mutheten, eine demokratische Wahlordnung vorauszu- setzen, die auch sonst von den Alten angegeben wird. Wir wissen aus Aristoteles, daß Leute aus dem Volke ohne Ansehn, Vermögen und Auszeichnung (oi tukhon- tes) dazu gelangen konnten 1: auf welche Weise in- deß ist nicht recht deutlich. Denn eigentlich erloost wurde kein Magistrat in Sparta 2, aber es scheint, daß Wahl und Loos zusammentrafen 3. Hierin sehen wir einen Grundsatz des Griechischen Alterthums, wel- ches die Criminalgerichtsbarkeit zwar gern aristokra- tisch, die bürgerliche aber durch die Gemeine oder de- ren Stellvertreter verwaltete. In Athen erhielten durch Solon die Volksgerichte zuerst nur die Civilprocesse zur Entscheidung; über Todschlag richtete der timokratische Areopag und die aristokratischen Epheten. In Hera- kleia Pontike waren die Obrigkeiten aus einem engern Adel der Bürgerschaft gewählt; die Dikasterien aber aus dem übrigen Volke 4. In Sparta waren die Ci- vilrichter gleichsam Stellvertreter der ganzen Versamm- lung -- aliaia -- welche in Athen selbst richtete als eliaia.
4.
Von dem genommenen Standpunkte läßt sich nun ferner auch die fortschreitende Erweiterung der Macht der Ephoren fassen und erklären. Es ist Gang der Griechischen Geschichte, daß die Civilgerichte ihr Ansehn und ihren Einfluß ausdehnten, die Criminal- gerichte mehr und mehr verloren. Wie in Athen die
1 Pol. 2, 3, 10. 2, 6, 14. 15. 2, 8, 2. 4, 7, 4.
2 me- demian klerotin, Aristot. 4, 7, 5.
3 Plat. Ges. 3, 692. nennt die Macht der Ephoren eggus tes klerotes. -- Ohne Wahl hätte aber auch Cheilon nicht grade zur Ephorie gelangen, u. sein Bru- der nicht über Zurücksetzung klagen können. Diog. L. a. O. -- Die Ernennung durch die Könige (Plut. Lak. Apophth. 197 H.) ist ein Irrthum.
4 Aristot. 5, 5, 6.
mutheten, eine demokratiſche Wahlordnung vorauszu- ſetzen, die auch ſonſt von den Alten angegeben wird. Wir wiſſen aus Ariſtoteles, daß Leute aus dem Volke ohne Anſehn, Vermoͤgen und Auszeichnung (οἰ τυχόν- τες) dazu gelangen konnten 1: auf welche Weiſe in- deß iſt nicht recht deutlich. Denn eigentlich erloost wurde kein Magiſtrat in Sparta 2, aber es ſcheint, daß Wahl und Loos zuſammentrafen 3. Hierin ſehen wir einen Grundſatz des Griechiſchen Alterthums, wel- ches die Criminalgerichtsbarkeit zwar gern ariſtokra- tiſch, die buͤrgerliche aber durch die Gemeine oder de- ren Stellvertreter verwaltete. In Athen erhielten durch Solon die Volksgerichte zuerſt nur die Civilproceſſe zur Entſcheidung; uͤber Todſchlag richtete der timokratiſche Areopag und die ariſtokratiſchen Epheten. In Hera- kleia Pontike waren die Obrigkeiten aus einem engern Adel der Buͤrgerſchaft gewaͤhlt; die Dikaſterien aber aus dem uͤbrigen Volke 4. In Sparta waren die Ci- vilrichter gleichſam Stellvertreter der ganzen Verſamm- lung — ἁλιαία — welche in Athen ſelbſt richtete als ἡλιαία.
4.
Von dem genommenen Standpunkte laͤßt ſich nun ferner auch die fortſchreitende Erweiterung der Macht der Ephoren faſſen und erklaͤren. Es iſt Gang der Griechiſchen Geſchichte, daß die Civilgerichte ihr Anſehn und ihren Einfluß ausdehnten, die Criminal- gerichte mehr und mehr verloren. Wie in Athen die
1 Pol. 2, 3, 10. 2, 6, 14. 15. 2, 8, 2. 4, 7, 4.
2 μη- δεμὶαν κληϱωτίν, Ariſtot. 4, 7, 5.
3 Plat. Geſ. 3, 692. nennt die Macht der Ephoren ἐγγὺς τῆς κληϱωτῆς. — Ohne Wahl haͤtte aber auch Cheilon nicht grade zur Ephorie gelangen, u. ſein Bru- der nicht uͤber Zuruͤckſetzung klagen koͤnnen. Diog. L. a. O. — Die Ernennung durch die Koͤnige (Plut. Lak. Apophth. 197 H.) iſt ein Irrthum.
4 Ariſtot. 5, 5, 6.
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mutheten, eine demokratiſche Wahlordnung vorauszu-
ſetzen, die auch ſonſt von den Alten angegeben wird.
Wir wiſſen aus Ariſtoteles, daß Leute aus dem Volke
ohne Anſehn, Vermoͤgen und Auszeichnung (οἰ τυχόν-
τες) dazu gelangen konnten 1: auf welche Weiſe in-
deß iſt nicht recht deutlich. Denn eigentlich erloost
wurde kein Magiſtrat in Sparta 2, aber es ſcheint,
daß Wahl und Loos zuſammentrafen 3. Hierin ſehen
wir einen Grundſatz des Griechiſchen Alterthums, wel-
ches die Criminalgerichtsbarkeit zwar gern ariſtokra-
tiſch, die buͤrgerliche aber durch die Gemeine oder de-
ren Stellvertreter verwaltete. In Athen erhielten durch
Solon die Volksgerichte zuerſt nur die Civilproceſſe zur
Entſcheidung; uͤber Todſchlag richtete der timokratiſche
Areopag und die ariſtokratiſchen Epheten. In Hera-
kleia Pontike waren die Obrigkeiten aus einem engern
Adel der Buͤrgerſchaft gewaͤhlt; die Dikaſterien aber
aus dem uͤbrigen Volke 4. In Sparta waren die Ci-
vilrichter gleichſam Stellvertreter der ganzen Verſamm-
lung — ἁλιαία — welche in Athen ſelbſt richtete als
ἡλιαία.
4.
Von dem genommenen Standpunkte laͤßt ſich
nun ferner auch die fortſchreitende Erweiterung der
Macht der Ephoren faſſen und erklaͤren. Es iſt Gang
der Griechiſchen Geſchichte, daß die Civilgerichte ihr
Anſehn und ihren Einfluß ausdehnten, die Criminal-
gerichte mehr und mehr verloren. Wie in Athen die
1 Pol. 2, 3, 10. 2, 6, 14. 15. 2, 8, 2. 4, 7, 4.
2 μη-
δεμὶαν κληϱωτίν, Ariſtot. 4, 7, 5.
3 Plat. Geſ. 3, 692.
nennt die Macht der Ephoren ἐγγὺς τῆς κληϱωτῆς. — Ohne Wahl
haͤtte aber auch Cheilon nicht grade zur Ephorie gelangen, u. ſein Bru-
der nicht uͤber Zuruͤckſetzung klagen koͤnnen. Diog. L. a. O. — Die
Ernennung durch die Koͤnige (Plut. Lak. Apophth. 197 H.) iſt ein
Irrthum.
4 Ariſtot. 5, 5, 6.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/123>, abgerufen am 21.11.2024.
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