Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Aus allen einzelnen Menschen, wie oben aus den Indi-
viduen jeder besonderen Gattung formirt sich ein mittlerer
Mensch, und die Glieder dieses mittleren Menschen sind die
vollkommenen Maaßstäbe: alle andern Maaßstäbe sind nur
Repräsentanten, Substituten, Andeutungen dieser mittelsten
Maaßstäbe; alle andern sind veränderlich, diese sind die mög-
lichst festen, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende
nach ihrer Festigkeit streben können. Dieser mittlere Mensch,
von dem die festen Maaßstäbe kommen, ist, wie schon in der
Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenstand des un-
endlichen Strebens aller einzelnen Menschen; alle wollen sich
zu seiner Fülle und Vollständigkeit erheben. Es ist der Staat
selbst.

Also gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf,
irgend einen Maaßstab auf dem abstrakten und vorgeblich
mathemathischen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen
des Lebens, mit den starren Linien des abgetödteten Ver-
standes messen zu wollen.

Wie der Maaßstab einer bestimmten Gattung eigentlich
nichts anderes ist, als die Axe, um die sich die ganze Gat-
tung dreht, so müssen auch überhaupt die Begriffe des Men-
schen von den einzelnen Gattungen, als solche Axen gedacht
werden. Der Begriff Pferd ist nicht etwa ein Convolut von
Eigenschaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen
werden; vielmehr ist er unzertrennlich von der ganzen Gat-
tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr;
er wächst, er bestimmt sich schärfer mit jeder neuen hinzu-
tretenden Anomalie. --

Aus allen einzelnen Menſchen, wie oben aus den Indi-
viduen jeder beſonderen Gattung formirt ſich ein mittlerer
Menſch, und die Glieder dieſes mittleren Menſchen ſind die
vollkommenen Maaßſtaͤbe: alle andern Maaßſtaͤbe ſind nur
Repraͤſentanten, Subſtituten, Andeutungen dieſer mittelſten
Maaßſtaͤbe; alle andern ſind veraͤnderlich, dieſe ſind die moͤg-
lichſt feſten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende
nach ihrer Feſtigkeit ſtreben koͤnnen. Dieſer mittlere Menſch,
von dem die feſten Maaßſtaͤbe kommen, iſt, wie ſchon in der
Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenſtand des un-
endlichen Strebens aller einzelnen Menſchen; alle wollen ſich
zu ſeiner Fuͤlle und Vollſtaͤndigkeit erheben. Es iſt der Staat
ſelbſt.

Alſo gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf,
irgend einen Maaßſtab auf dem abſtrakten und vorgeblich
mathemathiſchen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen
des Lebens, mit den ſtarren Linien des abgetoͤdteten Ver-
ſtandes meſſen zu wollen.

