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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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stamm in Armenien, Vorderasien, am Bermios anzu-
erkennen, ohne den einen Zweig vom andern ableiten
zu wollen. Es haben sich in dem Landstriche zwischen
Illyrien und Asien, einer wahren Heerstraße alter
Völkerwanderungen, verschiedene Nationen von verschie-
denen Seiten durcheinander gedrängt und ineinander
geschoben, so daß frühere Continuität leicht aufgehoben
werden konnte. Für den Zusammenhang des Phrygi-
schen Volkes mit andern sind die Spuren seiner Spra-
che die wichtigste Urkunde. Es wußten aber die Sprach-
gelehrten zu Platons Zeit wohl, daß viele Stamm-
wörter des Griechischen sich auch mit geringer Verän-
derung im Phrygischen fanden, wie Pur, Udor,
Kuon 1; und wenn das Armenische noch jetzt im innern
Bau bedeutende Aehnlichkeit mit dem Griechischen zeigt,
muß dies auf dieselbe Grundverwandtschaft zurück-
geführt werden. Indessen haben sich die Phryger in
Asien ohne Zweifel mannigfach mit Syrern gemischt,
die nicht blos jenseits des Halys, sondern auch diesseits
in Lykaonien 2 und bis Lykien 3 saßen, und daher gar

1 Plato Kratyl. 410 a. Merkwürdig ist, daß die Worte
auch im Deutschen sind. Pur ist nach den Grundsätzen des Ueber-
gangs (s. Grimms vortreffliche Grammatik S. 584. zweite Ausg.)
althochdeutsch Viuri, plattd. Für. Kuon canis Hund (die Zufügung
des d ist wie in Men, Man -- phrygisch der Mond, vgl. Hesych
nai Men -- und Mahnd, Mond). Udor, althochd. wazar, plattd.
water; das Digamma ist noch in der ächten phrygischen Form
bedu, welches zugleich wegen alter Nachbarschaft makedonisch und
orphisch, (s. Neanth. Kyziken. bei Klem. Alex. Strom. 5. S. 673.
Jablonsky de lingua Phrygia S. 76.) u. bald Wasser, bald Luft
übersetzt wird. Endlich zeigt die Phrygische Inschrift bei Walpole,
besonders die Worte MILAI LAWAGTAEI WANAKTEI,
überraschende Aehnlichkeit in Flexion und Wurzeln mit dem Grie-
chischen.
2 S. Jablonsky de lingua Lycaon. Opusc. 3. S.
119.
3 wenn der Epiker Choerilos in der bekannten Stelle
von Lykischen Solymern sprach.

ſtamm in Armenien, Vorderaſien, am Bermios anzu-
erkennen, ohne den einen Zweig vom andern ableiten
zu wollen. Es haben ſich in dem Landſtriche zwiſchen
Illyrien und Aſien, einer wahren Heerſtraße alter
Voͤlkerwanderungen, verſchiedene Nationen von verſchie-
denen Seiten durcheinander gedraͤngt und ineinander
geſchoben, ſo daß fruͤhere Continuitaͤt leicht aufgehoben
werden konnte. Fuͤr den Zuſammenhang des Phrygi-
ſchen Volkes mit andern ſind die Spuren ſeiner Spra-
che die wichtigſte Urkunde. Es wußten aber die Sprach-
gelehrten zu Platons Zeit wohl, daß viele Stamm-
woͤrter des Griechiſchen ſich auch mit geringer Veraͤn-
derung im Phrygiſchen fanden, wie Πῦρ, Ὕδωρ,
Κύων 1; und wenn das Armeniſche noch jetzt im innern
Bau bedeutende Aehnlichkeit mit dem Griechiſchen zeigt,
muß dies auf dieſelbe Grundverwandtſchaft zuruͤck-
gefuͤhrt werden. Indeſſen haben ſich die Phryger in
Aſien ohne Zweifel mannigfach mit Syrern gemiſcht,
die nicht blos jenſeits des Halys, ſondern auch dieſſeits
in Lykaonien 2 und bis Lykien 3 ſaßen, und daher gar

