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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Witz/ Weißheit und Verstand/ so uns sonst leiten können/
Sind bey der letzten Reiß ein schlechter Wander-Stab.
Du/ werthste Seelige/ hast JEsum dir erwehlet
Der auch im Finsternüß kan Weg und Leuchte seyn/
Mit diesem hast du dich in Ewigkeit vermählet
Er ruffte dich als Braut in seine Wohnung ein.
Drauf kontest du getrost dein Sterbe-Hembde küssen/
Dein allerliebstes Kleid mit Freuden legen an/
Und sahest Glaubens voll den Himmel den aufschliessen
Der für das Heil der Welt längst hat genug gethan.
Wie aber/ werther Freund/ wie dämpf ich seine Zähren?
Jch lob es/ daß sich frey der Augen-Brunn ergeust.
Gemüthern/ was sie groß geschätzt und hoch begehren/
Jst Weinen eine Lust/ wie starck der Strom auch fleust.
Die Schmertzen können sich in solcher Fluth verlauffen/
Biß Gottes Hand zuletzt die Augen wieder wischt/
Und wenn der krancke Geist in Trübsal will ersauffen/
Jhn seine Güttigkeit mit Krafft und Trost erfrischt.
Derselbe richt' ihn auf und heile seine Wunden/
Daß dieser Seelen-Riß noch zu ertragen sey!
Denn wenn bey Menschen Rach und Rettung ist verschwunden/
Trägt seiner Allmacht Krafft die beste Hülffe bey.
Die Nachbarschafft des Lebens und Todtes/
Bey Beerdigung Fr. E. T. g. S. erwogen/
den 7. Aug. 1675.
WAs kan/ O Nachbarin/ ich krancker Nachbar schrei-
ben?

Der Tod sieht weder Freund-noch Nachbarschafft
mehr an.

Doch mein Versprechen soll auch nicht zurücke bleiben/
Jch halte noch mein Wort so viel ich immer kan.
Zwar wer Ergetzligkeit und schöne Blumen liebet/
Der lese nicht das Blat/ das Wermuth nur bedeckt.
Die Feder so vor längst bey Leichen außgeübet
Sucht nicht der Redner Zier/ der Dichter ihr Confect.
Jch würde/ Seelige/ dein Grab nur mit beschweren.
Wer gönnt Verlebten nicht die höchst verlangte Ruh?
Es
Leichen-Gedichte.
Witz/ Weißheit und Verſtand/ ſo uns ſonſt leiten koͤnnen/
Sind bey der letzten Reiß ein ſchlechter Wander-Stab.
Du/ werthſte Seelige/ haſt JEſum dir erwehlet
Der auch im Finſternuͤß kan Weg und Leuchte ſeyn/
Mit dieſem haſt du dich in Ewigkeit vermaͤhlet
Er ruffte dich als Braut in ſeine Wohnung ein.
Drauf konteſt du getroſt dein Sterbe-Hembde kuͤſſen/
Dein allerliebſtes Kleid mit Freuden legen an/
Und ſaheſt Glaubens voll den Himmel den aufſchlieſſen
Der fuͤr das Heil der Welt laͤngſt hat genug gethan.
Wie aber/ werther Freund/ wie daͤmpf ich ſeine Zaͤhren?
Jch lob es/ daß ſich frey der Augen-Brunn ergeuſt.
Gemuͤthern/ was ſie groß geſchaͤtzt und hoch begehren/
Jſt Weinen eine Luſt/ wie ſtarck der Strom auch fleuſt.
Die Schmertzen koͤnnen ſich in ſolcher Fluth verlauffen/
Biß Gottes Hand zuletzt die Augen wieder wiſcht/
Und wenn der krancke Geiſt in Truͤbſal will erſauffen/
Jhn ſeine Guͤttigkeit mit Krafft und Troſt erfriſcht.
Derſelbe richt’ ihn auf und heile ſeine Wunden/
Daß dieſer Seelen-Riß noch zu ertragen ſey!
Denn wenn bey Menſchen Rach und Rettung iſt verſchwunden/
Traͤgt ſeiner Allmacht Krafft die beſte Huͤlffe bey.
Die Nachbarſchafft des Lebens und Todtes/
Bey Beerdigung Fr. E. T. g. S. erwogen/
den 7. Aug. 1675.
WAs kan/ O Nachbarin/ ich krancker Nachbar ſchrei-
ben?

