Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nen ohne Furcht leben. wenn sie solches hören.
Denn so wird der Richter sagen: "Ich bin hunge-
rig gewesen, und Ihr habt mich nicht gespeiset;
ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht
geträncket; ich bin nacket gewesen, und Ihr habt
mich nicht bekleidet". O grosser Gott, was wer-
den dir antworten dieselbe, die nicht allein deine
arme Brüder nicht gespeiset und bekleidet. son-
dern selbst viel Tausend armer Leute gemacht
haben; und das haben sie gethan an deinen Brü-
dern, und an deinen Schwestern. Einer wird
daselbst auftreten und sagen: Ich habe noch ein
Bisslein Brodt gehabt für mich und meine Kinder,
aber die Regenten haben mir es aus dem Maule
gezogen. Die Regenten, die Regenten haben
mich drumb bracht! Ein anderer wird sagen:
Ich hatte noch ein einziges Kühlein, das mit sei-
ner Milch mich und meine Kinder erlabete. Ich
habe sie aber müssen verkauffen, und das Geld
den Regenten geben; die Regenten haben mich
drumb bracht. Der dritte wird sagen: Ich hat
te noch eine Decke, damit ich meinen nakten
Leib bedecken konnte; ich habe sie aber müssen
dahin geben, die Regenten haben mich drumb
bracht. O das schwere Gericht, das darauf fol-

gen

nen ohne Furcht leben. wenn sie solches hören.
Denn so wird der Richter sagen: „Ich bin hunge-
rig gewesen, und Ihr habt mich nicht gespeiset;
ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht
geträncket; ich bin nacket gewesen, und Ihr habt
mich nicht bekleidet„. O groſser Gott, was wer-
den dir antworten dieselbe, die nicht allein deine
arme Brüder nicht gespeiset und bekleidet. son-
dern selbst viel Tausend armer Leute gemacht
haben; und das haben sie gethan an deinen Brü-
dern, und an deinen Schwestern. Einer wird
daselbst auftreten und sagen: Ich habe noch ein
Biſslein Brodt gehabt für mich und meine Kinder,
aber die Regenten haben mir es aus dem Maule
gezogen. Die Regenten, die Regenten haben
mich drumb bracht! Ein anderer wird sagen:
Ich hatte noch ein einziges Kühlein, das mit sei-
ner Milch mich und meine Kinder erlabete. Ich
habe sie aber müssen verkauffen, und das Geld
den Regenten geben; die Regenten haben mich
drumb bracht. Der dritte wird sagen: Ich hat
te noch eine Decke, damit ich meinen nakten
Leib bedecken konnte; ich habe sie aber müssen
dahin geben, die Regenten haben mich drumb
bracht. O das schwere Gericht, das darauf fol-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0310" n="304"/>
nen ohne Furcht leben. wenn sie solches hören.<lb/>
Denn so wird der Richter sagen: &#x201E;Ich bin hunge-<lb/>
rig gewesen, und Ihr habt mich nicht gespeiset;<lb/>
ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht<lb/>
geträncket; ich bin nacket gewesen, und Ihr habt<lb/>
mich nicht bekleidet&#x201E;. O gro&#x017F;ser Gott, was wer-<lb/>
den dir antworten dieselbe, die nicht allein deine<lb/>
arme Brüder nicht gespeiset und bekleidet. son-<lb/>
dern selbst viel Tausend armer Leute gemacht<lb/>
haben; und das haben sie gethan an deinen Brü-<lb/>
dern, und an deinen Schwestern. Einer wird<lb/>
daselbst auftreten und sagen: Ich habe noch ein<lb/>
Bi&#x017F;slein Brodt gehabt für mich und meine Kinder,<lb/>
aber die Regenten haben mir es aus dem Maule<lb/>
gezogen. Die Regenten, die Regenten haben<lb/>
mich drumb bracht! Ein anderer wird sagen:<lb/>
Ich hatte noch ein einziges Kühlein, das mit sei-<lb/>
ner Milch mich und meine Kinder erlabete. Ich<lb/>
habe sie aber müssen verkauffen, und das Geld<lb/>
den Regenten geben; die Regenten haben mich<lb/>
drumb bracht. Der dritte wird sagen: Ich hat<lb/>
te noch eine Decke, damit ich meinen nakten<lb/>
Leib bedecken konnte; ich habe sie aber müssen<lb/>
dahin geben, die Regenten haben mich drumb<lb/>
bracht. O das schwere Gericht, das darauf fol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0310] nen ohne Furcht leben. wenn sie solches hören. Denn so wird der Richter sagen: „Ich bin hunge- rig gewesen, und Ihr habt mich nicht gespeiset; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht geträncket; ich bin nacket gewesen, und Ihr habt mich nicht bekleidet„. O groſser Gott, was wer- den dir antworten dieselbe, die nicht allein deine arme Brüder nicht gespeiset und bekleidet. son- dern selbst viel Tausend armer Leute gemacht haben; und das haben sie gethan an deinen Brü- dern, und an deinen Schwestern. Einer wird daselbst auftreten und sagen: Ich habe noch ein Biſslein Brodt gehabt für mich und meine Kinder, aber die Regenten haben mir es aus dem Maule gezogen. Die Regenten, die Regenten haben mich drumb bracht! Ein anderer wird sagen: Ich hatte noch ein einziges Kühlein, das mit sei- ner Milch mich und meine Kinder erlabete. Ich habe sie aber müssen verkauffen, und das Geld den Regenten geben; die Regenten haben mich drumb bracht. Der dritte wird sagen: Ich hat te noch eine Decke, damit ich meinen nakten Leib bedecken konnte; ich habe sie aber müssen dahin geben, die Regenten haben mich drumb bracht. O das schwere Gericht, das darauf fol- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/310
Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/310>, abgerufen am 17.05.2024.