Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Geistliche Gedichte und Lieder. Ejusdem. Desiderium VIII. Quis dabit capitimeo aquam & oculis meis fontem ACh könte sich mein Haupt in eine Fluth verkehren/ Es müsten Tropffen da wo jetzund Haare stehn/ Die Stirne wär ein Feld durchschwemmt mit heissen Zäh- ren/ Sie möchten ungehemmt auf ihren Ufern gehn. Daß die zwey Augen nicht zerrinnen in zwo Quellen/ Es wird ein eintzig Strom aus beyden Flüssen seyn/ Und brächte Heraclit sein Weinen auch zur Stelle/ So nehme meine Fluth den grösten Raum doch ein. Ob dort Andromache schon an dem Felsen thränet/ So gleicht ihr gantzes Naß doch meinen Zähren nicht/ Ob David schwemmt sein Bett und sich unendlich sehnet/ So hält der Thränen Macht den meinen kaums Gewicht. Es mag die Magdalen des HErren Füsse baden/ Jn wahrer Hertzens-Reu und ungefärbter Buß/ Und Petrus welcher sich mit Meineyd hat beladen/ Gekränckt von Furcht und Angst zerschmeltzt in einen Fluß. So ist mirs nicht genug Jch will des Nilus Gusse/ Wenn Siebenströhung er der Jsis Aecker netzt/ Und dann/ den Wassermann wann er die nassen Füsse/ Jns triebe Winter-Jahr mit vollen Krügen setzt. Wie wenn ein Wolckenbruch vom blauen Himmels-Bogen/ Mit schwartzem Ungestümm erschrecklich sich ergeust/ Stadt/ Dörffer/ Feld und Wald die stehn in Wasserwogen/ Und alles überdeckt wohin die Fluth sich reißt. So wünsch ich daß sich auch der Augen Brunn erhebe/ Und daß mein kranckes Haupt sey ein weite See/ Daß stat der Augen ich zwey Bäche von mir gebe/ Daß von den Wangen mir das Wasser niemals geh' Damit ich nimmermehr dieselben trucknen möchte/ Daß auch das Auge selbst in eigner Fluth erstickt/ Und daß die Thräne mir den letzten Tropffen brächte/ Der mit dem Weinen auch zugleich mein Leyd ausdrückt. Jhr blaues Wasser-Volck ihr Meer-Einwohnerinnen/ Seyd tausendmal beglückt die ihr verwandelt seyd/ Jhr
Geiſtliche Gedichte und Lieder. Ejusdem. Deſiderium VIII. Quis dabit capitimeo aquam & oculis meis fontem ACh koͤnte ſich mein Haupt in eine Fluth verkehren/ Es muͤſten Tropffen da wo jetzund Haare ſtehn/ Die Stirne waͤr ein Feld durchſchwemmt mit heiſſen Zaͤh- ren/ Sie moͤchten ungehemmt auf ihren Ufern gehn. Daß die zwey Augen nicht zerrinnen in zwo Quellen/ Es wird ein eintzig Strom aus beyden Fluͤſſen ſeyn/ Und braͤchte Heraclit ſein Weinen auch zur Stelle/ So nehme meine Fluth den groͤſten Raum doch ein. Ob dort Andromache ſchon an dem Felſen thraͤnet/ So gleicht ihr gantzes Naß doch meinen Zaͤhren nicht/ Ob David ſchwemmt ſein Bett und ſich unendlich ſehnet/ So haͤlt der Thraͤnen Macht den meinen kaums Gewicht. Es mag die Magdalen des HErren Fuͤſſe baden/ Jn wahrer Hertzens-Reu und ungefaͤrbter Buß/ Und Petrus welcher ſich mit Meineyd hat beladen/ Gekraͤnckt von Furcht und Angſt zerſchmeltzt in einen Fluß. So iſt mirs nicht genug Jch will des Nilus Guſſe/ Wenn