Der Tod ſieht weder Freund-noch Nachbarſchafft
mehr an.

Doch mein Verſprechen ſoll auch nicht zuruͤcke bleiben/
Jch halte noch mein Wort ſo viel ich immer kan.
Zwar wer Ergetzligkeit und ſchoͤne Blumen liebet/
Der leſe nicht das Blat/ das Wermuth nur bedeckt.
Die Feder ſo vor laͤngſt bey Leichen außgeuͤbet
Sucht nicht der Redner Zier/ der Dichter ihr Confect.
Jch wuͤrde/ Seelige/ dein Grab nur mit beſchweren.
Wer goͤnnt Verlebten nicht die hoͤchſt verlangte Ruh?
Es
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[223/0455] Leichen-Gedichte. Witz/ Weißheit und Verſtand/ ſo uns ſonſt leiten koͤnnen/ Sind bey der letzten Reiß ein ſchlechter Wander-Stab. Du/ werthſte Seelige/ haſt JEſum dir erwehlet Der auch im Finſternuͤß kan Weg und Leuchte ſeyn/ Mit dieſem haſt du dich in Ewigkeit vermaͤhlet Er ruffte dich als Braut in ſeine Wohnung ein. Drauf konteſt du getroſt dein Sterbe-Hembde kuͤſſen/ Dein allerliebſtes Kleid mit Freuden legen an/ Und ſaheſt Glaubens voll den Himmel den aufſchlieſſen Der fuͤr das Heil der Welt laͤngſt hat genug gethan. Wie aber/ werther Freund/ wie daͤmpf ich ſeine Zaͤhren? Jch lob es/ daß ſich frey der Augen-Brunn ergeuſt. Gemuͤthern/ was ſie groß geſchaͤtzt und hoch begehren/ Jſt Weinen eine Luſt/ wie ſtarck der Strom auch fleuſt. Die Schmertzen koͤnnen ſich in ſolcher Fluth verlauffen/ Biß Gottes Hand zuletzt die Augen wieder wiſcht/ Und wenn der krancke Geiſt in Truͤbſal will erſauffen/ Jhn ſeine Guͤttigkeit mit Krafft und Troſt erfriſcht. Derſelbe richt’ ihn auf und heile ſeine Wunden/ Daß dieſer Seelen-Riß noch zu ertragen ſey! Denn wenn bey Menſchen Rach und Rettung iſt verſchwunden/ Traͤgt ſeiner Allmacht Krafft die beſte Huͤlffe bey. Die Nachbarſchafft des Lebens und Todtes/ Bey Beerdigung Fr. E. T. g. S. erwogen/ den 7. Aug. 1675. WAs kan/ O Nachbarin/ ich krancker Nachbar ſchrei- ben? Der Tod ſieht weder Freund-noch Nachbarſchafft mehr an. Doch mein Verſprechen ſoll auch nicht zuruͤcke bleiben/ Jch halte noch mein Wort ſo viel ich immer kan. Zwar wer Ergetzligkeit und ſchoͤne Blumen liebet/ Der leſe nicht das Blat/ das Wermuth nur bedeckt. Die Feder ſo vor laͤngſt bey Leichen außgeuͤbet Sucht nicht der Redner Zier/ der Dichter ihr Confect. Jch wuͤrde/ Seelige/ dein Grab nur mit beſchweren. Wer goͤnnt Verlebten nicht die hoͤchſt verlangte Ruh? Es

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/455>, abgerufen am 22.11.2024.