Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.Er getrauete sich den Mittag nicht, zu Hause Nie aber in seinem Leben ist seine Theilnah¬ Selbst die Musik rührte ihn bis zu Thränen, Reiser fühlte es hier tief, wie wenig ein Er getrauete ſich den Mittag nicht, zu Hauſe Nie aber in ſeinem Leben iſt ſeine Theilnah¬ Selbſt die Muſik ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen, Reiſer fuͤhlte es hier tief, wie wenig ein <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0080" n="66"/> <p>Er getrauete ſich den Mittag nicht, zu Hauſe<lb/> zu gehen, ſondern aß nicht, und kehrte erſt den<lb/> Nachmittag wieder zuruͤck — und am Abend<lb/> ging er in die Komoͤdie, wo nun die Operette,<lb/> der Deſerteur aufgefuͤhrt wurde, die ihm den<lb/> Tod ſeiner Hoffnungen bezeichnete.</p><lb/> <p>Nie aber in ſeinem Leben iſt ſeine Theilnah¬<lb/> me an einem fremden Schickſale ſtaͤrker geweſen,<lb/> als ſie es gerade dieſen Abend an dem Schick¬<lb/> ſale der Liebenden war, welche durch den dro¬<lb/> henden Todesſtreich getrennt werden ſollten. Es<lb/> traf bei ihm zu, was Homer von den Maͤdgen<lb/> ſagt, die um den erſchlagenen Patroklius wein¬<lb/> ten, ſie beweinten zugleich ihr eigenes Schickſal.<lb/></p> <p>Selbſt die Muſik ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen,<lb/> und jeder Ausdruck erſchuͤtterte ſein Innerſtes.<lb/> Am ſtaͤrkſten aber fuͤhlte er ſich durch die Scene<lb/> bewegt, wo der Deſerteur, der ſchon ſein To¬<lb/> desurtheil weiß, im Gefaͤngniß an ſeine Geliebte<lb/> ſchreiben will, und ſein betrunkener Kamerad<lb/> ihm keine Ruhe laͤßt, weil er ihn ein Wort ſoll<lb/> Buchſtabiren lehren.</p><lb/> <p>Reiſer fuͤhlte es hier tief, wie wenig ein<lb/> Menſch den andern Menſchen iſt, wie wenig<lb/></p> </body> </text> </TEI> [66/0080]
Er getrauete ſich den Mittag nicht, zu Hauſe
zu gehen, ſondern aß nicht, und kehrte erſt den
Nachmittag wieder zuruͤck — und am Abend
ging er in die Komoͤdie, wo nun die Operette,
der Deſerteur aufgefuͤhrt wurde, die ihm den
Tod ſeiner Hoffnungen bezeichnete.
Nie aber in ſeinem Leben iſt ſeine Theilnah¬
me an einem fremden Schickſale ſtaͤrker geweſen,
als ſie es gerade dieſen Abend an dem Schick¬
ſale der Liebenden war, welche durch den dro¬
henden Todesſtreich getrennt werden ſollten. Es
traf bei ihm zu, was Homer von den Maͤdgen
ſagt, die um den erſchlagenen Patroklius wein¬
ten, ſie beweinten zugleich ihr eigenes Schickſal.
Selbſt die Muſik ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen,
und jeder Ausdruck erſchuͤtterte ſein Innerſtes.
Am ſtaͤrkſten aber fuͤhlte er ſich durch die Scene
bewegt, wo der Deſerteur, der ſchon ſein To¬
desurtheil weiß, im Gefaͤngniß an ſeine Geliebte
ſchreiben will, und ſein betrunkener Kamerad
ihm keine Ruhe laͤßt, weil er ihn ein Wort ſoll
Buchſtabiren lehren.
Reiſer fuͤhlte es hier tief, wie wenig ein
Menſch den andern Menſchen iſt, wie wenig
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