Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Personen, sondern ihre innere Persönlichkeit selbst begehrt,
diese Persönlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern
sie das Bleibende ist, unter allem vergänglichen Aussenwesen,
also begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar ist für
alles Begehren, -- so muß der Mensch aus diesem Wider-
spruch zurückkehren, mit dem Bewußtseyn eines Doppelverlan-
gens: er muß anerkennen, daß in seinem Drange nach der
Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß
die Dinge beharren möchten in ihrer Eigenheit, damit eine
unendliche Aneignung möglich sey: diese unendliche Aneignung
nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott selbst anzuschauen
als diese Liebe.

Das Bedürfniß aller Bedürfnisse, das Bedürfniß nach der
Ganzheit und Ewigkeit, wird also befriedigt durch die Erkennt-
niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die
unendliche Ausübung der Liebe, indem die Eigenheit und Un-
überwindlichkeit aller Gegenstände der Liebe anerkannt wird.

Kein Bedürfniß des Lebens wird auf eine andere Weise be-
friedigt: mit jedem Bissen für unsern Hunger, mit jedem
Tropfen für unsern Durst wollen wir zugleich die Beruhigung
speisen und trinken, daß wir diese Begierden immer werden
befriedigen können, daß alle anderen Bedingungen dieser Be-
friedigung dauern werden, daß auch der Nächste, dessen liebe-
vollen Beystand wir brauchen um dieses Brotes und dieses
Weines willen, sich derselbigen Befriedigung erfreue, daß also
das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge-
schöpfe der Tage unter einander und diese regelmäßig mit jenen
verbindet.

Perſonen, ſondern ihre innere Perſoͤnlichkeit ſelbſt begehrt,
dieſe Perſoͤnlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern
ſie das Bleibende iſt, unter allem vergaͤnglichen Auſſenweſen,
alſo begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar iſt fuͤr
alles Begehren, — ſo muß der Menſch aus dieſem Wider-
ſpruch zuruͤckkehren, mit dem Bewußtſeyn eines Doppelverlan-
gens: er muß anerkennen, daß in ſeinem Drange nach der
Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß
die Dinge beharren moͤchten in ihrer Eigenheit, damit eine
unendliche Aneignung moͤglich ſey: dieſe unendliche Aneignung
nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott ſelbſt anzuſchauen
als dieſe Liebe.

Das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, das Beduͤrfniß nach der
Ganzheit und Ewigkeit, wird alſo befriedigt durch die Erkennt-
niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die
unendliche Ausuͤbung der Liebe, indem die Eigenheit und Un-
uͤberwindlichkeit aller Gegenſtaͤnde der Liebe anerkannt wird.

