Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Die freundliche Gestalt/ die viel bißher ergetzet/ Des Leibes Hurtigkeit fleucht itzt das Licht der Welt Das Kleinot/ das so hoch die Traurenden geschätzet/ Der Freuden Sammel-Platz wird durch den Tod verstellt. Wer solche Regungen des Blutes wil besigen Muß mehr als Hercules bey Ungeheuren seyn/ Die zärtlichste Vernunfft muß hier nur unterliegen/ Denn Tod und Liebe gehen wol kein Verbündnüß ein. Jedoch wie setzt der Mensch des Höchsten Willen Schrancken? Der Schluß ist längst gemacht: Es muß gestorben seyn. Wie mag der Erdenkloß mit seinem Schöpffer zancken? Die Hand/ die ihn gemacht/ die reist ihn wieder ein. Ein williger Soldat wird nur gedultig hören Die Stimme die ihn heist sein Leben opffern auff/ Der Zeiten Wechsel-Rad kan uns grundrichtig lehren/ Daß stehen und vergehn sey der gemeine Lauff. Es ist zwar der Natur Gesetze fast zu wider Daß der dem Sterbenden die müden Augen drückt/ Der sehnlich nur gewünscht/ wenn die verdorrten Glieder Vom Alter abgeschwächt/ daß ihm es so gelückt. Weil aber für den Tod noch niemand ist begnadet Und unsre Sterbligkeit von keinem Freybrief weiß/ Ja ausser dem gewiß/ daß Baar und Grufft nicht schadet/ Denn sie eröffnen nur die Pfort ins Paradeiß: Als wird auch hier der Schmertz sich mit Gedult verbinden/ Horatz hat unbewegt das Capitol geweyht Wie ihn die Post besprang sein Sohn sey todt zu finden. Der Anaxagoras vollführt der Fragen Streit/ Ob schon sein eintzig Kind ins Finstre sich begeben. Wie sol/ Hoch-Edler/ nicht sein unerschrocken Muth/ Der keinen Feind gescheut/ auch GOttes Schluß nachleben Der allzeit Vater ist/ wie ernstlich er sonst thut? Der hertzgeliebte Sohn schwebt unter tausend Engeln/ Die Unschuld kleidet ihn in weissen Atlas an/ Er weiß nichts von der Welt/ und ihren Sünden-Mängeln/ Nun er des Lebens Brod so wol geniessen kan. Verehr-
Leichen-Gedichte. Die freundliche Geſtalt/ die viel bißher ergetzet/ Des Leibes Hurtigkeit fleucht itzt das Licht der Welt Das Kleinot/ das ſo hoch die Traurenden geſchaͤtzet/ Der Freuden Sammel-Platz wird durch den Tod verſtellt. Wer ſolche Regungen des Blutes wil beſigen Muß mehr als Hercules bey Ungeheuren ſeyn/ Die zaͤrtlichſte Vernunfft muß hier nur unterliegen/ Denn Tod und Liebe gehen wol kein Verbuͤndnuͤß ein. Jedoch wie ſetzt der Menſch des Hoͤchſten Willen Schrancken? Der Schluß iſt laͤngſt gemacht: Es muß geſtorben ſeyn. Wie mag der Erdenkloß mit ſeinem Schoͤpffer zancken? Die Hand/ die ihn gemacht/ die reiſt ihn wieder ein. Ein williger Soldat wird nur gedultig hoͤren Die Stimme die ihn heiſt ſein Leben opffern auff/ Der Zeiten Wechſel-Rad kan uns grundrichtig lehren/ Daß ſtehen und vergehn ſey der gemeine Lauff. Es iſt zwar der Natur Geſetze faſt zu wider Daß der dem Sterbenden die muͤden Augen druͤckt/ Der ſehnlich nur gewuͤnſcht/ wenn die verdorrten Glieder Vom Alter abgeſchwaͤcht/ daß ihm es ſo geluͤckt. Weil aber fuͤr den Tod noch niemand iſt begnadet Und unſre Sterbligkeit von keinem Freybrief weiß/ Ja auſſer dem gewiß/ daß Baar und Grufft nicht ſchadet/ Denn ſie eroͤffnen nur die Pfort ins Paradeiß: Als wird auch hier der Schmertz ſich mit Gedult verbinden/ Horatz hat unbewegt das Capitol geweyht Wie ihn die Poſt beſprang ſein Sohn ſey todt zu finden. Der Anaxagoras vollfuͤhrt der Fragen Streit/ Ob ſchon ſein