selbst, wo er mit der Tochter des Meroperkönigs den Stammvater jener Häuser gezeugt. Die Sage von diesem Aufenthalt aber ist wieder veranlaßt worden durch einen seit alten Zeiten auf Kos einheimischen Cultus, dessen Gegenstand nach Hellenischer Ansicht Herakles war, nach geschichtlicher indeß schwerlich. Denn die Eigenthümlichkeit dieses Cult -- der Priester zog bei dem Feste desselben, Antimakhia, im Frühjahre ein Weiberkleid an, weil der Held bei einem Kampfe sich selbst in die Kleider eines Weibes versteckt habe 1 -- weist auf Ursprung aus dem nahen Asien; welches auch schon Mythologen des Alterthums veranlaßte, den Koischen Herakles für den Idäischen Daktylen zu er- klären 2. Die Frauen scheinen bei demselben Feste Kühe vorgestellt zu haben 3. Jene Verkleidung aber kam wahrscheinlich auch vor im Lydischen Cultus des (von den Griechen Herakles genannten Heros) San- don 4: denn Omphale soll dem weibischen Helden ein durchsichtiges und mit Sandyx hellroth gefärbtes Ge- wand umgethan haben; eine Mythe, der augenschein- lich ein Festgebrauch die Entstehung gab. Der Mann in der Knechtschaft des wollüstigen Weibes war hier symbolischer Ausdruck einer weichlichen Naturreligion; die Griechen dachten dabei an den Heros im Dienste des Faineant Eurystheus; die Sagen von Herakles Dienstbarkeit gaben bequeme Anknüpfung: oder auch die Alles vermittelnde und vereinigende Argonautenfahrt. Dieser Mythus kommt zuerst bei Pherekydes, bei Hella- nikos dem Lesbier, der sich auf Sagen der Stadt Ake-
1 Plut. Qu. Gr. 58. p. 409. Nikomachos bei Lydus de menss. p. 93.
2 Dissen Expl. Pind. I. 5. p. 525.
3 wie man aus Ovid M. 7, 364. erräth. Vielleicht hing das Fest des Her. mit dem der Hera zusammen, über das Athen. 6, 262.
4 Jo. Laur. Lydus de magistr. 3, 64. p. 268.
ſelbſt, wo er mit der Tochter des Meroperkoͤnigs den Stammvater jener Haͤuſer gezeugt. Die Sage von dieſem Aufenthalt aber iſt wieder veranlaßt worden durch einen ſeit alten Zeiten auf Kos einheimiſchen Cultus, deſſen Gegenſtand nach Helleniſcher Anſicht Herakles war, nach geſchichtlicher indeß ſchwerlich. Denn die Eigenthuͤmlichkeit dieſes Cult — der Prieſter zog bei dem Feſte deſſelben, Ἀντιμαχία, im Fruͤhjahre ein Weiberkleid an, weil der Held bei einem Kampfe ſich ſelbſt in die Kleider eines Weibes verſteckt habe 1 — weist auf Urſprung aus dem nahen Aſien; welches auch ſchon Mythologen des Alterthums veranlaßte, den Koiſchen Herakles fuͤr den Idaͤiſchen Daktylen zu er- klaͤren 2. Die Frauen ſcheinen bei demſelben Feſte Kuͤhe vorgeſtellt zu haben 3. Jene Verkleidung aber kam wahrſcheinlich auch vor im Lydiſchen Cultus des (von den Griechen Herakles genannten Heros) San- don 4: denn Omphale ſoll dem weibiſchen Helden ein durchſichtiges und mit Sandyx hellroth gefaͤrbtes Ge- wand umgethan haben; eine Mythe, der augenſchein- lich ein Feſtgebrauch die Entſtehung gab. Der Mann in der Knechtſchaft des wolluͤſtigen Weibes war hier ſymboliſcher Ausdruck einer weichlichen Naturreligion; die Griechen dachten dabei an den Heros im Dienſte des Faineant Euryſtheus; die Sagen von Herakles Dienſtbarkeit gaben bequeme Anknuͤpfung: oder auch die Alles vermittelnde und vereinigende Argonautenfahrt. Dieſer Mythus kommt zuerſt bei Pherekydes, bei Hella- nikos dem Lesbier, der ſich auf Sagen der Stadt Ake-
1 Plut. Qu. Gr. 58. p. 409. Nikomachos bei Lydus de menss. p. 93.
2 Diſſen Expl. Pind. I. 5. p. 525.
3 wie man aus Ovid M. 7, 364. erraͤth. Vielleicht hing das Feſt des Her. mit dem der Hera zuſammen, uͤber das Athen. 6, 262.
