Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Daß ehrwürdige Alter/ DAs ungemenschte Bolck/ die rauhen Massageten/Bey Beerdigung Fr. M. L. g. E. den 9. Julii 1671. So theils Möotis Pful/ theils Tanais umschränckt/ Mag aus ergrimmtem Haß sein' alte Greisen tödten; Ob es die Grausamkeit auch zu beschönen denckt; Daß ein verlebter Leib nicht zu Geschäfften nütze/ Daß ein krafftloser Arm nicht ferner dienen kan/ Daß ein betagter Mann mehr bey dem Ofen sitze/ Als er zu Felde geht/ und legt den Harnisch an. So laufft doch der Natur diß Rasen gantz zuwider. Jsts möglich daß ein Mensch den andern Menschen schlacht? Und jämmerlich zermetzt sein eigen Fleisch und Glieder? Ja oft den jenen Leib so ihn zur Welt gebracht? Jhr wilden Scythen geht mit den verdammten Bräuchen/ Mit dem verfluchten Neid/ der auf das Alter fällt. Ein Anblick grauer Haar/ und derer Ehren-Zeichen Hat gar was Herrlichers in unserm Sinn bestellt. Pflantzt ein beschneites Haupt und ernstliches Gesichte Der rohen Jugend nicht Pflicht und Gehorsam ein? Weist nicht der Jahre Schnee der Weißheit reiffe Fruchte? Und bey Betagten muß auch viel Erfahrung seyn. Des Menschen Seele fängt alsdenn erst an zu leben/ Je mehr der mürbe Leib sich zu dem Grabe neigt; Jst von den Reitzungen und Lüsten nicht umbgeben/ Auß derer Keim und Kern nur lauter Unfall steigt. Da vor der Jahre May vom warmen Blut erhitzet/ Hat hier des Alters Frost die Flammen abgekühlt/ Da in Begierden vor das geile Fleisch geschwitzet/ Verzehrt es hier die Zeit daß nichts dergleichen fühlt. Zu dem verlescht auch nicht des Geistes Feuer-Funcken/ Die Asche grauer Haar/ so sie vielmehr ernehrt. Die Seele/ so vorhin von dem Geblüte truncken/ Wird gleichsam nüchtern da/ und bleibet unbeschwert. Verschwind des Leibes Krafft/ so wächst der Klugheit Stärcke/ Verblühn die Glieder schon/ so grünet der Verstand. That nicht Themistocles im Alter Wunder-Wercke? Lebt er nicht hundert Jahr an Sinnen unverwand? Und
Leichen-Gedichte. Daß ehrwuͤrdige Alter/ DAs ungemenſchte Bolck/ die rauhen Maſſageten/Bey Beerdigung Fr. M. L. g. E. den 9. Julii 1671. So theils Moͤotis Pful/ theils Tanais umſchraͤnckt/ Mag aus ergrimmtem Haß ſein’ alte Greiſen toͤdten; Ob es die Grauſamkeit auch zu beſchoͤnen denckt; Daß ein verlebter Leib nicht zu Geſchaͤfften nuͤtze/ Daß ein krafftloſer Arm nicht ferner dienen kan/ Daß ein betagter Mann mehr bey dem Ofen ſitze/ Als er zu Felde geht/ und legt den Harniſch an. So laufft doch der Natur diß Raſen gantz zuwider. Jſts moͤglich daß ein Menſch den andern Menſchen ſchlacht? Und jaͤmmerlich zermetzt ſein eigen Fleiſch und Glieder? Ja oft den jenen Leib ſo ihn zur Welt gebracht? Jhr wilden Scythen geht mit den verdammten Braͤuchen/ Mit dem verfluchten Neid/ der auf das Alter faͤllt. Ein Anblick grauer Haar/ und derer Ehren-Zeichen Hat gar was Herꝛlichers in unſerm Sinn beſtellt. Pflantzt ein beſchneites Haupt und ernſtliches Geſichte Der rohen Jugend nicht Pflicht und Gehorſam ein? Weiſt nicht