Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

2.
1.

Dagegen gestatteten von Kreta aus das Meer
und die nahen Küsten und Inseln der Verpflanzung des
Cultus den freiesten Spielraum: wodurch die merkwür-
dige Thatsache motivirt wird, daß im südlichen Grie-
chenland die ältesten Apollotempel an Küstenstrichen, auf
Vorgebirgen und Landesenden zu finden sind. Diese Ver-
pflanzung gewährt in der That einen merkwürdigen An-
blick. Wie Radien aus einem Mittelpuncte, gehen
Apollinische Kolonieen von der Nordküste Kretas nach
allen Richtungen aus, und bringen überallhin die Sühn-
gebräuche und Orakel des Cultus (Kretidai manteis) 1.
Die wunderbare Regelmäßigkeit in diesen Anlagen möge
man indessen ja nicht etwa als Werk eines systematischen
Missionensystems, und vielleicht zugleich der Politik des
Minos 2 ansehen: sie erklärt sich aus dem instinktmäßi-
gen Bedürfnisse des alten Volkes, auf seinen Zügen an
den Küsten des Aegäischen Meeres überall Altäre des
Gottes aufzubauen, dessen Verehrung ihm geistige
Natur war. Wir betrachten hier zuerst die Radien,
die auf die Küste Kreta's treffen, nach Lykien, Mi-
let, Klaros
und Troas, von welchen Niederlas.

1 Photios s. v.
2 Wie Raoul-Rochette meint, dessen
Werk indeß für diese Untersuchung Treffliches darbietet. (Hist. de
l'etabl.
2. p. 137--173.

2.
1.

Dagegen geſtatteten von Kreta aus das Meer
und die nahen Kuͤſten und Inſeln der Verpflanzung des
Cultus den freieſten Spielraum: wodurch die merkwuͤr-
dige Thatſache motivirt wird, daß im ſuͤdlichen Grie-
chenland die aͤlteſten Apollotempel an Kuͤſtenſtrichen, auf
Vorgebirgen und Landesenden zu finden ſind. Dieſe Ver-
pflanzung gewaͤhrt in der That einen merkwuͤrdigen An-
blick. Wie Radien aus einem Mittelpuncte, gehen
Apolliniſche Kolonieen von der Nordkuͤſte Kretas nach
allen Richtungen aus, und bringen uͤberallhin die Suͤhn-
gebraͤuche und Orakel des Cultus (Κρητίδαι μάντεις) 1.
Die wunderbare Regelmaͤßigkeit in dieſen Anlagen moͤge
man indeſſen ja nicht etwa als Werk eines ſyſtematiſchen
Miſſionenſyſtems, und vielleicht zugleich der Politik des
Minos 2 anſehen: ſie erklaͤrt ſich aus dem inſtinktmaͤßi-
gen Beduͤrfniſſe des alten Volkes, auf ſeinen Zuͤgen an
den Kuͤſten des Aegaͤiſchen Meeres uͤberall Altaͤre des
Gottes aufzubauen, deſſen Verehrung ihm geiſtige
Natur war. Wir betrachten hier zuerſt die Radien,
die auf die Kuͤſte Kreta’s treffen, nach Lykien, Mi-
let, Klaros
und Troas, von welchen Niederlaſ.

