Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful-
len. Befohlne, vom Throne her begünstigte
blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei-
nungen
,
ist eine fruchtbare Mutter der Heuche-
lei
und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver-
folgung
,
solcher die gern ihres Glaubens leben
möchten, erzeugt Missmuth und Abneigung.
Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des
menschlichen Geistes
,
für den, der sie anlegt,
und für diejenigen, welche sie tragen müssen,
gleich entehrend, und können in ihren Wirkun-
gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli-
gion
muss Alles auf Gottes- und Menschen-
liebe
zurükführen. Hier gelten keine Zwangs-
gesetze
,
sondern lediglich die Stimmung der
allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze,
der Fürst einem jeden, der denken, glauben und
empfinden kann, so lange das Recht lassen wird,
zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie
auf den Verstand und das Herz eines jeden ge-
wirket wird, biss er beweisen kann, dass sein
Verstand übermenschlich sey, oder dass er ein
mehr als menschliches Recht habe, auch da zu
gebieten, wo die Kraft des menschlichen
Geistes über jedes Gesetz erhaben ist
!

(II. Band.) P

getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful-
len. Befohlne, vom Throne her begünstigte
blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei-
nungen
,
ist eine fruchtbare Mutter der Heuche-
lei
und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver-
folgung
,
solcher die gern ihres Glaubens leben
möchten, erzeugt Miſsmuth und Abneigung.
Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des
menschlichen Geistes
,
für den, der sie anlegt,
und für diejenigen, welche sie tragen müssen,
gleich entehrend, und können in ihren Wirkun-
gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli-
gion
muſs Alles auf Gottes- und Menschen-
liebe
zurükführen. Hier gelten keine Zwangs-
gesetze
,
sondern lediglich die Stimmung der
allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze,
der Fürst einem jeden, der denken, glauben und
empfinden kann, so lange das Recht lassen wird,
zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie
auf den Verstand und das Herz eines jeden ge-
wirket wird, biſs er beweisen kann, daſs sein
Verstand übermenschlich sey, oder daſs er ein
mehr als menschliches Recht habe, auch da zu
gebieten, wo die Kraft des menschlichen
Geistes über jedes Gesetz erhaben ist
!

(II. Band.) P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0231" n="225"/>
getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful-<lb/>
len. Befohlne, vom Throne her begünstigte<lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei-<lb/>
nungen</hi>,</hi> ist eine fruchtbare Mutter der <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Heuche-<lb/>
lei</hi></hi> und <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Unredlichkeit</hi>. <hi rendition="#g">Druck</hi>,</hi> oder gar <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Ver-<lb/>
folgung</hi>,</hi> solcher die gern ihres Glaubens leben<lb/>
möchten, erzeugt <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Mi&#x017F;smuth</hi></hi> und <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Abneigung</hi></hi>.<lb/>
Beide sind wie mich dünkt, als <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Fesseln des<lb/>
menschlichen Geistes</hi>,</hi> für den, der sie anlegt,<lb/>
und für diejenigen, welche sie tragen müssen,<lb/>
gleich entehrend, und können in ihren Wirkun-<lb/>
gen sehr gefährlich werden. Die <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">wahre Reli-<lb/>
gion</hi></hi> mu&#x017F;s Alles auf <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Gottes</hi></hi>- und <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Menschen-<lb/>
liebe</hi></hi> zurükführen. Hier gelten keine <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Zwangs-<lb/>
gesetze</hi>,</hi> sondern lediglich die Stimmung der<lb/>
allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze,<lb/>
der Fürst einem jeden, der denken, glauben und<lb/>
empfinden kann, so lange das Recht lassen wird,<lb/>
zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie<lb/>
auf den Verstand und das Herz eines jeden ge-<lb/>
wirket wird, bi&#x017F;s er beweisen kann, da&#x017F;s sein<lb/>
Verstand übermenschlich sey, oder da&#x017F;s er ein<lb/>
mehr als menschliches Recht habe, auch <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">da</hi></hi> zu<lb/>
gebieten, wo die <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Kraft des menschlichen<lb/>
Geistes über jedes Gesetz erhaben ist</hi>!</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">(<hi rendition="#i">II. Band.</hi>) P</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0231] getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful- len. Befohlne, vom Throne her begünstigte blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei- nungen, ist eine fruchtbare Mutter der Heuche- lei und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver- folgung, solcher die gern ihres Glaubens leben möchten, erzeugt Miſsmuth und Abneigung. Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des menschlichen Geistes, für den, der sie anlegt, und für diejenigen, welche sie tragen müssen, gleich entehrend, und können in ihren Wirkun- gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli- gion muſs Alles auf Gottes- und Menschen- liebe zurükführen. Hier gelten keine Zwangs- gesetze, sondern lediglich die Stimmung der allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze, der Fürst einem jeden, der denken, glauben und empfinden kann, so lange das Recht lassen wird, zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie auf den Verstand und das Herz eines jeden ge- wirket wird, biſs er beweisen kann, daſs sein Verstand übermenschlich sey, oder daſs er ein mehr als menschliches Recht habe, auch da zu gebieten, wo die Kraft des menschlichen Geistes über jedes Gesetz erhaben ist! (II. Band.) P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/231
Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/231>, abgerufen am 25.11.2024.