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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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das Bestreben, allen Wechsel auszuschließen, nie völlig
sein Ziel erreicht, da theils die Nationalität selbst nach
innern Gesetzen allerlei verschiedene Bildungen durch-
geht, theils die von außen zudrängenden Umstände und
Verhältnisse Modisicationen veranlassen. Andere Staa-
ten dagegen, die der Vielheit vornweg mehr Raum
lassen, stellen auch, wenn jene ein unverrücktes Sein,
so mehr ein mannigfach bewegtes Leben dar, nehmen
von Zeit und Ort Dargebotenes bereitwillig auf, ja
haschen leidenschaftlich nach Anlässen von Veränderung.
Diese vielbewegten Staaten werden allerdings bald
alle Festigkeit und allen Charakter verlieren und sich
innerlich auflösen; aber auch jene stetigen müssen end-
lich, nachdem sie lange als Ruinen in fremdartiger
Umgebung gestanden haben, dem allgemeinen Fluß der
Dinge weichen, und es pflegt ihrem Untergange die
völligste Zerrüttung vorauszugehn.

2.

Dieser Gegensatz bezeichnet, wenn auch etwas
zu stark, den des Dorischen und Jonischen Stammes.
Jene hatten unter allen Hellenen am meisten Ehrfurcht
vor der alten Zeit, und nicht schlechter zu sein als die
Väter, war für Spartiaten die höchste Ermahnung 1;
diese dagegen waren neoteristisch in jeglichem Thun
und für fremde Mittheilung ausnehmend empfänglich,
daher sie auch ihre Städte überall seeländisch, die
Dorier lieber binnenländisch anlegten. Mit welcher
Sorge diese, namentlich die Spartiaten, den reinen
Dorismus, der Väter Sitte, zu erhalten suchten, zeigt
am meisten das ihnen mit den Kretern gemeinsame
Reiseverbot 2 und die Xenelasia, obgleich davon schon

1 Thuk. 2, 11. vgl. 1, 70. 71. Athen. 14, 624 c. Ag.
2 Platon Protag. 342 c. Xenoph. Laked. Staat 14. Plut. Inst.
Lac. p.
252., besonders Isokr. Busiris 8. Die Spart. endemota-
toi, Thuk. 1, 70. Genaueres unten K. 12.

das Beſtreben, allen Wechſel auszuſchließen, nie voͤllig
ſein Ziel erreicht, da theils die Nationalitaͤt ſelbſt nach
innern Geſetzen allerlei verſchiedene Bildungen durch-
geht, theils die von außen zudraͤngenden Umſtaͤnde und
Verhaͤltniſſe Modiſicationen veranlaſſen. Andere Staa-
ten dagegen, die der Vielheit vornweg mehr Raum
laſſen, ſtellen auch, wenn jene ein unverruͤcktes Sein,
ſo mehr ein mannigfach bewegtes Leben dar, nehmen
von Zeit und Ort Dargebotenes bereitwillig auf, ja
haſchen leidenſchaftlich nach Anlaͤſſen von Veraͤnderung.
Dieſe vielbewegten Staaten werden allerdings bald
alle Feſtigkeit und allen Charakter verlieren und ſich
innerlich aufloͤſen; aber auch jene ſtetigen muͤſſen end-
lich, nachdem ſie lange als Ruinen in fremdartiger
Umgebung geſtanden haben, dem allgemeinen Fluß der
Dinge weichen, und es pflegt ihrem Untergange die
voͤlligſte Zerruͤttung vorauszugehn.

2.

Dieſer Gegenſatz bezeichnet, wenn auch etwas
zu ſtark, den des Doriſchen und Joniſchen Stammes.
Jene hatten unter allen Hellenen am meiſten Ehrfurcht
vor der alten Zeit, und nicht ſchlechter zu ſein als die
Vaͤter, war fuͤr Spartiaten die hoͤchſte Ermahnung 1;
dieſe dagegen waren neoteriſtiſch in jeglichem Thun
und fuͤr fremde Mittheilung ausnehmend empfaͤnglich,
daher ſie auch ihre Staͤdte uͤberall ſeelaͤndiſch, die
Dorier lieber binnenlaͤndiſch anlegten. Mit welcher
Sorge dieſe, namentlich die Spartiaten, den reinen
Dorismus, der Vaͤter Sitte, zu erhalten ſuchten, zeigt
am meiſten das ihnen mit den Kretern gemeinſame
Reiſeverbot 2 und die Xenelaſia, obgleich davon ſchon

1 Thuk. 2, 11. vgl. 1, 70. 71. Athen. 14, 624 c. Ag.
2 Platon Protag. 342 c. Xenoph. Laked. Staat 14. Plut. Inst.
Lac. p.
252., beſonders Iſokr. Buſiris 8. Die Spart. ἐνδημότα-
τοι, Thuk. 1, 70. Genaueres unten K. 12.
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[7/0013] das Beſtreben, allen Wechſel auszuſchließen, nie voͤllig ſein Ziel erreicht, da theils die Nationalitaͤt ſelbſt nach innern Geſetzen allerlei verſchiedene Bildungen durch- geht, theils die von außen zudraͤngenden Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe Modiſicationen veranlaſſen. Andere Staa- ten dagegen, die der Vielheit vornweg mehr Raum laſſen, ſtellen auch, wenn jene ein unverruͤcktes Sein, ſo mehr ein mannigfach bewegtes Leben dar, nehmen von Zeit und Ort Dargebotenes bereitwillig auf, ja haſchen leidenſchaftlich nach Anlaͤſſen von Veraͤnderung. Dieſe vielbewegten Staaten werden allerdings bald alle Feſtigkeit und allen Charakter verlieren und ſich innerlich aufloͤſen; aber auch jene ſtetigen muͤſſen end- lich, nachdem ſie lange als Ruinen in fremdartiger Umgebung geſtanden haben, dem allgemeinen Fluß der Dinge weichen, und es pflegt ihrem Untergange die voͤlligſte Zerruͤttung vorauszugehn. 2. Dieſer Gegenſatz bezeichnet, wenn auch etwas zu ſtark, den des Doriſchen und Joniſchen Stammes. Jene hatten unter allen Hellenen am meiſten Ehrfurcht vor der alten Zeit, und nicht ſchlechter zu ſein als die Vaͤter, war fuͤr Spartiaten die hoͤchſte Ermahnung 1; dieſe dagegen waren neoteriſtiſch in jeglichem Thun und fuͤr fremde Mittheilung ausnehmend empfaͤnglich, daher ſie auch ihre Staͤdte uͤberall ſeelaͤndiſch, die Dorier lieber binnenlaͤndiſch anlegten. Mit welcher Sorge dieſe, namentlich die Spartiaten, den reinen Dorismus, der Vaͤter Sitte, zu erhalten ſuchten, zeigt am meiſten das ihnen mit den Kretern gemeinſame Reiſeverbot 2 und die Xenelaſia, obgleich davon ſchon 1 Thuk. 2, 11. vgl. 1, 70. 71. Athen. 14, 624 c. Ag. 2 Platon Protag. 342 c. Xenoph. Laked. Staat 14. Plut. Inst. Lac. p. 252., beſonders Iſokr. Buſiris 8. Die Spart. ἐνδημότα- τοι, Thuk. 1, 70. Genaueres unten K. 12.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/13>, abgerufen am 21.11.2024.