1 Photios s. v.
2 Wie Raoul-Rochette meint, deſſen
Werk indeß fuͤr dieſe Unterſuchung Treffliches darbietet. (Hist. de
l’etabl.
2. p. 137—173.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0245" n="215"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>1.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">D</hi>agegen ge&#x017F;tatteten von Kreta aus das Meer<lb/>
und die nahen Ku&#x0364;&#x017F;ten und In&#x017F;eln der Verpflanzung des<lb/>
Cultus den freie&#x017F;ten Spielraum: wodurch die merkwu&#x0364;r-<lb/>
dige That&#x017F;ache motivirt wird, daß im &#x017F;u&#x0364;dlichen Grie-<lb/>
chenland die a&#x0364;lte&#x017F;ten Apollotempel an Ku&#x0364;&#x017F;ten&#x017F;trichen, auf<lb/>
Vorgebirgen und Landesenden zu finden &#x017F;ind. Die&#x017F;e Ver-<lb/>
pflanzung gewa&#x0364;hrt in der That einen merkwu&#x0364;rdigen An-<lb/>
blick. Wie Radien aus einem Mittelpuncte, gehen<lb/>
Apollini&#x017F;che Kolonieen von der Nordku&#x0364;&#x017F;te Kretas nach<lb/>
allen Richtungen aus, und bringen u&#x0364;berallhin die Su&#x0364;hn-<lb/>
gebra&#x0364;uche und Orakel des Cultus (&#x039A;&#x03C1;&#x03B7;&#x03C4;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BC;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2;) <note place="foot" n="1">Photios <hi rendition="#aq">s. v.</hi></note>.<lb/>
Die wunderbare Regelma&#x0364;ßigkeit in die&#x017F;en Anlagen mo&#x0364;ge<lb/>
man inde&#x017F;&#x017F;en ja nicht etwa als Werk eines &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ionen&#x017F;y&#x017F;tems, und vielleicht zugleich der Politik des<lb/>
Minos <note place="foot" n="2">Wie Raoul-Rochette meint, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Werk indeß fu&#x0364;r die&#x017F;e Unter&#x017F;uchung Treffliches darbietet. (<hi rendition="#aq">Hist. de<lb/>
l&#x2019;etabl.</hi> 2. <hi rendition="#aq">p.</hi> 137&#x2014;173.</note> an&#x017F;ehen: &#x017F;ie erkla&#x0364;rt &#x017F;ich aus dem in&#x017F;tinktma&#x0364;ßi-<lb/>
gen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e des alten Volkes, auf &#x017F;einen Zu&#x0364;gen an<lb/>
den Ku&#x0364;&#x017F;ten des Aega&#x0364;i&#x017F;chen Meeres u&#x0364;berall Alta&#x0364;re des<lb/>
Gottes aufzubauen, de&#x017F;&#x017F;en Verehrung ihm gei&#x017F;tige<lb/>
Natur war. Wir betrachten hier zuer&#x017F;t die Radien,<lb/>
die auf die Ku&#x0364;&#x017F;te Kreta&#x2019;s treffen, nach <hi rendition="#g">Lykien, Mi-<lb/>
let, Klaros</hi> und <hi rendition="#g">Troas</hi>, von welchen Niederla&#x017F;.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0245] 2. 1. Dagegen geſtatteten von Kreta aus das Meer und die nahen Kuͤſten und Inſeln der Verpflanzung des Cultus den freieſten Spielraum: wodurch die merkwuͤr- dige Thatſache motivirt wird, daß im ſuͤdlichen Grie- chenland die aͤlteſten Apollotempel an Kuͤſtenſtrichen, auf Vorgebirgen und Landesenden zu finden ſind. Dieſe Ver- pflanzung gewaͤhrt in der That einen merkwuͤrdigen An- blick. Wie Radien aus einem Mittelpuncte, gehen Apolliniſche Kolonieen von der Nordkuͤſte Kretas nach allen Richtungen aus, und bringen uͤberallhin die Suͤhn- gebraͤuche und Orakel des Cultus (Κρητίδαι μάντεις) 1. Die wunderbare Regelmaͤßigkeit in dieſen Anlagen moͤge man indeſſen ja nicht etwa als Werk eines ſyſtematiſchen Miſſionenſyſtems, und vielleicht zugleich der Politik des Minos 2 anſehen: ſie erklaͤrt ſich aus dem inſtinktmaͤßi- gen Beduͤrfniſſe des alten Volkes, auf ſeinen Zuͤgen an den Kuͤſten des Aegaͤiſchen Meeres uͤberall Altaͤre des Gottes aufzubauen, deſſen Verehrung ihm geiſtige Natur war. Wir betrachten hier zuerſt die Radien, die auf die Kuͤſte Kreta’s treffen, nach Lykien, Mi- let, Klaros und Troas, von welchen Niederlaſ. 1 Photios s. v. 2 Wie Raoul-Rochette meint, deſſen Werk indeß fuͤr dieſe Unterſuchung Treffliches darbietet. (Hist. de l’etabl. 2. p. 137—173.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/245
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/245>, abgerufen am 24.11.2024.