Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Fortschritte, geschah: um dieselbe Zeit, in welcher in
Athen der Apollinische Cultus zu Ansehn gelangte.

13.

In Attika fällt nämlich die Einführung die-
ses Cultus mit der Einwanderung der Jonier zusam-
men. Denn wenn in den Sagen der alt-attischen He-
roen, Kekrovs, Erichthonios, Erechtheus, nur Athena
als Ackergöttin mit den verwandten Burg göttern auf-
tritt: so schreitet mit Jon sogleich ein neuer Charakter
in Cultus und Mythen ein1. Diese Divergenz dünkt
mir eine hinlängliche Widerlegung derer, welche nach
Herodot die Jonier für einerlei mit dem ureinwohnen-
den Volkstamme der Pelasger halten. Vielmehr ist es
deutlich, daß eben so, wie die Jonier als Kriegervolk
(Xuthos und Jon polemarkhoi) sich von dem acker-
bauenden und viehzuchttreibenden Urvolke sonderten,
so sie auch ihren Hellenischen Kultus gradezu dem alt-
einheimischen entgegenstellten. Es redet zwar Aristote-
les von dem väterlichen Apollon (Ap. patroos)
der Athener als einem Sohne der Athena und des He-
phästos2: aber wir können darin wieder nur das my-
thologische Streben finden, die Götter einer Stadt in
Familienzusammenhang zu bringen. Denn wo sind die
Tempel, welche Athena und Apollon gemein haben,
wo die Gebräuche und Opfer, welche sie theilen, wo
die Sagen, in welchen sie verbunden auftreten? So
lange diese nicht nachgewiesen werden, muß man Athena
als alt-einheimische und Apollon als jüngere Gnttheit
genau sondern. Denn Alles, was von den Jonischen
Fürsten, zu denen auch Aegeus3 und Theseus gehören,

1 De Minerva Poliade. p. 2. wo manche Beweise zu dem
folgenden gegeben sind.
2 bei Cic. N. D. 3, 22. 23. p. 595.
599. 614. Creuzer. Lydus de menss. p. 105. Darauf baut Bähr
de Apolline Patricio et Minerva Primigenia.
3 me-
den prosekon Erekhtheidais. Plutarch Thes. 13.

Fortſchritte, geſchah: um dieſelbe Zeit, in welcher in
Athen der Apolliniſche Cultus zu Anſehn gelangte.

13.

In Attika faͤllt naͤmlich die Einfuͤhrung die-
ſes Cultus mit der Einwanderung der Jonier zuſam-
men. Denn wenn in den Sagen der alt-attiſchen He-
roen, Kekrovs, Erichthonios, Erechtheus, nur Athena
als Ackergoͤttin mit den verwandten Burg goͤttern auf-
tritt: ſo ſchreitet mit Jon ſogleich ein neuer Charakter
in Cultus und Mythen ein1. Dieſe Divergenz duͤnkt
mir eine hinlaͤngliche Widerlegung derer, welche nach
Herodot die Jonier fuͤr einerlei mit dem ureinwohnen-
den Volkſtamme der Pelasger halten. Vielmehr iſt es
deutlich, daß eben ſo, wie die Jonier als Kriegervolk
(Xuthos und Jon πολέμαρχοι) ſich von dem acker-
bauenden und viehzuchttreibenden Urvolke ſonderten,
ſo ſie auch ihren Helleniſchen Kultus gradezu dem alt-
einheimiſchen entgegenſtellten. Es redet zwar Ariſtote-
les von dem vaͤterlichen Apollon (Απ. πατρῷος)
der Athener als einem Sohne der Athena und des He-
phaͤſtos2: aber wir koͤnnen darin wieder nur das my-
thologiſche Streben finden, die Goͤtter einer Stadt in
Familienzuſammenhang zu bringen. Denn wo ſind die
Tempel, welche Athena und Apollon gemein haben,
wo die Gebraͤuche und Opfer, welche ſie theilen, wo
die Sagen, in welchen ſie verbunden auftreten? So
lange dieſe nicht nachgewieſen werden, muß man Athena
als alt-einheimiſche und Apollon als juͤngere Gnttheit
genau ſondern. Denn Alles, was von den Joniſchen
Fuͤrſten, zu denen auch Aegeus3 und Theſeus gehoͤren,