Siebenſtroͤhung er der Jſis Aecker netzt/ Und dann/ den Waſſermann wann er die naſſen Fuͤſſe/ Jns triebe Winter-Jahr mit vollen Kruͤgen ſetzt. Wie wenn ein Wolckenbruch vom blauen Himmels-Bogen/ Mit ſchwartzem Ungeſtuͤmm erſchrecklich ſich ergeuſt/ Stadt/ Doͤrffer/ Feld und Wald die ſtehn in Waſſerwogen/ Und alles uͤberdeckt wohin die Fluth ſich reißt. So wuͤnſch ich daß ſich auch der Augen Brunn erhebe/ Und daß mein kranckes Haupt ſey ein weite See/ Daß ſtat der Augen ich zwey Baͤche von mir gebe/ Daß von den Wangen mir das Waſſer niemals geh’ Damit ich nimmermehr dieſelben trucknen moͤchte/ Daß auch das Auge ſelbſt in eigner Fluth erſtickt/ Und daß die Thraͤne mir den letzten Tropffen braͤchte/ Der mit dem Weinen auch zugleich mein Leyd ausdruͤckt. Jhr blaues Waſſer-Volck ihr Meer-Einwohnerinnen/ Seyd tauſendmal begluͤckt die ihr verwandelt ſeyd/ Jhr
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Geiſtliche Gedichte und Lieder.
Ejusdem. Deſiderium VIII.
Quis dabit capitimeo aquam & oculis meis fontem
Lacrymarum & plorabo die ac nocte. Jerem. 9. 1.
ACh koͤnte ſich mein Haupt in eine Fluth verkehren/
Es muͤſten Tropffen da wo jetzund Haare ſtehn/
Die Stirne waͤr ein Feld durchſchwemmt mit heiſſen Zaͤh-
ren/
Sie moͤchten ungehemmt auf ihren Ufern gehn.
Daß die zwey Augen nicht zerrinnen in zwo Quellen/
Es wird ein eintzig Strom aus beyden Fluͤſſen ſeyn/
Und braͤchte Heraclit ſein Weinen auch zur Stelle/
So nehme meine Fluth den groͤſten Raum doch ein.
Ob dort Andromache ſchon an dem Felſen thraͤnet/
So gleicht ihr gantzes Naß doch meinen Zaͤhren nicht/
Ob David ſchwemmt ſein Bett und ſich unendlich ſehnet/
So haͤlt der Thraͤnen Macht den meinen kaums Gewicht.
Es mag die Magdalen des HErren Fuͤſſe baden/
Jn wahrer Hertzens-Reu und ungefaͤrbter Buß/
Und Petrus welcher ſich mit Meineyd hat beladen/
Gekraͤnckt von Furcht und Angſt zerſchmeltzt in einen Fluß.
So iſt mirs nicht genug Jch will des Nilus Guſſe/
Wenn Siebenſtroͤhung er der Jſis Aecker netzt/
Und dann/ den Waſſermann wann er die naſſen Fuͤſſe/
Jns triebe Winter-Jahr mit vollen Kruͤgen ſetzt.
Wie wenn ein Wolckenbruch vom blauen Himmels-Bogen/
Mit ſchwartzem Ungeſtuͤmm erſchrecklich ſich ergeuſt/
Stadt/ Doͤrffer/ Feld und Wald die ſtehn in Waſſerwogen/
Und alles uͤberdeckt wohin die Fluth ſich reißt.
So wuͤnſch ich daß ſich auch der Augen Brunn erhebe/
Und daß mein kranckes Haupt ſey ein weite See/
Daß ſtat der Augen ich zwey Baͤche von mir gebe/
Daß von den Wangen mir das Waſſer niemals geh’
Damit ich nimmermehr dieſelben trucknen moͤchte/
Daß auch das Auge ſelbſt in eigner Fluth erſtickt/
Und daß die Thraͤne mir den letzten Tropffen braͤchte/
Der mit dem Weinen auch zugleich mein Leyd ausdruͤckt.
Jhr blaues Waſſer-Volck ihr Meer-Einwohnerinnen/
Seyd tauſendmal begluͤckt die ihr verwandelt ſeyd/
Jhr
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