Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Wenn einer/ der anitzt tieff im Gefängnüß sitzt/Mit Ketten angezwängt/ mit Fesseln hoch beschwert/ Auff dessen Scheitel nie der Sonnen Fackel blitzet Und den geklemmten Leib Stanck/ Fäul und Wurm verzehrt/ Solt' in ein Für stlich Schloß frey/ quit und ledig kommen Wie würde nicht sein Hertz und Seele sich erfreun? Und wir/ wenn unser Freund ins Himmelreich genommen/ Bemühn sich umb ihr Grab noch Thränen aus zustreun. Es ist ja nur der Leib ein Stockhaus unsrer Seele Das Fleisch ein solches Bley/ das ihre Flügel drückt. Und dennoch hängen wir an dieser Marter-Höle So fest als Echeneis die Schiffe zu sich rückt. Wer löset uns nun auff von so verwirrten Seilen? Welch starcker Samsons Arm reisst diese Strick entzwey? Heist uns nicht jene Stimm' Fleuch/ mein Geliebter/ eilen? Fleuch/ wer gefangen lebt wird nach dem Tode frey. Nunsolchem Dränger-Stall ist auch ihr Schatz entgangen/ Betrübtste/ keine Qual der Kranckheit setzt ihm zu. Wir sterben/ da er hat zu leben angefangen: Uns plagt noch Zanck und Streit/ ihr krönet Heil und Ruh. Beklagt sie endlich diß/ daß so getreue Flammen/ So ungemeine Lieb in solcher Flüchtigkeit? Gesetzt/ sie brächt ihr Wünsch und Hoffen hoch zusammen Verschlünge solches nicht der Abgrund von der Zeit? Auch diese kurtze Frist macht lang sein Angedencken/ Nichts mehr ließ Seneca als seiner Tugend Bild/ Nach dieser solte sich Paulinens Seele lencken/ Die blieb in Freud und Leid ihr schönster Ehren-Schild. Wo solche Tempel sind erbauet in dem Hertzen/ Wo diß Gedächtnüß Licht in treuen Seelen brennt/ So können sie mit Tod und mit Verwesung schertzen/ Weil er die Glieder nur/ nicht die Gemüther trennt. Hat Artemisia mit seltnen Mausoläen Die Treu zu ihrem Schatz der Zeit gemeldet an. So glaub ich/ daß auch wird in ihrer Seele stehen Sein wolverdienter Ruhm/ der nicht vermodern kan. Der prest die Redligkeit und jener ein Gemüthe Daß mit dem Gifft der Zeit und Falschheit nicht befleckt. Sein Hertze trug Metall/ daß noch von alter Güte Jn dem kein Zusatz nicht von frembdem Ertzte steckt. Sie
Leichen-Gedichte. Wenn einer/ der anitzt tieff im Gefaͤngnuͤß ſitzt/Mit Ketten angezwaͤngt/ mit Feſſeln hoch beſchwert/ Auff deſſen Scheitel nie der Sonnen Fackel blitzet Und den geklem̃ten Leib Stanck/ Faͤul und Wurm verzehrt/ Solt’ in ein Fuͤr ſtlich Schloß frey/ quit und ledig kommen Wie wuͤrde nicht ſein Hertz und Seele ſich erfreun? Und wir/ wenn unſer Freund ins Himmelreich genommen/ Bemuͤhn ſich umb ihr Grab noch Thraͤnen aus zuſtreun. Es iſt ja nur der Leib ein Stockhaus unſrer Seele Das Fleiſch ein ſolches Bley/ das ihre Fluͤgel druͤckt. Und dennoch haͤngen wir an dieſer Marter-Hoͤle So feſt als Echeneis die Schiffe zu ſich ruͤckt. Wer loͤſet uns nun auff von ſo verwirrten Seilen? Welch ſtarcker Samſons Arm reiſſt dieſe Strick entzwey? Heiſt uns nicht jene Stimm’ Fleuch/ mein Geliebter/ eilen? Fleuch/ wer gefangen lebt wird nach dem Tode frey. Nunſolchem Draͤnger-Stall iſt auch ihr Schatz entgangen/ Betruͤbtſte/ keine Qual der Kranckheit ſetzt ihm zu. Wir ſterben/ da er hat zu leben angefangen: Uns plagt noch Zanck und Streit/ ihr kroͤnet Heil und Ruh. Beklagt ſie endlich diß/ daß ſo getreue Flammen/ So ungemeine Lieb in ſolcher Fluͤchtigkeit? Geſetzt/ ſie braͤcht ihr Wuͤnſch und Hoffen hoch zuſammen Verſchluͤnge ſolches nicht der Abgrund von der Zeit? Auch dieſe kurtze Friſt macht lang ſein Angedencken/ Nichts mehr ließ Seneca als ſeiner Tugend Bild/ Nach dieſer ſolte ſich Paulinens Seele lencken/ Die blieb in Freud und Leid ihr ſchoͤnſter Ehren-Schild. Wo ſolche Tempel ſind erbauet in dem Hertzen/ Wo diß Gedaͤchtnuͤß Licht in treuen Seelen brennt/ So koͤnnen ſie mit Tod und mit Verweſung ſchertzen/ Weil er die Glieder nur/ nicht die Gemuͤther trennt. Hat Artemiſia mit ſeltnen Mauſolaͤen Die Treu zu ihrem Schatz der Zeit gemeldet an. So glaub ich/ daß auch wird in ihrer Seele ſtehen Sein wolverdienter Ruhm/ der nicht vermodern kan. Der preſt die Redligkeit und jener ein Gemuͤthe Daß mit dem Gifft der Zeit und Falſchheit nicht befleckt. Sein Hertze trug Metall/ daß noch von alter Guͤte Jn dem kein Zuſatz nicht von frembdem Ertzte ſteckt. Sie
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Leichen-Gedichte.