eintzig Kind ins Finſtre ſich begeben. Wie ſol/ Hoch-Edler/ nicht ſein unerſchrocken Muth/ Der keinen Feind geſcheut/ auch GOttes Schluß nachleben Der allzeit Vater iſt/ wie ernſtlich er ſonſt thut? Der hertzgeliebte Sohn ſchwebt unter tauſend Engeln/ Die Unſchuld kleidet ihn in weiſſen Atlas an/ Er weiß nichts von der Welt/ und ihren Suͤnden-Maͤngeln/ Nun er des Lebens Brod ſo wol genieſſen kan. Verehr-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0272" n="40"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Leichen-Gedichte.</hi> </fw><lb/> <lg> <l>Die freundliche Geſtalt/ die viel bißher ergetzet/</l><lb/> <l>Des Leibes Hurtigkeit fleucht itzt das Licht der Welt</l><lb/> <l>Das Kleinot/ das ſo hoch die Traurenden geſchaͤtzet/</l><lb/> <l>Der Freuden Sammel-Platz wird durch den Tod verſtellt.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Wer ſolche Regungen des Blutes wil beſigen</l><lb/> <l>Muß mehr als <hi rendition="#aq">Hercules</hi> bey Ungeheuren ſeyn/</l><lb/> <l>Die zaͤrtlichſte Vernunfft muß hier nur unterliegen/</l><lb/> <l>Denn Tod und Liebe gehen wol kein Verbuͤndnuͤß ein.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Jedoch wie ſetzt der Menſch des Hoͤchſten Willen Schrancken?</l><lb/> <l>Der Schluß iſt laͤngſt gemacht: Es muß geſtorben ſeyn.</l><lb/> <l>Wie mag der Erdenkloß mit ſeinem Schoͤpffer zancken?</l><lb/> <l>Die Hand/ die ihn gemacht/ die reiſt ihn wieder ein.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Ein williger Soldat wird nur gedultig hoͤren</l><lb/> <l>Die Stimme die ihn heiſt ſein Leben opffern auff/</l><lb/> <l>Der Zeiten Wechſel-Rad kan uns grundrichtig lehren/</l><lb/> <l>Daß ſtehen und vergehn ſey der gemeine Lauff.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Es iſt zwar der Natur Geſetze faſt zu wider</l><lb/> <l>Daß der dem Sterbenden die muͤden Augen druͤckt/</l><lb/> <l>Der ſehnlich nur gewuͤnſcht/ wenn die verdorrten Glieder</l><lb/> <l>Vom Alter abgeſchwaͤcht/ daß ihm es ſo geluͤckt.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Weil aber fuͤr den Tod noch niemand iſt begnadet</l><lb/> <l>Und unſre Sterbligkeit von keinem Freybrief weiß/</l><lb/> <l>Ja auſſer dem gewiß/ daß Baar und Grufft nicht ſchadet/</l><lb/> <l>Denn ſie eroͤffnen nur die Pfort ins Paradeiß:</l> </lg><lb/> <lg> <l>Als wird auch hier der Schmertz ſich mit Gedult verbinden/</l><lb/> <l><hi rendition="#aq">Horatz</hi> hat unbewegt das <hi rendition="#aq">Capitol</hi> geweyht</l><lb/> <l>Wie ihn die Poſt beſprang ſein Sohn ſey todt zu finden.</l><lb/> <l>Der <hi rendition="#aq">Anaxagoras</hi> vollfuͤhrt der Fragen Streit/</l> </lg><lb/> <lg> <l>Ob ſchon ſein eintzig Kind ins Finſtre ſich begeben.</l><lb/> <l>Wie ſol/ <hi rendition="#fr">Hoch-Edler/</hi> nicht ſein unerſchrocken Muth/</l><lb/> <l>Der keinen Feind geſcheut/ auch GOttes Schluß nachleben</l><lb/> <l>Der allzeit Vater iſt/ wie ernſtlich er ſonſt thut?</l> </lg><lb/> <lg> <l>Der hertzgeliebte Sohn ſchwebt unter tauſend Engeln/</l><lb/> <l>Die Unſchuld kleidet ihn in weiſſen Atlas an/</l><lb/> <l>Er weiß nichts von der Welt/ und ihren Suͤnden-Maͤngeln/</l><lb/> <l>Nun er des Lebens Brod ſo wol genieſſen kan.</l> </lg> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Verehr-</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [40/0272]
Leichen-Gedichte.
