Winkel nach Zahlen eingeführt, deren ausschließende Anwen- dung nebenher die Veranlassung unzähliger beklagenswürdiger Irrthümer, und des tieferen Verfalls der Geometrie gewor- den. Der Winkel, oder die Neigung zweyer nach einem Ver- einigungspuncte strebenden Richtungen, konnte nur in der Totalität aller nach demselben Puncte möglichen Richtungen befriedigend bestimmt werden, das heißt: er konnte wissen- schaftlich angeschauet werden, nur vermittelst des Gegen- winkels, den seine beyden Schenkel an ihrer entgegen ge- setzten Seite mit einander bildeten, also nur in dem Kreise, der um den Vereinigungspunct her beschrieben wurde, und dieser Kreis war überhaupt in 360 gleiche Theile getheilt worden.
Auf die Größe eines einzelnen unter diesen gleichen Thei- len konnte zuförderst nichts ankommen, so wenig als auf die Größe des Kreises in den der Winkel gedacht wurde; also drückten diese Zahlen nur Verhältnisse und durchaus keine Größen aus, obwohl dieß auch nur approximativ und ohne mathematische Bestimmtheit. Also war der Kreis zwar der Maaßstab des Winkels, jedoch in einem andern und völlig entgegen gesetzten Sinne, als in welchem man sich eines Längenmaaßstabes für die Messung der geraden Linie be- diente.
Nach diesen und früheren Voraussetzungen gehört zur geometrischen Bestimmung der geraden Linie wesentlich noth- wendig der Winkel, zur Bestimmung des Winkels der Kreis. Der Kreis aber, wie an einem andern Ort erwiesen werden wird, ist nur zu bestimmen durch die Kugel. In allen diesen
Winkel nach Zahlen eingefuͤhrt, deren ausſchließende Anwen- dung nebenher die Veranlaſſung unzaͤhliger beklagenswuͤrdiger Irrthuͤmer, und des tieferen Verfalls der Geometrie gewor- den. Der Winkel, oder die Neigung zweyer nach einem Ver- einigungspuncte ſtrebenden Richtungen, konnte nur in der Totalitaͤt aller nach demſelben Puncte moͤglichen Richtungen befriedigend beſtimmt werden, das heißt: er konnte wiſſen- ſchaftlich angeſchauet werden, nur vermittelſt des Gegen- winkels, den ſeine beyden Schenkel an ihrer entgegen ge- ſetzten Seite mit einander bildeten, alſo nur in dem Kreiſe, der um den Vereinigungspunct her beſchrieben wurde, und dieſer Kreis war uͤberhaupt in 360 gleiche Theile getheilt worden.
Auf die Groͤße eines einzelnen unter dieſen gleichen Thei- len konnte zufoͤrderſt nichts ankommen, ſo wenig als auf die Groͤße des Kreiſes in den der Winkel gedacht wurde; alſo druͤckten dieſe Zahlen nur Verhaͤltniſſe und durchaus keine Groͤßen aus, obwohl dieß auch nur approximativ und ohne mathematiſche Beſtimmtheit. Alſo war der Kreis zwar der Maaßſtab des Winkels, jedoch in einem andern und voͤllig entgegen geſetzten Sinne, als in welchem man ſich eines Laͤngenmaaßſtabes fuͤr die Meſſung der geraden Linie be- diente.
Nach dieſen und fruͤheren Vorausſetzungen gehoͤrt zur geometriſchen Beſtimmung der geraden Linie weſentlich noth- wendig der Winkel, zur Beſtimmung des Winkels der Kreis. Der Kreis aber, wie an einem andern Ort erwieſen werden wird, iſt nur zu beſtimmen durch die Kugel. In allen dieſen
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Winkel nach Zahlen eingefuͤhrt, deren ausſchließende Anwen-
dung nebenher die Veranlaſſung unzaͤhliger beklagenswuͤrdiger
Irrthuͤmer, und des tieferen Verfalls der Geometrie gewor-
den. Der Winkel, oder die Neigung zweyer nach einem Ver-
einigungspuncte ſtrebenden Richtungen, konnte nur in der
Totalitaͤt aller nach demſelben Puncte moͤglichen Richtungen
befriedigend beſtimmt werden, das heißt: er konnte wiſſen-
ſchaftlich angeſchauet werden, nur vermittelſt des Gegen-
winkels, den ſeine beyden Schenkel an ihrer entgegen ge-
ſetzten Seite mit einander bildeten, alſo nur in dem Kreiſe,
der um den Vereinigungspunct her beſchrieben wurde, und
dieſer Kreis war uͤberhaupt in 360 gleiche Theile getheilt
worden.
Auf die Groͤße eines einzelnen unter dieſen gleichen Thei-
len konnte zufoͤrderſt nichts ankommen, ſo wenig als auf die
Groͤße des Kreiſes in den der Winkel gedacht wurde; alſo
druͤckten dieſe Zahlen nur Verhaͤltniſſe und durchaus keine
Groͤßen aus, obwohl dieß auch nur approximativ und ohne
mathematiſche Beſtimmtheit. Alſo war der Kreis zwar der
Maaßſtab des Winkels, jedoch in einem andern und voͤllig
entgegen geſetzten Sinne, als in welchem man ſich eines
Laͤngenmaaßſtabes fuͤr die Meſſung der geraden Linie be-
diente.
Nach dieſen und fruͤheren Vorausſetzungen gehoͤrt zur
geometriſchen Beſtimmung der geraden Linie weſentlich noth-
wendig der Winkel, zur Beſtimmung des Winkels der Kreis.
Der Kreis aber, wie an einem andern Ort erwieſen werden
wird, iſt nur zu beſtimmen durch die Kugel. In allen dieſen
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/243>, abgerufen am 16.02.2025.
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