König an keinen dirigirender Minister mehr ge- wöhnen, wohl aber sich selbst den Geschäften des Staats mehrers widmen möchte. Der eben so staatskluge als rechtschaffene Marschall von Noailles, welcher damals in Flandern com- mandirte, klopfte, so zu sagen, auf den Busch, und liess in ein Schreiben an den König ein- fliessen: Dass er ihm wohl ein und anders, das er auf dem Herzen habe, sagen möchte; er würde aber sein Stillschweigen eher nicht bre- chen, biss es der König ausdrücklich befehlen würde. Ludwig XV. antwortete darauf dem biedern Mann in einem eigenhändigen Schrei- ben: "Der verstorbene König, mein Ur-Gross- Vater, den ich nach aller Möglichkeit nachah- men werde, hat mir auf seinem Todbett empfoh- len, in allen Sachen Rath einzuholen; zu su- chen, den besten zu erkennen, und demselben sodann stets zu folgen. Ich werde also sehr erfreut seyn, wenn Sie mir diesen Rath erthei- len wollen. Ich öfne Ihnen also den Mund, wie der Pabst den Cardinälen, und erlaube Ih- nen, das zu sagen, was Ihr Diensteifer und Ergebenheit vor mich und mein Reich Ihnen eingeben wird. Ich kenne Sie genug und lang genug, um an der Aufrichtigkeit Ihrer Gesin-
König an keinen dirigirender Minister mehr ge- wöhnen, wohl aber sich selbst den Geschäften des Staats mehrers widmen möchte. Der eben so staatskluge als rechtschaffene Marschall von Noailles, welcher damals in Flandern com- mandirte, klopfte, so zu sagen, auf den Busch, und lieſs in ein Schreiben an den König ein- flieſsen: Daſs er ihm wohl ein und anders, das er auf dem Herzen habe, sagen möchte; er würde aber sein Stillschweigen eher nicht bre- chen, biſs es der König ausdrücklich befehlen würde. Ludwig XV. antwortete darauf dem biedern Mann in einem eigenhändigen Schrei- ben: „Der verstorbene König, mein Ur-Groſs- Vater, den ich nach aller Möglichkeit nachah- men werde, hat mir auf seinem Todbett empfoh- len, in allen Sachen Rath einzuholen; zu su- chen, den besten zu erkennen, und demselben sodann stets zu folgen. Ich werde also sehr erfreut seyn, wenn Sie mir diesen Rath erthei- len wollen. Ich öfne Ihnen also den Mund, wie der Pabst den Cardinälen, und erlaube Ih- nen, das zu sagen, was Ihr Diensteifer und Ergebenheit vor mich und mein Reich Ihnen eingeben wird. Ich kenne Sie genug und lang genug, um an der Aufrichtigkeit Ihrer Gesin-
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König an keinen dirigirender Minister mehr ge-
wöhnen, wohl aber sich selbst den Geschäften
des Staats mehrers widmen möchte. Der eben
so staatskluge als rechtschaffene Marschall von
Noailles, welcher damals in Flandern com-
mandirte, klopfte, so zu sagen, auf den Busch,
und lieſs in ein Schreiben an den König ein-
flieſsen: Daſs er ihm wohl ein und anders, das
er auf dem Herzen habe, sagen möchte; er
würde aber sein Stillschweigen eher nicht bre-
chen, biſs es der König ausdrücklich befehlen
würde. Ludwig XV. antwortete darauf dem
biedern Mann in einem eigenhändigen Schrei-
ben: „Der verstorbene König, mein Ur-Groſs-
Vater, den ich nach aller Möglichkeit nachah-
men werde, hat mir auf seinem Todbett empfoh-
len, in allen Sachen Rath einzuholen; zu su-
chen, den besten zu erkennen, und demselben
sodann stets zu folgen. Ich werde also sehr
erfreut seyn, wenn Sie mir diesen Rath erthei-
len wollen. Ich öfne Ihnen also den Mund,
wie der Pabst den Cardinälen, und erlaube Ih-
nen, das zu sagen, was Ihr Diensteifer und
Ergebenheit vor mich und mein Reich Ihnen
eingeben wird. Ich kenne Sie genug und lang
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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