1 De Minerva Poliade. p. 2. wo manche Beweiſe zu dem
folgenden gegeben ſind.
2 bei Cic. N. D. 3, 22. 23. p. 595.
599. 614. Creuzer. Lydus de menss. p. 105. Darauf baut Baͤhr
de Apolline Patricio et Minerva Primigenia.
3 μη-
δὲν πϱοσήκων Ἐϱεχϑείδαις. Plutarch Theſ. 13.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0267" n="237"/>
Fort&#x017F;chritte, ge&#x017F;chah: um die&#x017F;elbe Zeit, in welcher in<lb/>
Athen der Apollini&#x017F;che Cultus zu An&#x017F;ehn gelangte.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>13.</head><lb/>
              <p>In <hi rendition="#g">Attika</hi> fa&#x0364;llt na&#x0364;mlich die Einfu&#x0364;hrung die-<lb/>
&#x017F;es Cultus mit der Einwanderung der <hi rendition="#g">Jonier</hi> zu&#x017F;am-<lb/>
men. Denn wenn in den Sagen der alt-atti&#x017F;chen He-<lb/>
roen, Kekrovs, Erichthonios, Erechtheus, nur Athena<lb/>
als Ackergo&#x0364;ttin mit den verwandten <hi rendition="#g">Burg</hi> go&#x0364;ttern auf-<lb/>
tritt: &#x017F;o &#x017F;chreitet mit Jon &#x017F;ogleich ein neuer Charakter<lb/>
in Cultus und Mythen ein<note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">De Minerva Poliade. p.</hi> 2. wo manche Bewei&#x017F;e zu dem<lb/>
folgenden gegeben &#x017F;ind.</note>. Die&#x017F;e Divergenz du&#x0364;nkt<lb/>
mir eine hinla&#x0364;ngliche Widerlegung derer, welche nach<lb/>
Herodot die Jonier fu&#x0364;r einerlei mit dem ureinwohnen-<lb/>
den Volk&#x017F;tamme der Pelasger halten. Vielmehr i&#x017F;t es<lb/>
deutlich, daß eben &#x017F;o, wie die Jonier als Kriegervolk<lb/>
(Xuthos und Jon &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03AD;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C1;&#x03C7;&#x03BF;&#x03B9;) &#x017F;ich von dem acker-<lb/>
bauenden und viehzuchttreibenden Urvolke &#x017F;onderten,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ie auch ihren Helleni&#x017F;chen Kultus gradezu dem alt-<lb/>
einheimi&#x017F;chen entgegen&#x017F;tellten. Es redet zwar Ari&#x017F;tote-<lb/>
les von dem <hi rendition="#g">va&#x0364;terlichen Apollon</hi> (&#x0391;&#x03C0;. &#x03C0;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C1;&#x1FF7;&#x03BF;&#x03C2;)<lb/>
der Athener als einem Sohne der Athena und des He-<lb/>
pha&#x0364;&#x017F;tos<note place="foot" n="2">bei Cic. <hi rendition="#aq">N. D. 3, 22. 23. p.</hi> 595.<lb/>
599. 614. Creuzer. Lydus <hi rendition="#aq">de menss. p.</hi> 105. Darauf baut Ba&#x0364;hr<lb/><hi rendition="#aq">de Apolline Patricio et Minerva Primigenia.</hi></note>: aber wir ko&#x0364;nnen darin wieder nur das my-<lb/>
thologi&#x017F;che Streben <choice><sic>findeu</sic><corr>finden</corr></choice>, die Go&#x0364;tter einer Stadt in<lb/>
Familienzu&#x017F;ammenhang zu bringen. Denn wo &#x017F;ind die<lb/>
Tempel, welche Athena und Apollon gemein haben,<lb/>
wo die Gebra&#x0364;uche und Opfer, welche &#x017F;ie theilen, wo<lb/>
die Sagen, in welchen &#x017F;ie verbunden auftreten? So<lb/>
lange die&#x017F;e nicht nachgewie&#x017F;en werden, muß man Athena<lb/>
als alt-einheimi&#x017F;che und Apollon als ju&#x0364;ngere Gnttheit<lb/>
genau &#x017F;ondern. Denn Alles, was von den Joni&#x017F;chen<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten, zu denen auch Aegeus<note place="foot" n="3">&#x03BC;&#x03B7;-<lb/>
&#x03B4;&#x1F72;&#x03BD; &#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03AE;&#x03BA;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F18;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C7;&#x03D1;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C2;. Plutarch The&#x017F;. 13.</note> und The&#x017F;eus geho&#x0364;ren,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0267] Fortſchritte, geſchah: um dieſelbe Zeit, in welcher in Athen der Apolliniſche Cultus zu Anſehn gelangte. 13. In Attika faͤllt naͤmlich die Einfuͤhrung die- ſes Cultus mit der Einwanderung der Jonier zuſam- men. Denn wenn in den Sagen der alt-attiſchen He- roen, Kekrovs, Erichthonios, Erechtheus, nur Athena als Ackergoͤttin mit den verwandten Burg goͤttern auf- tritt: ſo ſchreitet mit Jon ſogleich ein neuer Charakter in Cultus und Mythen ein 1. Dieſe Divergenz duͤnkt mir eine hinlaͤngliche Widerlegung derer, welche nach Herodot die Jonier fuͤr einerlei mit dem ureinwohnen- den Volkſtamme der Pelasger halten. Vielmehr iſt es deutlich, daß eben ſo, wie die Jonier als Kriegervolk (Xuthos und Jon πολέμαρχοι) ſich von dem acker- bauenden und viehzuchttreibenden Urvolke ſonderten, ſo ſie auch ihren Helleniſchen Kultus gradezu dem alt- einheimiſchen entgegenſtellten. Es redet zwar Ariſtote- les von dem vaͤterlichen Apollon (Απ. πατρῷος) der Athener als einem Sohne der Athena und des He- phaͤſtos 2: aber wir koͤnnen darin wieder nur das my- thologiſche Streben finden, die Goͤtter einer Stadt in Familienzuſammenhang zu bringen. Denn wo ſind die Tempel, welche Athena und Apollon gemein haben, wo die Gebraͤuche und Opfer, welche ſie theilen, wo die Sagen, in welchen ſie verbunden auftreten? So lange dieſe nicht nachgewieſen werden, muß man Athena als alt-einheimiſche und Apollon als juͤngere Gnttheit genau ſondern. Denn Alles, was von den Joniſchen Fuͤrſten, zu denen auch Aegeus 3 und Theſeus gehoͤren, 1 De Minerva Poliade. p. 2. wo manche Beweiſe zu dem folgenden gegeben ſind. 2 bei Cic. N. D. 3, 22. 23. p. 595. 599. 614. Creuzer. Lydus de menss. p. 105. Darauf baut Baͤhr de Apolline Patricio et Minerva Primigenia. 3 μη- δὲν πϱοσήκων Ἐϱεχϑείδαις. Plutarch Theſ. 13.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/267
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/267>, abgerufen am 24.11.2024.