Wie der Maaßſtab einer beſtimmten Gattung eigentlich
nichts anderes iſt, als die Axe, um die ſich die ganze Gat-
tung dreht, ſo muͤſſen auch uͤberhaupt die Begriffe des Men-
ſchen von den einzelnen Gattungen, als ſolche Axen gedacht
werden. Der Begriff Pferd iſt nicht etwa ein Convolut von
Eigenſchaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen
werden; vielmehr iſt er unzertrennlich von der ganzen Gat-
tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr;
er waͤchſt, er beſtimmt ſich ſchaͤrfer mit jeder neuen hinzu-
tretenden Anomalie. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0204" n="190"/>
          <p>Aus allen einzelnen Men&#x017F;chen, wie oben aus den Indi-<lb/>
viduen jeder be&#x017F;onderen Gattung formirt &#x017F;ich ein mittlerer<lb/>
Men&#x017F;ch, und die Glieder die&#x017F;es mittleren Men&#x017F;chen &#x017F;ind die<lb/>
vollkommenen Maaß&#x017F;ta&#x0364;be: alle andern Maaß&#x017F;ta&#x0364;be &#x017F;ind nur<lb/>
Repra&#x0364;&#x017F;entanten, Sub&#x017F;tituten, Andeutungen die&#x017F;er mittel&#x017F;ten<lb/>
Maaß&#x017F;ta&#x0364;be; alle andern &#x017F;ind vera&#x0364;nderlich, die&#x017F;e &#x017F;ind die mo&#x0364;g-<lb/>
lich&#x017F;t fe&#x017F;ten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende<lb/>
nach ihrer Fe&#x017F;tigkeit &#x017F;treben ko&#x0364;nnen. Die&#x017F;er mittlere Men&#x017F;ch,<lb/>
von dem die fe&#x017F;ten Maaß&#x017F;ta&#x0364;be kommen, i&#x017F;t, wie &#x017F;chon in der<lb/>
Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegen&#x017F;tand des un-<lb/>
endlichen Strebens aller einzelnen Men&#x017F;chen; alle wollen &#x017F;ich<lb/>
zu &#x017F;einer Fu&#x0364;lle und Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit erheben. Es i&#x017F;t der Staat<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf,<lb/>
irgend einen Maaß&#x017F;tab auf dem ab&#x017F;trakten und vorgeblich<lb/>
mathemathi&#x017F;chen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen<lb/>
des Lebens, mit den &#x017F;tarren Linien des abgeto&#x0364;dteten Ver-<lb/>
&#x017F;tandes me&#x017F;&#x017F;en zu wollen.</p><lb/>
          <p>Wie der Maaß&#x017F;tab einer be&#x017F;timmten Gattung eigentlich<lb/>
nichts anderes i&#x017F;t, als die Axe, um die &#x017F;ich die ganze Gat-<lb/>
tung dreht, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auch u&#x0364;berhaupt die Begriffe des Men-<lb/>
&#x017F;chen von den einzelnen Gattungen, als &#x017F;olche Axen gedacht<lb/>
werden. Der Begriff Pferd i&#x017F;t nicht etwa ein Convolut von<lb/>
Eigen&#x017F;chaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen<lb/>
werden; vielmehr i&#x017F;t er unzertrennlich von der ganzen Gat-<lb/>
tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr;<lb/>
er wa&#x0364;ch&#x017F;t, er be&#x017F;timmt &#x017F;ich &#x017F;cha&#x0364;rfer mit jeder neuen hinzu-<lb/>
tretenden Anomalie. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0204] Aus allen einzelnen Menſchen, wie oben aus den Indi- viduen jeder beſonderen Gattung formirt ſich ein mittlerer Menſch, und die Glieder dieſes mittleren Menſchen ſind die vollkommenen Maaßſtaͤbe: alle andern Maaßſtaͤbe ſind nur Repraͤſentanten, Subſtituten, Andeutungen dieſer mittelſten Maaßſtaͤbe; alle andern ſind veraͤnderlich, dieſe ſind die moͤg- lichſt feſten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende nach ihrer Feſtigkeit ſtreben koͤnnen. Dieſer mittlere Menſch, von dem die feſten Maaßſtaͤbe kommen, iſt, wie ſchon in der Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenſtand des un- endlichen Strebens aller einzelnen Menſchen; alle wollen ſich zu ſeiner Fuͤlle und Vollſtaͤndigkeit erheben. Es iſt der Staat ſelbſt. Alſo gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf, irgend einen Maaßſtab auf dem abſtrakten und vorgeblich mathemathiſchen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen des Lebens, mit den ſtarren Linien des abgetoͤdteten Ver- ſtandes meſſen zu wollen. Wie der Maaßſtab einer beſtimmten Gattung eigentlich nichts anderes iſt, als die Axe, um die ſich die ganze Gat- tung dreht, ſo muͤſſen auch uͤberhaupt die Begriffe des Men- ſchen von den einzelnen Gattungen, als ſolche Axen gedacht werden. Der Begriff Pferd iſt nicht etwa ein Convolut von Eigenſchaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen werden; vielmehr iſt er unzertrennlich von der ganzen Gat- tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr; er waͤchſt, er beſtimmt ſich ſchaͤrfer mit jeder neuen hinzu- tretenden Anomalie. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/204
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/204>, abgerufen am 21.11.2024.