der Jahre Schnee der Weißheit reiffe Fruchte? Und bey Betagten muß auch viel Erfahrung ſeyn. Des Menſchen Seele faͤngt alsdenn erſt an zu leben/ Je mehr der muͤrbe Leib ſich zu dem Grabe neigt; Jſt von den Reitzungen und Luͤſten nicht umbgeben/ Auß derer Keim und Kern nur lauter Unfall ſteigt. Da vor der Jahre May vom warmen Blut erhitzet/ Hat hier des Alters Froſt die Flammen abgekuͤhlt/ Da in Begierden vor das geile Fleiſch geſchwitzet/ Verzehrt es hier die Zeit daß nichts dergleichen fuͤhlt. Zu dem verleſcht auch nicht des Geiſtes Feuer-Funcken/ Die Aſche grauer Haar/ ſo ſie vielmehr ernehrt. Die Seele/ ſo vorhin von dem Gebluͤte truncken/ Wird gleichſam nuͤchtern da/ und bleibet unbeſchwert. Verſchwind des Leibes Krafft/ ſo waͤchſt der Klugheit Staͤrcke/ Verbluͤhn die Glieder ſchon/ ſo gruͤnet der Verſtand. That nicht Themiſtocles im Alter Wunder-Wercke? Lebt er nicht hundert Jahr an Sinnen unverwand? Und
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Leichen-Gedichte.
Daß ehrwuͤrdige Alter/
Bey Beerdigung Fr. M. L. g. E. den 9.
Julii 1671.
DAs ungemenſchte Bolck/ die rauhen Maſſageten/
So theils Moͤotis Pful/ theils Tanais umſchraͤnckt/
Mag aus ergrimmtem Haß ſein’ alte Greiſen toͤdten;
Ob es die Grauſamkeit auch zu beſchoͤnen denckt;
Daß ein verlebter Leib nicht zu Geſchaͤfften nuͤtze/
Daß ein krafftloſer Arm nicht ferner dienen kan/
Daß ein betagter Mann mehr bey dem Ofen ſitze/
Als er zu Felde geht/ und legt den Harniſch an.
So laufft doch der Natur diß Raſen gantz zuwider.
Jſts moͤglich daß ein Menſch den andern Menſchen ſchlacht?
Und jaͤmmerlich zermetzt ſein eigen Fleiſch und Glieder?
Ja oft den jenen Leib ſo ihn zur Welt gebracht?
Jhr wilden Scythen geht mit den verdammten Braͤuchen/
Mit dem verfluchten Neid/ der auf das Alter faͤllt.
Ein Anblick grauer Haar/ und derer Ehren-Zeichen
Hat gar was Herꝛlichers in unſerm Sinn beſtellt.
Pflantzt ein beſchneites Haupt und ernſtliches Geſichte
Der rohen Jugend nicht Pflicht und Gehorſam ein?
Weiſt nicht der Jahre Schnee der Weißheit reiffe Fruchte?
Und bey Betagten muß auch viel Erfahrung ſeyn.
Des Menſchen Seele faͤngt alsdenn erſt an zu leben/
Je mehr der muͤrbe Leib ſich zu dem Grabe neigt;
Jſt von den Reitzungen und Luͤſten nicht umbgeben/
Auß derer Keim und Kern nur lauter Unfall ſteigt.
Da vor der Jahre May vom warmen Blut erhitzet/
Hat hier des Alters Froſt die Flammen abgekuͤhlt/
Da in Begierden vor das geile Fleiſch geſchwitzet/
Verzehrt es hier die Zeit daß nichts dergleichen fuͤhlt.
Zu dem verleſcht auch nicht des Geiſtes Feuer-Funcken/
Die Aſche grauer Haar/ ſo ſie vielmehr ernehrt.
Die Seele/ ſo vorhin von dem Gebluͤte truncken/
Wird gleichſam nuͤchtern da/ und bleibet unbeſchwert.
Verſchwind des Leibes Krafft/ ſo waͤchſt der Klugheit Staͤrcke/
Verbluͤhn die Glieder ſchon/ ſo gruͤnet der Verſtand.
That nicht Themiſtocles im Alter Wunder-Wercke?
Lebt er nicht hundert Jahr an Sinnen unverwand?
Und
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