu vergeſſen, klebte ihm von Kindheit
an — es war einer ſeiner kindiſchen Wuͤnſche,
daß er nur einen Augenblick aus den Augen
eines andern Menſchen, den er vor ſich ſahe,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |