Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Familie wetteiferten unter einander auf verschiedenen Wegen, das riesenhaft emporwachsende Scheusal zu unterdrücken. In allen Verhandlungen der Notabeln, in jeder geheimen Unternehmung zu Gunsten des Königs, in jedem offenen Kampfe für das Palladium der Krone prangen die Namen meiner Brüder unter den ersten Vorständen. Der Kammerherr gehörte zu den wenigen Begleitern der königlichen Familie auf ihrer verunglückten Flucht nach Barennes und entkam mit dem Grafen von Provence nach den Niederlanden, wohin schon früher dem ersten Ausbruche der Unruhen in der Hauptstadt der größte Theil des baaren Vermögens unserer Familie, jedoch mehr durch zufällige Umstände, als mit planmäßiger Vorsicht, gerettet worden war. Er ist, außer mir, der einzige übrig gebliebene, aber auch verstümmelte und unfruchtbare Zweig unsres einst so starken und reichen Stammes. Eine Kanonenkugel hat ihm in der Schlacht bei Gemappes, wo er als Volontair unter den Fahnen des Herzogs von Sachsen-Teschen focht, einen Fuß zerschmettert, und er lebt jetzt mit den beiden Söhnen meiner Schwester in der Schweiz. Von ihm beziehe ich meine Leibrente. Zwei meiner Brüder und auch meine Schwester sind als Opfer für die heilige Sache, welche sie bis auf ihren letzten Blutstropfen heldenmüthig verfochten haben, gefallen. Der Offizier der Leibgarde fand seinen Tod unter den Händen des wüthenden Pöbels, Familie wetteiferten unter einander auf verschiedenen Wegen, das riesenhaft emporwachsende Scheusal zu unterdrücken. In allen Verhandlungen der Notabeln, in jeder geheimen Unternehmung zu Gunsten des Königs, in jedem offenen Kampfe für das Palladium der Krone prangen die Namen meiner Brüder unter den ersten Vorständen. Der Kammerherr gehörte zu den wenigen Begleitern der königlichen Familie auf ihrer verunglückten Flucht nach Barennes und entkam mit dem Grafen von Provence nach den Niederlanden, wohin schon früher dem ersten Ausbruche der Unruhen in der Hauptstadt der größte Theil des baaren Vermögens unserer Familie, jedoch mehr durch zufällige Umstände, als mit planmäßiger Vorsicht, gerettet worden war. Er ist, außer mir, der einzige übrig gebliebene, aber auch verstümmelte und unfruchtbare Zweig unsres einst so starken und reichen Stammes. Eine Kanonenkugel hat ihm in der Schlacht bei Gemappes, wo er als Volontair unter den Fahnen des Herzogs von Sachsen-Teschen focht, einen Fuß zerschmettert, und er lebt jetzt mit den beiden Söhnen meiner Schwester in der Schweiz. Von ihm beziehe ich meine Leibrente. Zwei meiner Brüder und auch meine Schwester sind als Opfer für die heilige Sache, welche sie bis auf ihren letzten Blutstropfen heldenmüthig verfochten haben, gefallen. Der Offizier der Leibgarde fand seinen Tod unter den Händen des wüthenden Pöbels, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0104"/> Familie wetteiferten unter einander auf verschiedenen Wegen, das riesenhaft emporwachsende Scheusal zu unterdrücken. In allen Verhandlungen der Notabeln, in jeder geheimen Unternehmung zu Gunsten des Königs, in jedem offenen Kampfe für das Palladium der Krone prangen die Namen meiner Brüder unter den ersten Vorständen. Der Kammerherr gehörte zu den wenigen Begleitern der königlichen Familie auf ihrer verunglückten Flucht nach Barennes und entkam mit dem Grafen von Provence nach den Niederlanden, wohin schon früher dem ersten Ausbruche der Unruhen in der Hauptstadt der größte Theil des baaren Vermögens unserer Familie, jedoch mehr durch zufällige Umstände, als mit planmäßiger Vorsicht, gerettet worden war. Er ist, außer mir, der einzige übrig gebliebene, aber auch verstümmelte und unfruchtbare Zweig unsres einst so starken und reichen Stammes. Eine Kanonenkugel hat ihm in der Schlacht bei Gemappes, wo er als Volontair unter den Fahnen des Herzogs von Sachsen-Teschen focht, einen Fuß zerschmettert, und er lebt jetzt mit den beiden Söhnen meiner Schwester in der Schweiz. Von ihm beziehe ich meine Leibrente.</p><lb/> <p>Zwei meiner Brüder und auch meine Schwester sind als Opfer für die heilige Sache, welche sie bis auf ihren letzten Blutstropfen heldenmüthig verfochten haben, gefallen. Der Offizier der Leibgarde fand seinen Tod unter den Händen des wüthenden Pöbels,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
Familie wetteiferten unter einander auf verschiedenen Wegen, das riesenhaft emporwachsende Scheusal zu unterdrücken. In allen Verhandlungen der Notabeln, in jeder geheimen Unternehmung zu Gunsten des Königs, in jedem offenen Kampfe für das Palladium der Krone prangen die Namen meiner Brüder unter den ersten Vorständen. Der Kammerherr gehörte zu den wenigen Begleitern der königlichen Familie auf ihrer verunglückten Flucht nach Barennes und entkam mit dem Grafen von Provence nach den Niederlanden, wohin schon früher dem ersten Ausbruche der Unruhen in der Hauptstadt der größte Theil des baaren Vermögens unserer Familie, jedoch mehr durch zufällige Umstände, als mit planmäßiger Vorsicht, gerettet worden war. Er ist, außer mir, der einzige übrig gebliebene, aber auch verstümmelte und unfruchtbare Zweig unsres einst so starken und reichen Stammes. Eine Kanonenkugel hat ihm in der Schlacht bei Gemappes, wo er als Volontair unter den Fahnen des Herzogs von Sachsen-Teschen focht, einen Fuß zerschmettert, und er lebt jetzt mit den beiden Söhnen meiner Schwester in der Schweiz. Von ihm beziehe ich meine Leibrente.
Zwei meiner Brüder und auch meine Schwester sind als Opfer für die heilige Sache, welche sie bis auf ihren letzten Blutstropfen heldenmüthig verfochten haben, gefallen. Der Offizier der Leibgarde fand seinen Tod unter den Händen des wüthenden Pöbels,
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Zitationshilfe: | Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/104>, abgerufen am 16.07.2024. |