Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.verdoppelte seine Schritte, um dem Marquis im Aussteigen behülflich zu sein. Dieser war aber ein wenig verstimmt über die Flucht seines Gefährten, die ihn an dem Thore in nicht geringe Verlegenheit gesetzt hatte, und ließ sich durchaus nicht ankommen. Auch blieb er, trotz allen Gegenvorstellungen, bei dem Wagen stehen, bis das letzte Stück ausgepackt war, wobei es, wie sich vermuthen laßt, an neugierigen Zuschauern und witzigen Bemerkungen nicht fehlen konnte. Aus dem nahen Cafe greco traten mehrere deutsche Künstler mit ihren rauchenden Tassen hervor, und einer unter ihnen, ein junger Landschaftsmaler aus Berlin, welcher den Marquis von dorther dem Rufe nach kannte, nahm das Wort und erzählte, was er von dem Wundermanne in der fabelsüchtigen Stadt gehört hatte. Dies ist der wunderlichste Kauz aller wunderlichen Kauze, die jemals das römische Pflaster betreten haben, fing er an. Ein emigrirter französischer Marquis, welcher in ganz Berlin nur der Marquis mit dem Kirschkern hieß. Er trägt nämlich beständig einen Kirschkern im Munde, den seine Geliebte ihm einmal auf den Kopf gespieen hat. Der alte Filz hat über zehntausend Thaler jährliche Leibrenten zu verzehren und lebt wie ein Arrestant von Wasser und Brot; und davon hat er einen Keichhusten bekommen, den man eine Viertelmeile weit hören kann. Er zählt die Bohnen zu seinem Kaffee, und da er jedesmal sieben und eine halbe zu einer Tasse braucht, so halbirt verdoppelte seine Schritte, um dem Marquis im Aussteigen behülflich zu sein. Dieser war aber ein wenig verstimmt über die Flucht seines Gefährten, die ihn an dem Thore in nicht geringe Verlegenheit gesetzt hatte, und ließ sich durchaus nicht ankommen. Auch blieb er, trotz allen Gegenvorstellungen, bei dem Wagen stehen, bis das letzte Stück ausgepackt war, wobei es, wie sich vermuthen laßt, an neugierigen Zuschauern und witzigen Bemerkungen nicht fehlen konnte. Aus dem nahen Café greco traten mehrere deutsche Künstler mit ihren rauchenden Tassen hervor, und einer unter ihnen, ein junger Landschaftsmaler aus Berlin, welcher den Marquis von dorther dem Rufe nach kannte, nahm das Wort und erzählte, was er von dem Wundermanne in der fabelsüchtigen Stadt gehört hatte. Dies ist der wunderlichste Kauz aller wunderlichen Kauze, die jemals das römische Pflaster betreten haben, fing er an. Ein emigrirter französischer Marquis, welcher in ganz Berlin nur der Marquis mit dem Kirschkern hieß. Er trägt nämlich beständig einen Kirschkern im Munde, den seine Geliebte ihm einmal auf den Kopf gespieen hat. Der alte Filz hat über zehntausend Thaler jährliche Leibrenten zu verzehren und lebt wie ein Arrestant von Wasser und Brot; und davon hat er einen Keichhusten bekommen, den man eine Viertelmeile weit hören kann. Er zählt die Bohnen zu seinem Kaffee, und da er jedesmal sieben und eine halbe zu einer Tasse braucht, so halbirt <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0054"/> verdoppelte seine Schritte, um dem Marquis im Aussteigen behülflich zu sein. Dieser war aber ein wenig verstimmt über die Flucht seines Gefährten, die ihn an dem Thore in nicht geringe Verlegenheit gesetzt hatte, und ließ sich durchaus nicht ankommen. Auch blieb er, trotz allen Gegenvorstellungen, bei dem Wagen stehen, bis das letzte Stück ausgepackt war, wobei es, wie sich vermuthen laßt, an neugierigen Zuschauern und witzigen Bemerkungen nicht fehlen konnte.</p><lb/> <p>Aus dem nahen Café greco traten mehrere deutsche Künstler mit ihren rauchenden Tassen hervor, und einer unter ihnen, ein junger Landschaftsmaler aus Berlin, welcher den Marquis von dorther dem Rufe nach kannte, nahm das Wort und erzählte, was er von dem Wundermanne in der fabelsüchtigen Stadt gehört hatte. Dies ist der wunderlichste Kauz aller wunderlichen Kauze, die jemals das römische Pflaster betreten haben, fing er an. Ein emigrirter französischer Marquis, welcher in ganz Berlin nur der Marquis mit dem Kirschkern hieß. Er trägt nämlich beständig einen Kirschkern im Munde, den seine Geliebte ihm einmal auf den Kopf gespieen hat. Der alte Filz hat über zehntausend Thaler jährliche Leibrenten zu verzehren und lebt wie ein Arrestant von Wasser und Brot; und davon hat er einen Keichhusten bekommen, den man eine Viertelmeile weit hören kann. Er zählt die Bohnen zu seinem Kaffee, und da er jedesmal sieben und eine halbe zu einer Tasse braucht, so halbirt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
verdoppelte seine Schritte, um dem Marquis im Aussteigen behülflich zu sein. Dieser war aber ein wenig verstimmt über die Flucht seines Gefährten, die ihn an dem Thore in nicht geringe Verlegenheit gesetzt hatte, und ließ sich durchaus nicht ankommen. Auch blieb er, trotz allen Gegenvorstellungen, bei dem Wagen stehen, bis das letzte Stück ausgepackt war, wobei es, wie sich vermuthen laßt, an neugierigen Zuschauern und witzigen Bemerkungen nicht fehlen konnte.
Aus dem nahen Café greco traten mehrere deutsche Künstler mit ihren rauchenden Tassen hervor, und einer unter ihnen, ein junger Landschaftsmaler aus Berlin, welcher den Marquis von dorther dem Rufe nach kannte, nahm das Wort und erzählte, was er von dem Wundermanne in der fabelsüchtigen Stadt gehört hatte. Dies ist der wunderlichste Kauz aller wunderlichen Kauze, die jemals das römische Pflaster betreten haben, fing er an. Ein emigrirter französischer Marquis, welcher in ganz Berlin nur der Marquis mit dem Kirschkern hieß. Er trägt nämlich beständig einen Kirschkern im Munde, den seine Geliebte ihm einmal auf den Kopf gespieen hat. Der alte Filz hat über zehntausend Thaler jährliche Leibrenten zu verzehren und lebt wie ein Arrestant von Wasser und Brot; und davon hat er einen Keichhusten bekommen, den man eine Viertelmeile weit hören kann. Er zählt die Bohnen zu seinem Kaffee, und da er jedesmal sieben und eine halbe zu einer Tasse braucht, so halbirt
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