dass er keinen Premier-Minister habe, und wie nöthig dagegen, sich den Geschäften mit meh- rerer Anstrengung zu widmen. Dieser Rath war um so dringender, da es die wenigste Sor- ge des Cardinals war, dem Character und der Tugend des Königs eine eigenthümliche Stärke zu verschaffen, und seine Seele auf die den Königen so nöthige, unabhängige Grösse zu leiten, als vielmehr ihn gegen seine, des Car- dinals, Vorschläge geschmeidig und nachgebend zu machen. Auf diese Weise wusste er, ohne allen Anschein von Ehrgeiz, eine unumschränkte Herrschaft zu behaupten. Der schüchterne, be- scheidene, gegen sich selbst misstrauische Kö- nig gewöhnte sich, immer nur durch andere Augen zu sehen, oder andere machen zu las- sen, was sie wollten, wenn er gleich einsah, dass es besser gemacht werden könnte. Diesen Gebrechen suchte der Marschall durch eine an- dere Ordnung der Dinge abzuhelfen. Der Kö- nig sah auch die Richtigkeit der Gründe des Marschalls mit Ueberzeugung ein; er machte den Anfang, selbst regieren zu wollen. Er zog den Marschall selbst in den Staatsrath; er folgte aber nicht seinem Rath, liess die andern Mini- sters, jeden in seinem Departement, despotisi-
daſs er keinen Premier-Minister habe, und wie nöthig dagegen, sich den Geschäften mit meh- rerer Anstrengung zu widmen. Dieser Rath war um so dringender, da es die wenigste Sor- ge des Cardinals war, dem Character und der Tugend des Königs eine eigenthümliche Stärke zu verschaffen, und seine Seele auf die den Königen so nöthige, unabhängige Gröſse zu leiten, als vielmehr ihn gegen seine, des Car- dinals, Vorschläge geschmeidig und nachgebend zu machen. Auf diese Weise wuſste er, ohne allen Anschein von Ehrgeiz, eine unumschränkte Herrschaft zu behaupten. Der schüchterne, be- scheidene, gegen sich selbst miſstrauische Kö- nig gewöhnte sich, immer nur durch andere Augen zu sehen, oder andere machen zu las- sen, was sie wollten, wenn er gleich einsah, daſs es besser gemacht werden könnte. Diesen Gebrechen suchte der Marschall durch eine an- dere Ordnung der Dinge abzuhelfen. Der Kö- nig sah auch die Richtigkeit der Gründe des Marschalls mit Ueberzeugung ein; er machte den Anfang, selbst regieren zu wollen. Er zog den Marschall selbst in den Staatsrath; er folgte aber nicht seinem Rath, lieſs die andern Mini- sters, jeden in seinem Departement, despotisi-
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daſs er keinen Premier-Minister habe, und wie
nöthig dagegen, sich den Geschäften mit meh-
rerer Anstrengung zu widmen. Dieser Rath
war um so dringender, da es die wenigste Sor-
ge des Cardinals war, dem Character und der
Tugend des Königs eine eigenthümliche Stärke
zu verschaffen, und seine Seele auf die den
Königen so nöthige, unabhängige Gröſse zu
leiten, als vielmehr ihn gegen seine, des Car-
dinals, Vorschläge geschmeidig und nachgebend
zu machen. Auf diese Weise wuſste er, ohne
allen Anschein von Ehrgeiz, eine unumschränkte
Herrschaft zu behaupten. Der schüchterne, be-
scheidene, gegen sich selbst miſstrauische Kö-
nig gewöhnte sich, immer nur durch andere
Augen zu sehen, oder andere machen zu las-
sen, was sie wollten, wenn er gleich einsah,
daſs es besser gemacht werden könnte. Diesen
Gebrechen suchte der Marschall durch eine an-
dere Ordnung der Dinge abzuhelfen. Der Kö-
nig sah auch die Richtigkeit der Gründe des
Marschalls mit Ueberzeugung ein; er machte
den Anfang, selbst regieren zu wollen. Er zog
den Marschall selbst in den Staatsrath; er folgte
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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