Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.garde des Königs, der dritte, ein Liebling des unglücklichen Ludwig, war Kammerherr desselben, und meine schöne Schwester lebte in Paris, verheirathet mit einem entfernten Verwandten, welcher heimlich den Grundsätzen und Plänen der Neuerer huldigte. Gott vergebe ihm! Er hat auf der Guillotine seine Verblendung gebüßt. Ich selbst, der ich meine Laufbahn als Page begonnen hatte und in der Folge einigen Gesandten als Cavalier beigegeben worden war, befand mich seit 1788 in Madrid, wohin ich von meinem Könige in einer eben so geheimen als wichtigen Angelegenheit ohne diplomatischen Charakter geschickt worden war. Denn mein Geschäft war ein persönlicher Auftrag meines Herrn und mußte daher auch unmittelbar mit dem Könige von Spanien verhandelt werden. Wäre Ludwigs Correspondenz nicht damals schon bewacht gewesen, so hätte es meiner als Zwischenträgers nicht bedurft. Indessen zeugte doch die auf mich gefallene Wahl meines Königs von dessen unbegrenztem Vertrauen auf meine verschwiegene Treue, wenn die Sache selbst auch keine außerordentliche politische Geschicklichkeit erforderte. Aber ich schweige davon; denn Ludwig ist dahingegangen, ohne das Siegel des Geheimnisses von meinen Lippen zu lösen. Unterdessen fing in meinem Vaterlande das Urngeheuer der Revolution an, seine wilde, raubsüchtige und blutige Natur zu entwickeln. Alle Glieder meiner garde des Königs, der dritte, ein Liebling des unglücklichen Ludwig, war Kammerherr desselben, und meine schöne Schwester lebte in Paris, verheirathet mit einem entfernten Verwandten, welcher heimlich den Grundsätzen und Plänen der Neuerer huldigte. Gott vergebe ihm! Er hat auf der Guillotine seine Verblendung gebüßt. Ich selbst, der ich meine Laufbahn als Page begonnen hatte und in der Folge einigen Gesandten als Cavalier beigegeben worden war, befand mich seit 1788 in Madrid, wohin ich von meinem Könige in einer eben so geheimen als wichtigen Angelegenheit ohne diplomatischen Charakter geschickt worden war. Denn mein Geschäft war ein persönlicher Auftrag meines Herrn und mußte daher auch unmittelbar mit dem Könige von Spanien verhandelt werden. Wäre Ludwigs Correspondenz nicht damals schon bewacht gewesen, so hätte es meiner als Zwischenträgers nicht bedurft. Indessen zeugte doch die auf mich gefallene Wahl meines Königs von dessen unbegrenztem Vertrauen auf meine verschwiegene Treue, wenn die Sache selbst auch keine außerordentliche politische Geschicklichkeit erforderte. Aber ich schweige davon; denn Ludwig ist dahingegangen, ohne das Siegel des Geheimnisses von meinen Lippen zu lösen. Unterdessen fing in meinem Vaterlande das Urngeheuer der Revolution an, seine wilde, raubsüchtige und blutige Natur zu entwickeln. Alle Glieder meiner <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0103"/> garde des Königs, der dritte, ein Liebling des unglücklichen Ludwig, war Kammerherr desselben, und meine schöne Schwester lebte in Paris, verheirathet mit einem entfernten Verwandten, welcher heimlich den Grundsätzen und Plänen der Neuerer huldigte. Gott vergebe ihm! Er hat auf der Guillotine seine Verblendung gebüßt.</p><lb/> <p>Ich selbst, der ich meine Laufbahn als Page begonnen hatte und in der Folge einigen Gesandten als Cavalier beigegeben worden war, befand mich seit 1788 in Madrid, wohin ich von meinem Könige in einer eben so geheimen als wichtigen Angelegenheit ohne diplomatischen Charakter geschickt worden war. Denn mein Geschäft war ein persönlicher Auftrag meines Herrn und mußte daher auch unmittelbar mit dem Könige von Spanien verhandelt werden. Wäre Ludwigs Correspondenz nicht damals schon bewacht gewesen, so hätte es meiner als Zwischenträgers nicht bedurft. Indessen zeugte doch die auf mich gefallene Wahl meines Königs von dessen unbegrenztem Vertrauen auf meine verschwiegene Treue, wenn die Sache selbst auch keine außerordentliche politische Geschicklichkeit erforderte. Aber ich schweige davon; denn Ludwig ist dahingegangen, ohne das Siegel des Geheimnisses von meinen Lippen zu lösen.</p><lb/> <p>Unterdessen fing in meinem Vaterlande das Urngeheuer der Revolution an, seine wilde, raubsüchtige und blutige Natur zu entwickeln. Alle Glieder meiner<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
garde des Königs, der dritte, ein Liebling des unglücklichen Ludwig, war Kammerherr desselben, und meine schöne Schwester lebte in Paris, verheirathet mit einem entfernten Verwandten, welcher heimlich den Grundsätzen und Plänen der Neuerer huldigte. Gott vergebe ihm! Er hat auf der Guillotine seine Verblendung gebüßt.
Ich selbst, der ich meine Laufbahn als Page begonnen hatte und in der Folge einigen Gesandten als Cavalier beigegeben worden war, befand mich seit 1788 in Madrid, wohin ich von meinem Könige in einer eben so geheimen als wichtigen Angelegenheit ohne diplomatischen Charakter geschickt worden war. Denn mein Geschäft war ein persönlicher Auftrag meines Herrn und mußte daher auch unmittelbar mit dem Könige von Spanien verhandelt werden. Wäre Ludwigs Correspondenz nicht damals schon bewacht gewesen, so hätte es meiner als Zwischenträgers nicht bedurft. Indessen zeugte doch die auf mich gefallene Wahl meines Königs von dessen unbegrenztem Vertrauen auf meine verschwiegene Treue, wenn die Sache selbst auch keine außerordentliche politische Geschicklichkeit erforderte. Aber ich schweige davon; denn Ludwig ist dahingegangen, ohne das Siegel des Geheimnisses von meinen Lippen zu lösen.
Unterdessen fing in meinem Vaterlande das Urngeheuer der Revolution an, seine wilde, raubsüchtige und blutige Natur zu entwickeln. Alle Glieder meiner
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Zitationshilfe: | Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/103>, abgerufen am 16.07.2024. |