wie diese, mögen sie sich vermischen, degeneriren, von außen umgestaltet werden; etwas völlig Neues giebt es in ihnen nicht, und alle Religion ist ihrem Wesen nach traditionell und positiv. Das, glaub' ich, lehrt alle Historie, die sich bemüht die Epochen des geschichtlichen Lebens mit Unbefangenheit zu erkennen. Dagegen ist es vielleicht ein besondres Resultat der hier mitgetheilten Untersuchungen, daß dieser Zustand religiöser Produktivität doch für Griechenland in eine Zeit gesetzt werden muß, in der nicht die Nation blos, sondern auch die einzel- nen Stämme derselben in bestimmt ausgeprägter Eigenthümlichkeit dastanden. Denn wenn ich er- stens gezeigt habe, daß aller Apollocult von dem Dorischen Urlande um Tempe ausgegangen ist, so ist auch zweitens anschaulich gemacht worden, daß die Grundideen desselben mit dem Geiste des Do- rischen Volkstammes in derjenigen Uebereinstim- mung standen, die überhaupt bei Vergleichung früherer und späterer Epochen desselben Volks er- wartet werden kann. Freilich hängt dies Resul- tat von dem Gelingen meines Bemühens ab, überhaupt die religiösen Ideen dieses Cultus aus dessen Symbolen, Mythen, Darstellungen dem Leser zu vergegenwärtigen; den ich dabei nur zu erwägen bitte, daß ich einerseits aus Scheu durch Räsonnement die ächte Farbe der Tradition zu ver- wischen, andrerseits auf weiteres Fortsinnen rech- nend, die Stelle einzelner Sätze im allgemeinern
wie dieſe, moͤgen ſie ſich vermiſchen, degeneriren, von außen umgeſtaltet werden; etwas voͤllig Neues giebt es in ihnen nicht, und alle Religion iſt ihrem Weſen nach traditionell und poſitiv. Das, glaub’ ich, lehrt alle Hiſtorie, die ſich bemuͤht die Epochen des geſchichtlichen Lebens mit Unbefangenheit zu erkennen. Dagegen iſt es vielleicht ein beſondres Reſultat der hier mitgetheilten Unterſuchungen, daß dieſer Zuſtand religioͤſer Produktivitaͤt doch fuͤr Griechenland in eine Zeit geſetzt werden muß, in der nicht die Nation blos, ſondern auch die einzel- nen Staͤmme derſelben in beſtimmt ausgepraͤgter Eigenthuͤmlichkeit daſtanden. Denn wenn ich er- ſtens gezeigt habe, daß aller Apollocult von dem Doriſchen Urlande um Tempe ausgegangen iſt, ſo iſt auch zweitens anſchaulich gemacht worden, daß die Grundideen deſſelben mit dem Geiſte des Do- riſchen Volkſtammes in derjenigen Uebereinſtim- mung ſtanden, die uͤberhaupt bei Vergleichung fruͤherer und ſpaͤterer Epochen deſſelben Volks er- wartet werden kann. Freilich haͤngt dies Reſul- tat von dem Gelingen meines Bemuͤhens ab, uͤberhaupt die religioͤſen Ideen dieſes Cultus aus deſſen Symbolen, Mythen, Darſtellungen dem Leſer zu vergegenwaͤrtigen; den ich dabei nur zu erwaͤgen bitte, daß ich einerſeits aus Scheu durch Raͤſonnement die aͤchte Farbe der Tradition zu ver- wiſchen, andrerſeits auf weiteres Fortſinnen rech- nend, die Stelle einzelner Saͤtze im allgemeinern
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[X/0016]
wie dieſe, moͤgen ſie ſich vermiſchen, degeneriren, von
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giebt es in ihnen nicht, und alle Religion iſt ihrem
Weſen nach traditionell und poſitiv. Das, glaub’
ich, lehrt alle Hiſtorie, die ſich bemuͤht die Epochen
des geſchichtlichen Lebens mit Unbefangenheit zu
erkennen. Dagegen iſt es vielleicht ein beſondres
Reſultat der hier mitgetheilten Unterſuchungen,
daß dieſer Zuſtand religioͤſer Produktivitaͤt doch
fuͤr Griechenland in eine Zeit geſetzt werden muß, in
der nicht die Nation blos, ſondern auch die einzel-
nen Staͤmme derſelben in beſtimmt ausgepraͤgter
Eigenthuͤmlichkeit daſtanden. Denn wenn ich er-
ſtens gezeigt habe, daß aller Apollocult von dem
Doriſchen Urlande um Tempe ausgegangen iſt, ſo
iſt auch zweitens anſchaulich gemacht worden, daß
die Grundideen deſſelben mit dem Geiſte des Do-
riſchen Volkſtammes in derjenigen Uebereinſtim-
mung ſtanden, die uͤberhaupt bei Vergleichung
fruͤherer und ſpaͤterer Epochen deſſelben Volks er-
wartet werden kann. Freilich haͤngt dies Reſul-
tat von dem Gelingen meines Bemuͤhens ab,
uͤberhaupt die religioͤſen Ideen dieſes Cultus aus
deſſen Symbolen, Mythen, Darſtellungen dem
Leſer zu vergegenwaͤrtigen; den ich dabei nur zu
erwaͤgen bitte, daß ich einerſeits aus Scheu durch
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/16>, abgerufen am 03.12.2024.
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