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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Geistliche Gedichte und Lieder.
Die Hand so mich zu erst erbauet/
Die reißt mich/ ihr Geschöpff auch ein.
Wem vor des Todes Pfeilen grauet/
Der kan kein Uberwinder seyn.
Laß Fleisch und Blut das Leben lieben/
Die Seele muß sich anders üben.
Jch seh/ daß jeden Tag was stirbet;
Ja/ daß der Leib ein Siechhauß heist;
Wenn da bald Hand bald Fuß verdirbet/
Und das veralte Kleid zerschleißt:
So sucht der Geist sich frey zu machen/
Und wird der mürben Fessel lachen.
Das Eisen rost't/ die Steine brechen/
Porphyr und Marmor sind nicht vest.
Wie kan der schnöde Mensch doch sprechen/
Daß sich was Ewigs spüren läst/
Jn des verdorrten Leibes Beinen/
Den noch belebten Leichen-Steinen?
Drumb komm/ O Tod/ denn meine Seele
Er schrickt ob deiner Ankunfft nicht.
Zeuch sie aus dieses Cörpers Höle
Zu jenem unumbschriebnen Licht.
Komm süsser Gast/ mein heiß Verlangen
Jst schon bestellt dich zu empfangen.
Jch bilde mir nicht dürre Knochen/
Und wie man dich sonst mahlet ein.
Wenn meine Augen sind gebrochen/
So wirds ein sanffter Schlaf nur seyn.
Ein Thor der mag dich heßlich nennen/
Jch aber muß dich schön bekennen.
Das Grab das auch die Alten fliehen/
Nenn ich des Himmels Vorgemach.
Der Kittel den man an-muß ziehen/
Scheint heller als der Sternen Dach.
Der Schlaf ist kurtz/ die Nacht ist enge/
Zu jenes grossen Tages Länge.
Unum
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Geiſtliche Gedichte und Lieder.
Die Hand ſo mich zu erſt erbauet/
Die reißt mich/ ihr Geſchoͤpff auch ein.
Wem vor des Todes Pfeilen grauet/
Der kan kein Uberwinder ſeyn.
Laß Fleiſch und Blut das Leben lieben/
Die Seele muß ſich anders uͤben.
Jch ſeh/ daß jeden Tag was ſtirbet;
Ja/ daß der Leib ein Siechhauß heiſt;
Wenn da bald Hand bald Fuß verdirbet/
Und das veralte Kleid zerſchleißt:
So ſucht der Geiſt ſich frey zu machen/
Und wird der muͤrben Feſſel lachen.
Das Eiſen roſt’t/ die Steine brechen/
Porphyr und Marmor ſind nicht veſt.
Wie kan der ſchnoͤde Menſch doch ſprechen/
Daß ſich was Ewigs ſpuͤren laͤſt/
Jn des verdorrten Leibes Beinen/
Den noch belebten Leichen-Steinen?
Drumb komm/ O Tod/ denn meine Seele
Er ſchrickt ob deiner Ankunfft nicht.
Zeuch ſie aus dieſes Coͤrpers Hoͤle
Zu jenem unumbſchriebnen Licht.
Komm ſuͤſſer Gaſt/ mein heiß Verlangen
Jſt ſchon beſtellt dich zu empfangen.
Jch bilde mir nicht duͤrre Knochen/
Und wie man dich ſonſt mahlet ein.
Wenn meine Augen ſind gebrochen/
So wirds ein ſanffter Schlaf nur ſeyn.
Ein Thor der mag dich heßlich nennen/
Jch aber muß dich ſchoͤn bekennen.
Das Grab das auch die Alten fliehen/
Nenn ich des Himmels Vorgemach.
Der Kittel den man an-muß ziehen/
Scheint heller als der Sternen Dach.
Der Schlaf iſt kurtz/ die Nacht iſt enge/
Zu jenes groſſen Tages Laͤnge.
Unum
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[35/0763] Geiſtliche Gedichte und Lieder. Die Hand ſo mich zu erſt erbauet/ Die reißt mich/ ihr Geſchoͤpff auch ein. Wem vor des Todes Pfeilen grauet/ Der kan kein Uberwinder ſeyn. Laß Fleiſch und Blut das Leben lieben/ Die Seele muß ſich anders uͤben. Jch ſeh/ daß jeden Tag was ſtirbet; Ja/ daß der Leib ein Siechhauß heiſt; Wenn da bald Hand bald Fuß verdirbet/ Und das veralte Kleid zerſchleißt: So ſucht der Geiſt ſich frey zu machen/ Und wird der muͤrben Feſſel lachen. Das Eiſen roſt’t/ die Steine brechen/ Porphyr und Marmor ſind nicht veſt. Wie kan der ſchnoͤde Menſch doch ſprechen/ Daß ſich was Ewigs ſpuͤren laͤſt/ Jn des verdorrten Leibes Beinen/ Den noch belebten Leichen-Steinen? Drumb komm/ O Tod/ denn meine Seele Er ſchrickt ob deiner Ankunfft nicht. Zeuch ſie aus dieſes Coͤrpers Hoͤle Zu jenem unumbſchriebnen Licht. Komm ſuͤſſer Gaſt/ mein heiß Verlangen Jſt ſchon beſtellt dich zu empfangen. Jch bilde mir nicht duͤrre Knochen/ Und wie man dich ſonſt mahlet ein. Wenn meine Augen ſind gebrochen/ So wirds ein ſanffter Schlaf nur ſeyn. Ein Thor der mag dich heßlich nennen/ Jch aber muß dich ſchoͤn bekennen. Das Grab das auch die Alten fliehen/ Nenn ich des Himmels Vorgemach. Der Kittel den man an-muß ziehen/ Scheint heller als der Sternen Dach. Der Schlaf iſt kurtz/ die Nacht iſt enge/ Zu jenes groſſen Tages Laͤnge. Unum C c c c c c 2

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/763>, abgerufen am 15.05.2024.