äußeres sinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger Veränderung bald dieses bald jenes erweiternd, beschränkend sich lebhafter einzubilden, wir können eine zusammengesetzte architectonische Figur nicht beschauen, ohne eine immer- währende Abstraction der sinnlichen Vorstellung, welche bald diesen bald jenen durch den ganzen durchstrebenden Elementartheil im Sinne festhält. Hier ist uns nur die der Phantasie nothwendige Veränderung ihres Objectes erkennbar, ihr lebendiger Fortschritt im Erweitern, Be- schränken des sinnlich Aufgefaßten.
170.
Ist der Phantasie in einem äußern sinnlichen Object die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, so kann sie dieses ihr Nothwendige nicht anders äußern, als daß sie in einer immerwährenden abstrahiren Einbildung einzelner Theile der Gesammtanschauung begriffen ist. Die Sinnes- thätigkeit, die sinnliche Auffassung ist nie ohne das Formen beschränkende, erweiternde Leben der Phantasie.
171.
Auch ohne die Beschränkung auf ein äußeres sinnliches Object ist die Phantasie auf gleiche Weise und noch freier thätig; denn ihr Leben bleibt hier sich selbst gleich. Sei das sinnliche Object ein bloß Vorgestelltes, so wirkt die Phantasie, in sofern sie lebt, beschränkend, erweiternd in dem Begriff des sinnlich Vorgestellten, gerade so wie sie im äußern sinnlichen Objecte thätig ist. Sie kann das sinnlich Vor- gestellte nicht in dieser seiner allgemeinen Beschränkung festhalten, sie faßt ein Einzelnes in dem sinnlich Vor- gestellten auf, und da das Ganze überhaupt nicht sinn- lich gegenwärtig war und sich nicht immer fort von außen aufnöthigt, so hat die Phantasie keinen Grund, bei dem Ganzen stehen zu bleiben.
7
aͤußeres ſinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger Veraͤnderung bald dieſes bald jenes erweiternd, beſchraͤnkend ſich lebhafter einzubilden, wir koͤnnen eine zuſammengeſetzte architectoniſche Figur nicht beſchauen, ohne eine immer- waͤhrende Abſtraction der ſinnlichen Vorſtellung, welche bald dieſen bald jenen durch den ganzen durchſtrebenden Elementartheil im Sinne feſthaͤlt. Hier iſt uns nur die der Phantaſie nothwendige Veraͤnderung ihres Objectes erkennbar, ihr lebendiger Fortſchritt im Erweitern, Be- ſchraͤnken des ſinnlich Aufgefaßten.
170.
Iſt der Phantaſie in einem aͤußern ſinnlichen Object die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, ſo kann ſie dieſes ihr Nothwendige nicht anders aͤußern, als daß ſie in einer immerwaͤhrenden abſtrahiren Einbildung einzelner Theile der Geſammtanſchauung begriffen iſt. Die Sinnes- thaͤtigkeit, die ſinnliche Auffaſſung iſt nie ohne das Formen beſchraͤnkende, erweiternde Leben der Phantaſie.
171.
Auch ohne die Beſchraͤnkung auf ein aͤußeres ſinnliches Object iſt die Phantaſie auf gleiche Weiſe und noch freier thaͤtig; denn ihr Leben bleibt hier ſich ſelbſt gleich. Sei das ſinnliche Object ein bloß Vorgeſtelltes, ſo wirkt die Phantaſie, in ſofern ſie lebt, beſchraͤnkend, erweiternd in dem Begriff des ſinnlich Vorgeſtellten, gerade ſo wie ſie im aͤußern ſinnlichen Objecte thaͤtig iſt. Sie kann das ſinnlich Vor- geſtellte nicht in dieſer ſeiner allgemeinen Beſchraͤnkung feſthalten, ſie faßt ein Einzelnes in dem ſinnlich Vor- geſtellten auf, und da das Ganze uͤberhaupt nicht ſinn- lich gegenwaͤrtig war und ſich nicht immer fort von außen aufnoͤthigt, ſo hat die Phantaſie keinen Grund, bei dem Ganzen ſtehen zu bleiben.