Wenn einer/ der anitzt tieff im Gefaͤngnuͤß ſitzt/
Mit Ketten angezwaͤngt/ mit Feſſeln hoch beſchwert/
Auff deſſen Scheitel nie der Sonnen Fackel blitzet
Und den geklem̃ten Leib Stanck/ Faͤul und Wurm verzehrt/
Solt’ in ein Fuͤr ſtlich Schloß frey/ quit und ledig kommen
Wie wuͤrde nicht ſein Hertz und Seele ſich erfreun?
Und wir/ wenn unſer Freund ins Himmelreich genommen/
Bemuͤhn ſich umb ihr Grab noch Thraͤnen aus zuſtreun.
Es iſt ja nur der Leib ein Stockhaus unſrer Seele
Das Fleiſch ein ſolches Bley/ das ihre Fluͤgel druͤckt.
Und dennoch haͤngen wir an dieſer Marter-Hoͤle
So feſt als Echeneis die Schiffe zu ſich ruͤckt.
Wer loͤſet uns nun auff von ſo verwirrten Seilen?
Welch ſtarcker Samſons Arm reiſſt dieſe Strick entzwey?
Heiſt uns nicht jene Stimm’ Fleuch/ mein Geliebter/ eilen?
Fleuch/ wer gefangen lebt wird nach dem Tode frey.
Nunſolchem Draͤnger-Stall iſt auch ihr Schatz entgangen/
Betruͤbtſte/ keine Qual der Kranckheit ſetzt ihm zu.
Wir ſterben/ da er hat zu leben angefangen:
Uns plagt noch Zanck und Streit/ ihr kroͤnet Heil und Ruh.
Beklagt ſie endlich diß/ daß ſo getreue Flammen/
So ungemeine Lieb in ſolcher Fluͤchtigkeit?
Geſetzt/ ſie braͤcht ihr Wuͤnſch und Hoffen hoch zuſammen
Verſchluͤnge ſolches nicht der Abgrund von der Zeit?
Auch dieſe kurtze Friſt macht lang ſein Angedencken/
Nichts mehr ließ Seneca als ſeiner Tugend Bild/
Nach dieſer ſolte ſich Paulinens Seele lencken/
Die blieb in Freud und Leid ihr ſchoͤnſter Ehren-Schild.
Wo ſolche Tempel ſind erbauet in dem Hertzen/
Wo diß Gedaͤchtnuͤß Licht in treuen Seelen brennt/
So koͤnnen ſie mit Tod und mit Verweſung ſchertzen/
Weil er die Glieder nur/ nicht die Gemuͤther trennt.
Hat Artemiſia mit ſeltnen Mauſolaͤen
Die Treu zu ihrem Schatz der Zeit gemeldet an.
So glaub ich/ daß auch wird in ihrer Seele ſtehen
Sein wolverdienter Ruhm/ der nicht vermodern kan.
Der preſt die Redligkeit und jener ein Gemuͤthe
Daß mit dem Gifft der Zeit und Falſchheit nicht befleckt.
Sein Hertze trug Metall/ daß noch von alter Guͤte
Jn dem kein Zuſatz nicht von frembdem Ertzte ſteckt.
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