Die freundliche Geſtalt/ die viel bißher ergetzet/
Des Leibes Hurtigkeit fleucht itzt das Licht der Welt
Das Kleinot/ das ſo hoch die Traurenden geſchaͤtzet/
Der Freuden Sammel-Platz wird durch den Tod verſtellt.
Wer ſolche Regungen des Blutes wil beſigen
Muß mehr als Hercules bey Ungeheuren ſeyn/
Die zaͤrtlichſte Vernunfft muß hier nur unterliegen/
Denn Tod und Liebe gehen wol kein Verbuͤndnuͤß ein.
Jedoch wie ſetzt der Menſch des Hoͤchſten Willen Schrancken?
Der Schluß iſt laͤngſt gemacht: Es muß geſtorben ſeyn.
Wie mag der Erdenkloß mit ſeinem Schoͤpffer zancken?
Die Hand/ die ihn gemacht/ die reiſt ihn wieder ein.
Ein williger Soldat wird nur gedultig hoͤren
Die Stimme die ihn heiſt ſein Leben opffern auff/
Der Zeiten Wechſel-Rad kan uns grundrichtig lehren/
Daß ſtehen und vergehn ſey der gemeine Lauff.
Es iſt zwar der Natur Geſetze faſt zu wider
Daß der dem Sterbenden die muͤden Augen druͤckt/
Der ſehnlich nur gewuͤnſcht/ wenn die verdorrten Glieder
Vom Alter abgeſchwaͤcht/ daß ihm es ſo geluͤckt.
Weil aber fuͤr den Tod noch niemand iſt begnadet
Und unſre Sterbligkeit von keinem Freybrief weiß/
Ja auſſer dem gewiß/ daß Baar und Grufft nicht ſchadet/
Denn ſie eroͤffnen nur die Pfort ins Paradeiß:
Als wird auch hier der Schmertz ſich mit Gedult verbinden/
Horatz hat unbewegt das Capitol geweyht
Wie ihn die Poſt beſprang ſein Sohn ſey todt zu finden.
Der Anaxagoras vollfuͤhrt der Fragen Streit/
Ob ſchon ſein eintzig Kind ins Finſtre ſich begeben.
Wie ſol/ Hoch-Edler/ nicht ſein unerſchrocken Muth/
Der keinen Feind geſcheut/ auch GOttes Schluß nachleben
Der allzeit Vater iſt/ wie ernſtlich er ſonſt thut?
Der hertzgeliebte Sohn ſchwebt unter tauſend Engeln/
Die Unſchuld kleidet ihn in weiſſen Atlas an/
Er weiß nichts von der Welt/ und ihren Suͤnden-Maͤngeln/
Nun er des Lebens Brod ſo wol genieſſen kan.
Verehr-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/272 |
Zitationshilfe: | Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/272>, abgerufen am 27.07.2024. |