4 Jo. Laur. Lydus de magistr. 3, 64. p. 268.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0480"n="450"/>ſelbſt, wo er mit der Tochter des Meroperkoͤnigs den<lb/>
Stammvater jener Haͤuſer gezeugt. Die Sage von<lb/>
dieſem Aufenthalt aber iſt wieder veranlaßt worden<lb/>
durch einen ſeit alten Zeiten auf Kos einheimiſchen<lb/>
Cultus, deſſen Gegenſtand nach Helleniſcher Anſicht<lb/>
Herakles war, nach geſchichtlicher indeß ſchwerlich.<lb/>
Denn die Eigenthuͤmlichkeit dieſes Cult — der Prieſter<lb/>
zog bei dem Feſte deſſelben, Ἀντιμαχία, im Fruͤhjahre<lb/>
ein Weiberkleid an, weil der Held bei einem Kampfe<lb/>ſich ſelbſt in die Kleider eines Weibes verſteckt habe <noteplace="foot"n="1">Plut. <hirendition="#aq">Qu. Gr. 58. p.</hi> 409. Nikomachos bei Lydus <hirendition="#aq">de<lb/>
menss. p.</hi> 93.</note><lb/>— weist auf Urſprung aus dem nahen Aſien; welches<lb/>
auch ſchon Mythologen des Alterthums veranlaßte, den<lb/>
Koiſchen Herakles fuͤr den Idaͤiſchen Daktylen zu er-<lb/>
klaͤren <noteplace="foot"n="2">Diſſen <hirendition="#aq">Expl. Pind. I. 5. p.</hi> 525.</note>. Die Frauen ſcheinen bei demſelben Feſte Kuͤhe<lb/>
vorgeſtellt zu haben <noteplace="foot"n="3">wie<lb/>
man aus Ovid <hirendition="#aq">M.</hi> 7, 364. erraͤth. Vielleicht hing das Feſt des<lb/>
Her. mit dem der Hera zuſammen, uͤber das Athen. 6, 262.</note>. Jene Verkleidung aber kam<lb/>
wahrſcheinlich auch vor im <hirendition="#g">Lydiſchen</hi> Cultus des<lb/>
(von den Griechen Herakles genannten Heros) San-<lb/>
don <noteplace="foot"n="4">Jo. Laur. Lydus <hirendition="#aq">de magistr. 3, 64. p.</hi> 268.</note>: denn Omphale ſoll dem weibiſchen Helden ein<lb/>
durchſichtiges und mit Sandyx hellroth gefaͤrbtes Ge-<lb/>
wand umgethan haben; eine Mythe, der augenſchein-<lb/>
lich ein Feſtgebrauch die Entſtehung gab. Der Mann<lb/>
in der Knechtſchaft des wolluͤſtigen Weibes war hier<lb/>ſymboliſcher Ausdruck einer weichlichen Naturreligion;<lb/>
die Griechen dachten dabei an den Heros im Dienſte<lb/>
des Faineant Euryſtheus; die Sagen von Herakles<lb/>
Dienſtbarkeit gaben bequeme Anknuͤpfung: oder auch<lb/>
die Alles vermittelnde und vereinigende Argonautenfahrt.<lb/>
Dieſer Mythus kommt zuerſt bei Pherekydes, bei Hella-<lb/>
nikos dem Lesbier, der ſich auf Sagen der Stadt Ake-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[450/0480]
ſelbſt, wo er mit der Tochter des Meroperkoͤnigs den
Stammvater jener Haͤuſer gezeugt. Die Sage von
dieſem Aufenthalt aber iſt wieder veranlaßt worden
durch einen ſeit alten Zeiten auf Kos einheimiſchen
Cultus, deſſen Gegenſtand nach Helleniſcher Anſicht
Herakles war, nach geſchichtlicher indeß ſchwerlich.
Denn die Eigenthuͤmlichkeit dieſes Cult — der Prieſter
zog bei dem Feſte deſſelben, Ἀντιμαχία, im Fruͤhjahre
ein Weiberkleid an, weil der Held bei einem Kampfe
ſich ſelbſt in die Kleider eines Weibes verſteckt habe 1
— weist auf Urſprung aus dem nahen Aſien; welches
auch ſchon Mythologen des Alterthums veranlaßte, den
Koiſchen Herakles fuͤr den Idaͤiſchen Daktylen zu er-
klaͤren 2. Die Frauen ſcheinen bei demſelben Feſte Kuͤhe
vorgeſtellt zu haben 3. Jene Verkleidung aber kam
wahrſcheinlich auch vor im Lydiſchen Cultus des
(von den Griechen Herakles genannten Heros) San-
don 4: denn Omphale ſoll dem weibiſchen Helden ein
durchſichtiges und mit Sandyx hellroth gefaͤrbtes Ge-
wand umgethan haben; eine Mythe, der augenſchein-
lich ein Feſtgebrauch die Entſtehung gab. Der Mann
in der Knechtſchaft des wolluͤſtigen Weibes war hier
ſymboliſcher Ausdruck einer weichlichen Naturreligion;
die Griechen dachten dabei an den Heros im Dienſte
des Faineant Euryſtheus; die Sagen von Herakles
Dienſtbarkeit gaben bequeme Anknuͤpfung: oder auch
die Alles vermittelnde und vereinigende Argonautenfahrt.
Dieſer Mythus kommt zuerſt bei Pherekydes, bei Hella-
nikos dem Lesbier, der ſich auf Sagen der Stadt Ake-
1 Plut. Qu. Gr. 58. p. 409. Nikomachos bei Lydus de
menss. p. 93.
2 Diſſen Expl. Pind. I. 5. p. 525.
3 wie
man aus Ovid M. 7, 364. erraͤth. Vielleicht hing das Feſt des
Her. mit dem der Hera zuſammen, uͤber das Athen. 6, 262.
4 Jo. Laur. Lydus de magistr. 3, 64. p. 268.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/480>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.