Kein Beduͤrfniß des Lebens wird auf eine andere Weiſe be-
friedigt: mit jedem Biſſen fuͤr unſern Hunger, mit jedem
Tropfen fuͤr unſern Durſt wollen wir zugleich die Beruhigung
ſpeiſen und trinken, daß wir dieſe Begierden immer werden
befriedigen koͤnnen, daß alle anderen Bedingungen dieſer Be-
friedigung dauern werden, daß auch der Naͤchſte, deſſen liebe-
vollen Beyſtand wir brauchen um dieſes Brotes und dieſes
Weines willen, ſich derſelbigen Befriedigung erfreue, daß alſo
das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge-
ſchoͤpfe der Tage unter einander und dieſe regelmaͤßig mit jenen
verbindet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="108"/>
Per&#x017F;onen, &#x017F;ondern ihre innere Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit &#x017F;elb&#x017F;t begehrt,<lb/>
die&#x017F;e Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern<lb/>
&#x017F;ie das Bleibende i&#x017F;t, unter allem verga&#x0364;nglichen Au&#x017F;&#x017F;enwe&#x017F;en,<lb/>
al&#x017F;o begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar i&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
alles Begehren, &#x2014; &#x017F;o muß der Men&#x017F;ch aus die&#x017F;em Wider-<lb/>
&#x017F;pruch zuru&#x0364;ckkehren, mit dem Bewußt&#x017F;eyn eines Doppelverlan-<lb/>
gens: er muß anerkennen, daß in &#x017F;einem Drange nach der<lb/>
Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß<lb/>
die Dinge beharren mo&#x0364;chten in ihrer Eigenheit, damit eine<lb/>
unendliche Aneignung mo&#x0364;glich &#x017F;ey: die&#x017F;e unendliche Aneignung<lb/>
nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott &#x017F;elb&#x017F;t anzu&#x017F;chauen<lb/>
als die&#x017F;e Liebe.</p><lb/>
          <p>Das Bedu&#x0364;rfniß aller Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, das Bedu&#x0364;rfniß nach der<lb/>
Ganzheit und Ewigkeit, wird al&#x017F;o befriedigt durch die Erkennt-<lb/>
niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die<lb/>
unendliche Ausu&#x0364;bung der Liebe, indem die Eigenheit und Un-<lb/>
u&#x0364;berwindlichkeit aller Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Liebe anerkannt wird.</p><lb/>
          <p>Kein Bedu&#x0364;rfniß des Lebens wird auf eine andere Wei&#x017F;e be-<lb/>
friedigt: mit jedem Bi&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r un&#x017F;ern Hunger, mit jedem<lb/>
Tropfen fu&#x0364;r un&#x017F;ern Dur&#x017F;t wollen wir zugleich die Beruhigung<lb/>
&#x017F;pei&#x017F;en und trinken, daß wir die&#x017F;e Begierden immer werden<lb/>
befriedigen ko&#x0364;nnen, daß alle anderen Bedingungen die&#x017F;er Be-<lb/>
friedigung dauern werden, daß auch der Na&#x0364;ch&#x017F;te, de&#x017F;&#x017F;en liebe-<lb/>
vollen Bey&#x017F;tand wir brauchen um die&#x017F;es Brotes und die&#x017F;es<lb/>
Weines willen, &#x017F;ich der&#x017F;elbigen Befriedigung erfreue, daß al&#x017F;o<lb/>
das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfe der Tage unter einander und die&#x017F;e regelma&#x0364;ßig mit jenen<lb/>
verbindet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0122] Perſonen, ſondern ihre innere Perſoͤnlichkeit ſelbſt begehrt, dieſe Perſoͤnlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern ſie das Bleibende iſt, unter allem vergaͤnglichen Auſſenweſen, alſo begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar iſt fuͤr alles Begehren, — ſo muß der Menſch aus dieſem Wider- ſpruch zuruͤckkehren, mit dem Bewußtſeyn eines Doppelverlan- gens: er muß anerkennen, daß in ſeinem Drange nach der Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß die Dinge beharren moͤchten in ihrer Eigenheit, damit eine unendliche Aneignung moͤglich ſey: dieſe unendliche Aneignung nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott ſelbſt anzuſchauen als dieſe Liebe. Das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, das Beduͤrfniß nach der Ganzheit und Ewigkeit, wird alſo befriedigt durch die Erkennt- niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die unendliche Ausuͤbung der Liebe, indem die Eigenheit und Un- uͤberwindlichkeit aller Gegenſtaͤnde der Liebe anerkannt wird. Kein Beduͤrfniß des Lebens wird auf eine andere Weiſe be- friedigt: mit jedem Biſſen fuͤr unſern Hunger, mit jedem Tropfen fuͤr unſern Durſt wollen wir zugleich die Beruhigung ſpeiſen und trinken, daß wir dieſe Begierden immer werden befriedigen koͤnnen, daß alle anderen Bedingungen dieſer Be- friedigung dauern werden, daß auch der Naͤchſte, deſſen liebe- vollen Beyſtand wir brauchen um dieſes Brotes und dieſes Weines willen, ſich derſelbigen Befriedigung erfreue, daß alſo das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge- ſchoͤpfe der Tage unter einander und dieſe regelmaͤßig mit jenen verbindet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/122
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/122>, abgerufen am 21.11.2024.