Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

ist, der aber früh verloren gegangen, und nur durch ein
göttliches Licht hat wieder gefunden werden können, und von
den Weisen der Erde doch wieder vergessen worden ist. Er
heißt: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst
und um dieß höchst dunkle und mystische Wort den Philosophen
und Oekonomen dieser Tage zu übersetzen: Erfülle dich ganz
von der innersten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange
nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll-
ständigkeit und Ewigkeit, welche du begehrst, umfaßt, und
dann um dieser Ganzheit willen erkenne außer dir deines
Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unüber-
windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen-
stand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.

Also, damit das Bedürfniß aller Bedürfnisse befriedigt
werden könne, muß der Mensch ein unendliches Verlangen
der Aneignung empfinden: Hunger und Durst und tausend-
fältige Mängel pflegen und bestärken dieses Verlangen; aber
damit dieses Verlangen nicht unabhängig für sich, ohne ein
anderes beschränkendes und dämpfendes Element, wie ein sich
selbst überlassenes, verzehrendes Feuer rase, muß es gehemmt
werden durch seinen Gegenstand, -- muß ihm ein unendliches
Versagen zur Seite gehn. --

Die Sachen scheinen diesem verzehrenden Verlangen un-
bedingt unterworfen; aber da sich, nach der Einrichtung die-
ser Welt, die Sachen nicht aneignen lassen, als vermittelst der
Personen, da bald die Personen selbst zum Gegenstande des
allerungestümsten Verlangens werden, dieses Verlangen aber
nur deßhalb so ungestüm ist, weil es nichts Aeußeres an den

iſt, der aber fruͤh verloren gegangen, und nur durch ein
goͤttliches Licht hat wieder gefunden werden koͤnnen, und von
den Weiſen der Erde doch wieder vergeſſen worden iſt. Er
heißt: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤchſten als dich ſelbſt
und um dieß hoͤchſt dunkle und myſtiſche Wort den Philoſophen
und Oekonomen dieſer Tage zu uͤberſetzen: Erfuͤlle dich ganz
von der innerſten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange
nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll-
ſtaͤndigkeit und Ewigkeit, welche du begehrſt, umfaßt, und
dann um dieſer Ganzheit willen erkenne außer dir deines
Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unuͤber-
windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen-
ſtand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.

Alſo, damit das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe befriedigt
werden koͤnne, muß der Menſch ein unendliches Verlangen
der Aneignung empfinden: Hunger und Durſt und tauſend-
faͤltige Maͤngel pflegen und beſtaͤrken dieſes Verlangen; aber
damit dieſes Verlangen nicht unabhaͤngig fuͤr ſich, ohne ein
anderes beſchraͤnkendes und daͤmpfendes Element, wie ein ſich
ſelbſt uͤberlaſſenes, verzehrendes Feuer raſe, muß es gehemmt
werden durch ſeinen Gegenſtand, — muß ihm ein unendliches
Verſagen zur Seite gehn. —