7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0113"n="97"/>
aͤußeres ſinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger<lb/>
Veraͤnderung bald dieſes bald jenes erweiternd, beſchraͤnkend<lb/>ſich lebhafter einzubilden, wir koͤnnen eine zuſammengeſetzte<lb/>
architectoniſche Figur nicht beſchauen, ohne eine immer-<lb/>
waͤhrende Abſtraction der ſinnlichen Vorſtellung, welche<lb/>
bald dieſen bald jenen durch den ganzen durchſtrebenden<lb/>
Elementartheil im Sinne feſthaͤlt. Hier iſt uns nur die<lb/>
der Phantaſie nothwendige Veraͤnderung ihres Objectes<lb/>
erkennbar, ihr lebendiger Fortſchritt im Erweitern, Be-<lb/>ſchraͤnken des ſinnlich Aufgefaßten.</p></div><lb/><divn="3"><head>170.</head><lb/><p>Iſt der Phantaſie in einem aͤußern ſinnlichen Object<lb/>
die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, ſo kann ſie<lb/>
dieſes ihr Nothwendige nicht anders aͤußern, als daß ſie<lb/>
in einer immerwaͤhrenden abſtrahiren Einbildung einzelner<lb/>
Theile der Geſammtanſchauung begriffen iſt. Die Sinnes-<lb/>
thaͤtigkeit, die ſinnliche Auffaſſung iſt nie ohne das Formen<lb/>
beſchraͤnkende, erweiternde Leben der Phantaſie.</p></div><lb/><divn="3"><head>171.</head><lb/><p>Auch ohne die Beſchraͤnkung auf ein aͤußeres ſinnliches<lb/>
Object iſt die Phantaſie auf gleiche Weiſe und noch freier<lb/>
thaͤtig; denn ihr Leben bleibt hier ſich ſelbſt gleich. Sei das<lb/>ſinnliche Object ein bloß Vorgeſtelltes, ſo wirkt die Phantaſie,<lb/>
in ſofern ſie lebt, beſchraͤnkend, erweiternd in dem Begriff<lb/>
des ſinnlich Vorgeſtellten, gerade ſo wie ſie im aͤußern<lb/>ſinnlichen Objecte thaͤtig iſt. Sie kann das ſinnlich Vor-<lb/>
geſtellte nicht in dieſer ſeiner allgemeinen Beſchraͤnkung<lb/>
feſthalten, ſie faßt ein Einzelnes in dem ſinnlich Vor-<lb/>
geſtellten auf, und da das Ganze uͤberhaupt nicht ſinn-<lb/>
lich gegenwaͤrtig war und ſich nicht immer fort von außen<lb/>
aufnoͤthigt, ſo hat die Phantaſie keinen Grund, bei dem<lb/>
Ganzen ſtehen zu bleiben.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">7</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[97/0113]
aͤußeres ſinnliches Object nicht betrachten, ohne in ewiger
Veraͤnderung bald dieſes bald jenes erweiternd, beſchraͤnkend
ſich lebhafter einzubilden, wir koͤnnen eine zuſammengeſetzte
architectoniſche Figur nicht beſchauen, ohne eine immer-
waͤhrende Abſtraction der ſinnlichen Vorſtellung, welche
bald dieſen bald jenen durch den ganzen durchſtrebenden
Elementartheil im Sinne feſthaͤlt. Hier iſt uns nur die
der Phantaſie nothwendige Veraͤnderung ihres Objectes
erkennbar, ihr lebendiger Fortſchritt im Erweitern, Be-
ſchraͤnken des ſinnlich Aufgefaßten.
170.
Iſt der Phantaſie in einem aͤußern ſinnlichen Object
die Schranke ihrer Lebensbewegung gegeben, ſo kann ſie
dieſes ihr Nothwendige nicht anders aͤußern, als daß ſie
in einer immerwaͤhrenden abſtrahiren Einbildung einzelner
Theile der Geſammtanſchauung begriffen iſt. Die Sinnes-
thaͤtigkeit, die ſinnliche Auffaſſung iſt nie ohne das Formen
beſchraͤnkende, erweiternde Leben der Phantaſie.
171.
Auch ohne die Beſchraͤnkung auf ein aͤußeres ſinnliches
Object iſt die Phantaſie auf gleiche Weiſe und noch freier
thaͤtig; denn ihr Leben bleibt hier ſich ſelbſt gleich. Sei das
ſinnliche Object ein bloß Vorgeſtelltes, ſo wirkt die Phantaſie,
in ſofern ſie lebt, beſchraͤnkend, erweiternd in dem Begriff
des ſinnlich Vorgeſtellten, gerade ſo wie ſie im aͤußern
ſinnlichen Objecte thaͤtig iſt. Sie kann das ſinnlich Vor-
geſtellte nicht in dieſer ſeiner allgemeinen Beſchraͤnkung
feſthalten, ſie faßt ein Einzelnes in dem ſinnlich Vor-
geſtellten auf, und da das Ganze uͤberhaupt nicht ſinn-
lich gegenwaͤrtig war und ſich nicht immer fort von außen
aufnoͤthigt, ſo hat die Phantaſie keinen Grund, bei dem
Ganzen ſtehen zu bleiben.
7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/113>, abgerufen am 11.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.