Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

liger und wichtiger, als der todte Buchstaben
von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen
Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich
durch die Gesetze der Religion, der Tugend
und Klugheit; durch die Ueberzeugung, dass
sie ihr Volk nicht unglücklich machen können,
ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht
und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht
vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter-
thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos-
sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge-
schichte und Nachwelt, oder endlich durch
die Furcht vor dem grossen Richter, der die
mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig-
sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich-
ten wird."

Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi-
losophischen Sehers seyn, so spreche die gött-
liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber
aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü-
thig, dass ich das Land, den Staat, geschweige
die Staaten, nicht kenne, zu welchen diss schö-
ne Bild auch nur in seinem Umriss passte. Ich
würde, wenn ichs wüsste, so alt ich bin, heute
noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf-
zigjährigen Erfahrung muss ich aber noch im-

liger und wichtiger, als der todte Buchstaben
von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen
Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich
durch die Gesetze der Religion, der Tugend
und Klugheit; durch die Ueberzeugung, daſs
sie ihr Volk nicht unglücklich machen können,
ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht
und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht
vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter-
thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos-
sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge-
schichte und Nachwelt, oder endlich durch
die Furcht vor dem groſsen Richter, der die
mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig-
sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich-
ten wird.„

Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi-
losophischen Sehers seyn, so spreche die gött-
liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber
aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü-
thig, daſs ich das Land, den Staat, geschweige
die Staaten, nicht kenne, zu welchen diſs schö-
ne Bild auch nur in seinem Umriſs paſste. Ich
würde, wenn ichs wüſste, so alt ich bin, heute
noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf-
zigjährigen Erfahrung muſs ich aber noch im-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="94"/>
liger und wichtiger, als der todte Buchstaben<lb/>
von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen<lb/>
Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich<lb/>
durch die Gesetze der Religion, der Tugend<lb/>
und Klugheit; durch die Ueberzeugung, da&#x017F;s<lb/>
sie ihr Volk nicht unglücklich machen können,<lb/>
ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht<lb/>
und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht<lb/>
vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter-<lb/>
thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos-<lb/>
sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge-<lb/>
schichte und Nachwelt, oder endlich durch<lb/>
die Furcht vor dem gro&#x017F;sen Richter, der die<lb/>
mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig-<lb/>
sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich-<lb/>
ten wird.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi-<lb/>
losophischen Sehers seyn, so spreche die gött-<lb/>
liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber<lb/>
aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü-<lb/>
thig, da&#x017F;s ich das Land, den Staat, geschweige<lb/>
die Staaten, nicht kenne, zu welchen di&#x017F;s schö-<lb/>
ne Bild auch nur in seinem Umri&#x017F;s pa&#x017F;ste. Ich<lb/>
würde, wenn ichs wü&#x017F;ste, so alt ich bin, heute<lb/>
noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf-<lb/>
zigjährigen Erfahrung mu&#x017F;s ich aber noch im-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0100] liger und wichtiger, als der todte Buchstaben von Grund-Gesetzen oder die ohnmächtigen Vorstellungen von Land-Ständen sind: Nämlich durch die Gesetze der Religion, der Tugend und Klugheit; durch die Ueberzeugung, daſs sie ihr Volk nicht unglücklich machen können, ohne ihre eigene und ihrer Nachkommen Macht und Ansehen zu schwächen; durch die Furcht vor dem Murren und den Flüchen ihrer Unter- thanen, vor dem Tadel ihrer übrigen Zeitgenos- sen, vor dem Urtheil der unerbittlichen Ge- schichte und Nachwelt, oder endlich durch die Furcht vor dem groſsen Richter, der die mächtigsten Könige eben sowohl, als die niedrig- sten Sclaven dereinst nach ihren Thaten rich- ten wird.„ Solls Weissagung, solls Ahndung dieses phi- losophischen Sehers seyn, so spreche die gött- liche Vorsehung ihr segnendes Amen! darüber aus. Ich Ungläubiger, bekenne aber freymü- thig, daſs ich das Land, den Staat, geschweige die Staaten, nicht kenne, zu welchen diſs schö- ne Bild auch nur in seinem Umriſs paſste. Ich würde, wenn ichs wüſste, so alt ich bin, heute noch dahin wallfahrten. Nach meiner bald funf- zigjährigen Erfahrung muſs ich aber noch im-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/100
Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/100>, abgerufen am 24.11.2024.