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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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in Bezug auf religiöse Einrichtungen erzählt wird, be-
trifft niemals die Athena und den Hephästos, sondern
sehr consequent entweder die Feststellung des Posei-
doncults
, der in den Städten der Jonier und an
ihren Bundesörtern herrscht, oder die Anknüpfung und
Unterhaltung eines Verkehrs mit den Apollinischen
Heiligthümern zu Delos, Delphi und Knosos. Behal-
ten wir diesen ariadneischen Faden an der Hand: so
lichtet sich die Attische Fabel zu auffallender Klarheit.
Erstens: Theseus ist ein Poseidonischer Heros,
wie er selbst Sohn Poseidons heißt -- von dem wahr-
scheinlich Aegeus, der menschliche Vater, ursprünglich
nicht verschieden ist1: -- er erhielt mit dem Gotte, sei-
nem Vater, am achten Monatstage, besonders des
Pyanepsion, Opfer (Ogdodion)2: er war es darum
auch, der die -- vorher von den Korinthischen Aeolern
dem mystischen Dämon Melikertes begangenen3 --
Isthmischen Feste dem Poseidon weihte; und deswegen
hatten noch in der Dorischen Zeit die Athener den ersten
Platz in diesen Agonen, die sie besonders fleißig be-
suchten, so viel als sie mit dem Seegel des heiligen
Schiffs bedecken konnten. Und wie geeignet war der
Isthmos zu Jonischen Nationalfesten. Denn wenn man
die damaligen Wohnsitze der Jonier in Attika, Mega-
ris, zu Epidauros und Trözen, an der Nordküste des
Peloponnes, und zu Thespiä in Böotien4 überschaut:
so sieht man, daß grade nur hier das rege Küstenvolk
sich leicht und schnell in einem Mittelpunkte vereinigen

1 Nemlich Poseidon Aigaios als Wogengott. Dem Aegeus
wurde auch mit Poseidon zugleich geopfert. S. Plut. Thes. 36.
vgl. 23. gegen Ende, wo wahrscheinlich zu schreiben ist: exerethe
de kai temene AIGEI, wenn nichts ausgefallen ist. -- vgl. Har-
pokr. Aigeion. Hygin. Fb. 37.
2 S. Hesych.
3 Bd.
1. S. 176.
4 Ebend. S. 237.

in Bezug auf religioͤſe Einrichtungen erzaͤhlt wird, be-
trifft niemals die Athena und den Hephaͤſtos, ſondern
ſehr conſequent entweder die Feſtſtellung des Poſei-
doncults
, der in den Staͤdten der Jonier und an
ihren Bundesoͤrtern herrſcht, oder die Anknuͤpfung und
Unterhaltung eines Verkehrs mit den Apolliniſchen
Heiligthuͤmern zu Delos, Delphi und Knoſos. Behal-
ten wir dieſen ariadneiſchen Faden an der Hand: ſo
lichtet ſich die Attiſche Fabel zu auffallender Klarheit.
Erſtens: Theſeus iſt ein Poſeidoniſcher Heros,
wie er ſelbſt Sohn Poſeidons heißt — von dem wahr-
ſcheinlich Aegeus, der menſchliche Vater, urſpruͤnglich
nicht verſchieden iſt1: — er erhielt mit dem Gotte, ſei-
nem Vater, am achten Monatstage, beſonders des
Pyanepſion, Opfer (Ὀγδόδιον)2: er war es darum
auch, der die — vorher von den Korinthiſchen Aeolern
dem myſtiſchen Daͤmon Melikertes begangenen3
Iſthmiſchen Feſte dem Poſeidon weihte; und deswegen
hatten noch in der Doriſchen Zeit die Athener den erſten
Platz in dieſen Agonen, die ſie beſonders fleißig be-
ſuchten, ſo viel als ſie mit dem Seegel des heiligen
Schiffs bedecken konnten. Und wie geeignet war der
Iſthmos zu Joniſchen Nationalfeſten. Denn wenn man
die damaligen Wohnſitze der Jonier in Attika, Mega-
ris, zu Epidauros und Troͤzen, an der Nordkuͤſte des
Peloponnes, und zu Theſpiaͤ in Boͤotien4 uͤberſchaut:
ſo ſieht man, daß grade nur hier das rege Kuͤſtenvolk
ſich leicht und ſchnell in einem Mittelpunkte vereinigen

1 Nemlich Poſeidon Αἰγαῖος als Wogengott. Dem Aegeus
wurde auch mit Poſeidon zugleich geopfert. S. Plut. Theſ. 36.
vgl. 23. gegen Ende, wo wahrſcheinlich zu ſchreiben iſt: ἐξῃϱέϑη
δὲ ϰαὶ τεμένη ΑΙΓΕΙ, wenn nichts ausgefallen iſt. — vgl. Har-
pokr. Αἰγεῖον. Hygin. Fb. 37.
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[238/0268] in Bezug auf religioͤſe Einrichtungen erzaͤhlt wird, be- trifft niemals die Athena und den Hephaͤſtos, ſondern ſehr conſequent entweder die Feſtſtellung des Poſei- doncults, der in den Staͤdten der Jonier und an ihren Bundesoͤrtern herrſcht, oder die Anknuͤpfung und Unterhaltung eines Verkehrs mit den Apolliniſchen Heiligthuͤmern zu Delos, Delphi und Knoſos. Behal- ten wir dieſen ariadneiſchen Faden an der Hand: ſo lichtet ſich die Attiſche Fabel zu auffallender Klarheit. Erſtens: Theſeus iſt ein Poſeidoniſcher Heros, wie er ſelbſt Sohn Poſeidons heißt — von dem wahr- ſcheinlich Aegeus, der menſchliche Vater, urſpruͤnglich nicht verſchieden iſt 1: — er erhielt mit dem Gotte, ſei- nem Vater, am achten Monatstage, beſonders des Pyanepſion, Opfer (Ὀγδόδιον) 2: er war es darum auch, der die — vorher von den Korinthiſchen Aeolern dem myſtiſchen Daͤmon Melikertes begangenen 3 — Iſthmiſchen Feſte dem Poſeidon weihte; und deswegen hatten noch in der Doriſchen Zeit die Athener den erſten Platz in dieſen Agonen, die ſie beſonders fleißig be- ſuchten, ſo viel als ſie mit dem Seegel des heiligen Schiffs bedecken konnten. Und wie geeignet war der Iſthmos zu Joniſchen Nationalfeſten. Denn wenn man die damaligen Wohnſitze der Jonier in Attika, Mega- ris, zu Epidauros und Troͤzen, an der Nordkuͤſte des Peloponnes, und zu Theſpiaͤ in Boͤotien 4 uͤberſchaut: ſo ſieht man, daß grade nur hier das rege Kuͤſtenvolk ſich leicht und ſchnell in einem Mittelpunkte vereinigen 1 Nemlich Poſeidon Αἰγαῖος als Wogengott. Dem Aegeus wurde auch mit Poſeidon zugleich geopfert. S. Plut. Theſ. 36. vgl. 23. gegen Ende, wo wahrſcheinlich zu ſchreiben iſt: ἐξῃϱέϑη δὲ ϰαὶ τεμένη ΑΙΓΕΙ, wenn nichts ausgefallen iſt. — vgl. Har- pokr. Αἰγεῖον. Hygin. Fb. 37. 2 S. Heſych. 3 Bd. 1. S. 176. 4 Ebend. S. 237.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/268>, abgerufen am 24.11.2024.