Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihm wirklich, als ob sein alter Freund eben den Mund öffnen wollte, um ihn zu schelten. Lassen wir das jetzt dahingestellt! nahm der Professor nach einer kurzen Pause die Rede wieder auf. Ziehn Sie Ihre Maskenkleider aus und kommen Sie zu mir herauf, ohne Umstände, zu einem Salat und einer Fogliette selbstgekelterten Albaner. Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzutheilen von den letzten Augenblicken des Marquis, dessen Zeichen und Winke Sie wahrscheinlich besser auszudeuten verstehen werden, als ich. Unterdessen schicke ich dem alten Cecco einen Gehülfen von meinen Leuten, um die Leiche auf ein Lager zu bringen. Kommen Sie heraus. Es fängt an, mir unbehaglich zu Muthe zu werden in dem Cabinet. Arthur folgte ohne Widerstand dem Professor, welcher seinen Arm ergriffen hatte, um ihn aus der dämmernden Klause des Todes in das helle Licht des Lebens zurückzuführen. Das große Fenster mit der freien Aussicht über die ewige Stadt war hoch aufgeschoben, und eben sank die Sonne, mit Gold und Purpur angethan, hinter die Cypressen des Monte Mario. Ihre letzten Strahlen lösten sich wie in schmerzlicher Trennung von den Kuppeln und Zinnen, und man hätte ihr noch heute, wie vor achtzehnhundert Jahren, zurufen mögen: Nährer Sol, deß leuchtender Wagen Tag uns Offenbaret und hehlet, der stets ein Andrer, ihm wirklich, als ob sein alter Freund eben den Mund öffnen wollte, um ihn zu schelten. Lassen wir das jetzt dahingestellt! nahm der Professor nach einer kurzen Pause die Rede wieder auf. Ziehn Sie Ihre Maskenkleider aus und kommen Sie zu mir herauf, ohne Umstände, zu einem Salat und einer Fogliette selbstgekelterten Albaner. Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzutheilen von den letzten Augenblicken des Marquis, dessen Zeichen und Winke Sie wahrscheinlich besser auszudeuten verstehen werden, als ich. Unterdessen schicke ich dem alten Cecco einen Gehülfen von meinen Leuten, um die Leiche auf ein Lager zu bringen. Kommen Sie heraus. Es fängt an, mir unbehaglich zu Muthe zu werden in dem Cabinet. Arthur folgte ohne Widerstand dem Professor, welcher seinen Arm ergriffen hatte, um ihn aus der dämmernden Klause des Todes in das helle Licht des Lebens zurückzuführen. Das große Fenster mit der freien Aussicht über die ewige Stadt war hoch aufgeschoben, und eben sank die Sonne, mit Gold und Purpur angethan, hinter die Cypressen des Monte Mario. Ihre letzten Strahlen lösten sich wie in schmerzlicher Trennung von den Kuppeln und Zinnen, und man hätte ihr noch heute, wie vor achtzehnhundert Jahren, zurufen mögen: Nährer Sol, deß leuchtender Wagen Tag uns Offenbaret und hehlet, der stets ein Andrer, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="12"> <p><pb facs="#f0093"/> ihm wirklich, als ob sein alter Freund eben den Mund öffnen wollte, um ihn zu schelten.</p><lb/> <p>Lassen wir das jetzt dahingestellt! nahm der Professor nach einer kurzen Pause die Rede wieder auf. Ziehn Sie Ihre Maskenkleider aus und kommen Sie zu mir herauf, ohne Umstände, zu einem Salat und einer Fogliette selbstgekelterten Albaner. Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzutheilen von den letzten Augenblicken des Marquis, dessen Zeichen und Winke Sie wahrscheinlich besser auszudeuten verstehen werden, als ich. Unterdessen schicke ich dem alten Cecco einen Gehülfen von meinen Leuten, um die Leiche auf ein Lager zu bringen. Kommen Sie heraus. Es fängt an, mir unbehaglich zu Muthe zu werden in dem Cabinet.</p><lb/> <p>Arthur folgte ohne Widerstand dem Professor, welcher seinen Arm ergriffen hatte, um ihn aus der dämmernden Klause des Todes in das helle Licht des Lebens zurückzuführen. Das große Fenster mit der freien Aussicht über die ewige Stadt war hoch aufgeschoben, und eben sank die Sonne, mit Gold und Purpur angethan, hinter die Cypressen des Monte Mario. Ihre letzten Strahlen lösten sich wie in schmerzlicher Trennung von den Kuppeln und Zinnen, und man hätte ihr noch heute, wie vor achtzehnhundert Jahren, zurufen mögen:</p><lb/> <lg> <l>Nährer Sol, deß leuchtender Wagen Tag uns</l> <l>Offenbaret und hehlet, der stets ein Andrer,</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
ihm wirklich, als ob sein alter Freund eben den Mund öffnen wollte, um ihn zu schelten.
Lassen wir das jetzt dahingestellt! nahm der Professor nach einer kurzen Pause die Rede wieder auf. Ziehn Sie Ihre Maskenkleider aus und kommen Sie zu mir herauf, ohne Umstände, zu einem Salat und einer Fogliette selbstgekelterten Albaner. Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzutheilen von den letzten Augenblicken des Marquis, dessen Zeichen und Winke Sie wahrscheinlich besser auszudeuten verstehen werden, als ich. Unterdessen schicke ich dem alten Cecco einen Gehülfen von meinen Leuten, um die Leiche auf ein Lager zu bringen. Kommen Sie heraus. Es fängt an, mir unbehaglich zu Muthe zu werden in dem Cabinet.
Arthur folgte ohne Widerstand dem Professor, welcher seinen Arm ergriffen hatte, um ihn aus der dämmernden Klause des Todes in das helle Licht des Lebens zurückzuführen. Das große Fenster mit der freien Aussicht über die ewige Stadt war hoch aufgeschoben, und eben sank die Sonne, mit Gold und Purpur angethan, hinter die Cypressen des Monte Mario. Ihre letzten Strahlen lösten sich wie in schmerzlicher Trennung von den Kuppeln und Zinnen, und man hätte ihr noch heute, wie vor achtzehnhundert Jahren, zurufen mögen:
Nährer Sol, deß leuchtender Wagen Tag uns Offenbaret und hehlet, der stets ein Andrer,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/93 |
Zitationshilfe: | Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/93>, abgerufen am 16.07.2024. |