Die Sachen ſcheinen dieſem verzehrenden Verlangen un-
bedingt unterworfen; aber da ſich, nach der Einrichtung die-
ſer Welt, die Sachen nicht aneignen laſſen, als vermittelſt der
Perſonen, da bald die Perſonen ſelbſt zum Gegenſtande des
allerungeſtuͤmſten Verlangens werden, dieſes Verlangen aber
nur deßhalb ſo ungeſtuͤm iſt, weil es nichts Aeußeres an den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0121" n="107"/>
i&#x017F;t, der aber fru&#x0364;h verloren gegangen, und nur durch ein<lb/>
go&#x0364;ttliches Licht hat wieder gefunden werden ko&#x0364;nnen, und von<lb/>
den Wei&#x017F;en der Erde doch wieder verge&#x017F;&#x017F;en worden i&#x017F;t. Er<lb/>
heißt: Liebe Gott u&#x0364;ber alles und deinen Na&#x0364;ch&#x017F;ten als dich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und um dieß ho&#x0364;ch&#x017F;t dunkle und my&#x017F;ti&#x017F;che Wort den Philo&#x017F;ophen<lb/>
und Oekonomen die&#x017F;er Tage zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen: Erfu&#x0364;lle dich ganz<lb/>
von der inner&#x017F;ten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange<lb/>
nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit und Ewigkeit, welche du begehr&#x017F;t, umfaßt, und<lb/>
dann um die&#x017F;er Ganzheit willen erkenne außer dir deines<lb/>
Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unu&#x0364;ber-<lb/>
windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen-<lb/>
&#x017F;tand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o, damit das Bedu&#x0364;rfniß aller Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e befriedigt<lb/>
werden ko&#x0364;nne, muß der Men&#x017F;ch ein unendliches Verlangen<lb/>
der Aneignung empfinden: Hunger und Dur&#x017F;t und tau&#x017F;end-<lb/>
fa&#x0364;ltige Ma&#x0364;ngel pflegen und be&#x017F;ta&#x0364;rken die&#x017F;es Verlangen; aber<lb/>
damit die&#x017F;es Verlangen nicht unabha&#x0364;ngig fu&#x0364;r &#x017F;ich, ohne ein<lb/>
anderes be&#x017F;chra&#x0364;nkendes und da&#x0364;mpfendes Element, wie ein &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;enes, verzehrendes Feuer ra&#x017F;e, muß es gehemmt<lb/>
werden durch &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand, &#x2014; muß ihm ein unendliches<lb/>
Ver&#x017F;agen zur Seite gehn. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Sachen &#x017F;cheinen die&#x017F;em verzehrenden Verlangen un-<lb/>
bedingt unterworfen; aber da &#x017F;ich, nach der Einrichtung die-<lb/>
&#x017F;er Welt, die Sachen nicht aneignen la&#x017F;&#x017F;en, als vermittel&#x017F;t der<lb/>
Per&#x017F;onen, da bald die Per&#x017F;onen &#x017F;elb&#x017F;t zum Gegen&#x017F;tande des<lb/>
allerunge&#x017F;tu&#x0364;m&#x017F;ten Verlangens werden, die&#x017F;es Verlangen aber<lb/>
nur deßhalb &#x017F;o unge&#x017F;tu&#x0364;m i&#x017F;t, weil es nichts Aeußeres an den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0121] iſt, der aber fruͤh verloren gegangen, und nur durch ein goͤttliches Licht hat wieder gefunden werden koͤnnen, und von den Weiſen der Erde doch wieder vergeſſen worden iſt. Er heißt: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤchſten als dich ſelbſt und um dieß hoͤchſt dunkle und myſtiſche Wort den Philoſophen und Oekonomen dieſer Tage zu uͤberſetzen: Erfuͤlle dich ganz von der innerſten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll- ſtaͤndigkeit und Ewigkeit, welche du begehrſt, umfaßt, und dann um dieſer Ganzheit willen erkenne außer dir deines Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unuͤber- windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen- ſtand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe. Alſo, damit das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe befriedigt werden koͤnne, muß der Menſch ein unendliches Verlangen der Aneignung empfinden: Hunger und Durſt und tauſend- faͤltige Maͤngel pflegen und beſtaͤrken dieſes Verlangen; aber damit dieſes Verlangen nicht unabhaͤngig fuͤr ſich, ohne ein anderes beſchraͤnkendes und daͤmpfendes Element, wie ein ſich ſelbſt uͤberlaſſenes, verzehrendes Feuer raſe, muß es gehemmt werden durch ſeinen Gegenſtand, — muß ihm ein unendliches Verſagen zur Seite gehn. — Die Sachen ſcheinen dieſem verzehrenden Verlangen un- bedingt unterworfen; aber da ſich, nach der Einrichtung die- ſer Welt, die Sachen nicht aneignen laſſen, als vermittelſt der Perſonen, da bald die Perſonen ſelbſt zum Gegenſtande des allerungeſtuͤmſten Verlangens werden, dieſes Verlangen aber nur deßhalb ſo ungeſtuͤm iſt, weil es nichts Aeußeres an den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/121
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/121>, abgerufen am 21.11.2024.