Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.ihren geheimsten Falten vor einem lauschenden Da war nun der Ort, wo die erhabene Mitleid den Todten und Ehre den Lebenden Kurz, es war nichts weniger als das ganze Mit seinem einzigen Gulden in der Tasche schwebte,
ihren geheimſten Falten vor einem lauſchenden Da war nun der Ort, wo die erhabene Mitleid den Todten und Ehre den Lebenden Kurz, es war nichts weniger als das ganze Mit ſeinem einzigen Gulden in der Taſche ſchwebte,
<TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0062" n="48"/> ihren geheimſten Falten vor einem lauſchenden<lb/> Publikum ſich enthuͤllen konnten. —</p><lb/> <p>Da war nun der Ort, wo die erhabene<lb/> Thraͤne des Mitleids bei dem Fall des Edlen<lb/> geweint, und lauter Beifall dem Genius zuge¬<lb/> jauchzt wurde, der mit Macht die Seelen zu<lb/> taͤuſchen, die Herzen zu ſchmelzen wußte.</p><lb/> <p>Mitleid den Todten und Ehre den Lebenden<lb/> war hier die ſchoͤne Loͤſung — und Reiſer lebte<lb/> und webte ſchon in dieſem Elemente, wo alles<lb/> das, was die Vorwelt empfand, noch einmal<lb/> nachempfunden, und alle Scenen des Lebens in<lb/> einem kleinen Raume wieder durchlebt wurden.</p><lb/> <p>Kurz, es war nichts weniger als das ganze<lb/> Menſchenleben, mit allen ſeinen Abwechſelun¬<lb/> gen und mannichfaltigen Schickſalen, das bei<lb/> dem Anblick des Thuͤrmchens vom Gothaiſchen<lb/> Komoͤdienhauſe, ſich in Reiſers Seele wie im<lb/> Bilde darſtellte, und worin ſich die Klagen des<lb/> Schuſters, der ihn begleitete, <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice> ſeine eigenen<lb/> Sorgen, wie in einem Meere verlohren. —</p><lb/> <p>Mit ſeinem einzigen Gulden in der Taſche<lb/> fuͤhlte ſich Reiſer begluͤckt wie ein Koͤnig, ſo<lb/> lange dieſer Reichthum von Bildern ihm vor¬<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchwebte,<lb/></fw> </p> </body> </text> </TEI> [48/0062]
ihren geheimſten Falten vor einem lauſchenden
Publikum ſich enthuͤllen konnten. —
Da war nun der Ort, wo die erhabene
Thraͤne des Mitleids bei dem Fall des Edlen
geweint, und lauter Beifall dem Genius zuge¬
jauchzt wurde, der mit Macht die Seelen zu
taͤuſchen, die Herzen zu ſchmelzen wußte.
Mitleid den Todten und Ehre den Lebenden
war hier die ſchoͤne Loͤſung — und Reiſer lebte
und webte ſchon in dieſem Elemente, wo alles
das, was die Vorwelt empfand, noch einmal
nachempfunden, und alle Scenen des Lebens in
einem kleinen Raume wieder durchlebt wurden.
Kurz, es war nichts weniger als das ganze
Menſchenleben, mit allen ſeinen Abwechſelun¬
gen und mannichfaltigen Schickſalen, das bei
dem Anblick des Thuͤrmchens vom Gothaiſchen
Komoͤdienhauſe, ſich in Reiſers Seele wie im
Bilde darſtellte, und worin ſich die Klagen des
Schuſters, der ihn begleitete, und ſeine eigenen
Sorgen, wie in einem Meere verlohren. —
Mit ſeinem einzigen Gulden in der Taſche
fuͤhlte ſich Reiſer begluͤckt wie ein Koͤnig, ſo
lange dieſer Reichthum von Bildern ihm vor¬
ſchwebte,
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