1 Plato Kratyl. 410 a. Merkwuͤrdig iſt, daß die Worte
auch im Deutſchen ſind. Πῦϱ iſt nach den Grundſaͤtzen des Ueber-
gangs (ſ. Grimms vortreffliche Grammatik S. 584. zweite Ausg.)
althochdeutſch Viuri, plattd. Fuͤr. Κὐων canis Hund (die Zufuͤgung
des d iſt wie in Μὴν, Μὰν — phrygiſch der Mond, vgl. Heſych
ναὶ Μὴν — und Mahnd, Mond). Ὕδωρ, althochd. wazar, plattd.
water; das Digamma iſt noch in der aͤchten phrygiſchen Form
βέδυ, welches zugleich wegen alter Nachbarſchaft makedoniſch und
orphiſch, (ſ. Neanth. Kyziken. bei Klem. Alex. Strom. 5. S. 673.
Jablonsky de lingua Phrygia S. 76.) u. bald Waſſer, bald Luft
uͤberſetzt wird. Endlich zeigt die Phrygiſche Inſchrift bei Walpole,
beſonders die Worte ΜΙΛΑΙ ΛΑϜΑΓΤΑΕΙ ϜΑΝΑΚΤΕΙ,
uͤberraſchende Aehnlichkeit in Flexion und Wurzeln mit dem Grie-
chiſchen.
2 S. Jablonsky de lingua Lycaon. Opusc. 3. S.
119.
3 wenn der Epiker Choerilos in der bekannten Stelle
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[8/0038] ſtamm in Armenien, Vorderaſien, am Bermios anzu- erkennen, ohne den einen Zweig vom andern ableiten zu wollen. Es haben ſich in dem Landſtriche zwiſchen Illyrien und Aſien, einer wahren Heerſtraße alter Voͤlkerwanderungen, verſchiedene Nationen von verſchie- denen Seiten durcheinander gedraͤngt und ineinander geſchoben, ſo daß fruͤhere Continuitaͤt leicht aufgehoben werden konnte. Fuͤr den Zuſammenhang des Phrygi- ſchen Volkes mit andern ſind die Spuren ſeiner Spra- che die wichtigſte Urkunde. Es wußten aber die Sprach- gelehrten zu Platons Zeit wohl, daß viele Stamm- woͤrter des Griechiſchen ſich auch mit geringer Veraͤn- derung im Phrygiſchen fanden, wie Πῦρ, Ὕδωρ, Κύων 1; und wenn das Armeniſche noch jetzt im innern Bau bedeutende Aehnlichkeit mit dem Griechiſchen zeigt, muß dies auf dieſelbe Grundverwandtſchaft zuruͤck- gefuͤhrt werden. Indeſſen haben ſich die Phryger in Aſien ohne Zweifel mannigfach mit Syrern gemiſcht, die nicht blos jenſeits des Halys, ſondern auch dieſſeits in Lykaonien 2 und bis Lykien 3 ſaßen, und daher gar 1 Plato Kratyl. 410 a. Merkwuͤrdig iſt, daß die Worte auch im Deutſchen ſind. Πῦϱ iſt nach den Grundſaͤtzen des Ueber- gangs (ſ. Grimms vortreffliche Grammatik S. 584. zweite Ausg.) althochdeutſch Viuri, plattd. Fuͤr. Κὐων canis Hund (die Zufuͤgung des d iſt wie in Μὴν, Μὰν — phrygiſch der Mond, vgl. Heſych ναὶ Μὴν — und Mahnd, Mond). Ὕδωρ, althochd. wazar, plattd. water; das Digamma iſt noch in der aͤchten phrygiſchen Form βέδυ, welches zugleich wegen alter Nachbarſchaft makedoniſch und orphiſch, (ſ. Neanth. Kyziken. bei Klem. Alex. Strom. 5. S. 673. Jablonsky de lingua Phrygia S. 76.) u. bald Waſſer, bald Luft uͤberſetzt wird. Endlich zeigt die Phrygiſche Inſchrift bei Walpole, beſonders die Worte ΜΙΛΑΙ ΛΑϜΑΓΤΑΕΙ ϜΑΝΑΚΤΕΙ, uͤberraſchende Aehnlichkeit in Flexion und Wurzeln mit dem Grie- chiſchen. 2 S. Jablonsky de lingua Lycaon. Opusc. 3. S. 119. 3 wenn der Epiker Choerilos in der bekannten Stelle von Lykiſchen Solymern ſprach.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/38>, abgerufen am 29.04.2024.