sich ein Demos gebildet, welcher durch die gewaltsame Losreißung und die feindliche Stellung Korkyra's zum Mutterlande freiere Bewegung erhielt. Hierzu kam, daß die Verbindung der Insel mit dem Peloponnesi- schem Bunde lose geworden, und an deren Stelle eine engere mit Athen geknüpft war: so daß also die ari- stokratische Parthei ihres Haltes entbehrte, die demo- kratische einen sehr wichtigen gewonnen hatte. Verband sich nun noch der Demos mit dem zahlreichen Sklaven- stande 1: so mußte die Aristokratie unterliegen, deren Ausrottung von so blutigen, so gräuelvollen Scenen begleitet wurde, wie kaum in einem andern Staate Griechenlands 2. Aber schon vor diesem Ereignisse war die Verfassung demokratisch 3. Die Volksversamm- lung hatte die höchste Gewalt; und wenn die Auktori- tät des Raths vielleicht größer als in Athen war 4: so war doch derselbe offenbar nur ein Theil des De- mos 5; Vorsteher des Demos scheint hier wie ander- wärts ein förmliches Amt gewesen zu sein 6. Von dieser Zeit an herrschte die ungebundenste Freiheit in Korkyra, von welcher das Sprüchwort zwar derb, aber prägnant sagt: Frei sind wir in Korkyra, mach' wohin du willst 7. Die Korkyräer waren rührig, betriebsam, unternehmend, gewandte Matrosen, thätige Kaufleute: aber es war bei ihnen ganz und gar die Festigkeit und edle Richtung des Dorischen Charakters verschwunden. An Unverschämtheit übertrafen sie noch die Athener,
1 Thuk. 3, 73.
2 vgl. Dion. Hal. Arch. 7, 66. Diod. 13, 48.
3 Thuk. 3, 81.
4 Da ein bouleutes hoffen kann, als solcher das Volk zu einem Bündnisse mit Athen zu be- reden. Thuk. 3, 70.
5 Th. 3, 70.
6 Th. 3, 70. 4, 46. Aeneas Poliork. 11. Diodor 12, 57. indessen blos: tous de- magogein eiothotas kai malista tou plethous proIstasthae.
ſich ein Demos gebildet, welcher durch die gewaltſame Losreißung und die feindliche Stellung Korkyra’s zum Mutterlande freiere Bewegung erhielt. Hierzu kam, daß die Verbindung der Inſel mit dem Peloponneſi- ſchem Bunde loſe geworden, und an deren Stelle eine engere mit Athen geknuͤpft war: ſo daß alſo die ari- ſtokratiſche Parthei ihres Haltes entbehrte, die demo- kratiſche einen ſehr wichtigen gewonnen hatte. Verband ſich nun noch der Demos mit dem zahlreichen Sklaven- ſtande 1: ſo mußte die Ariſtokratie unterliegen, deren Ausrottung von ſo blutigen, ſo graͤuelvollen Scenen begleitet wurde, wie kaum in einem andern Staate Griechenlands 2. Aber ſchon vor dieſem Ereigniſſe war die Verfaſſung demokratiſch 3. Die Volksverſamm- lung hatte die hoͤchſte Gewalt; und wenn die Auktori- taͤt des Raths vielleicht groͤßer als in Athen war 4: ſo war doch derſelbe offenbar nur ein Theil des De- mos 5; Vorſteher des Demos ſcheint hier wie ander- waͤrts ein foͤrmliches Amt geweſen zu ſein 6. Von dieſer Zeit an herrſchte die ungebundenſte Freiheit in Korkyra, von welcher das Spruͤchwort zwar derb, aber praͤgnant ſagt: Frei ſind wir in Korkyra, mach’ wohin du willſt 7. Die Korkyraͤer waren ruͤhrig, betriebſam, unternehmend, gewandte Matroſen, thaͤtige Kaufleute: aber es war bei ihnen ganz und gar die Feſtigkeit und edle Richtung des Doriſchen Charakters verſchwunden. An Unverſchaͤmtheit uͤbertrafen ſie noch die Athener,
1 Thuk. 3, 73.
2 vgl. Dion. Hal. Arch. 7, 66. Diod. 13, 48.
3 Thuk. 3, 81.
4 Da ein βουλευτὴς hoffen kann, als ſolcher das Volk zu einem Buͤndniſſe mit Athen zu be- reden. Thuk. 3, 70.
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ſich ein Demos gebildet, welcher durch die gewaltſame
Losreißung und die feindliche Stellung Korkyra’s zum
Mutterlande freiere Bewegung erhielt. Hierzu kam,
daß die Verbindung der Inſel mit dem Peloponneſi-
ſchem Bunde loſe geworden, und an deren Stelle eine
engere mit Athen geknuͤpft war: ſo daß alſo die ari-
ſtokratiſche Parthei ihres Haltes entbehrte, die demo-
kratiſche einen ſehr wichtigen gewonnen hatte. Verband
ſich nun noch der Demos mit dem zahlreichen Sklaven-
ſtande 1: ſo mußte die Ariſtokratie unterliegen, deren
Ausrottung von ſo blutigen, ſo graͤuelvollen Scenen
begleitet wurde, wie kaum in einem andern Staate
Griechenlands 2. Aber ſchon vor dieſem Ereigniſſe
war die Verfaſſung demokratiſch 3. Die Volksverſamm-
lung hatte die hoͤchſte Gewalt; und wenn die Auktori-
taͤt des Raths vielleicht groͤßer als in Athen war 4:
ſo war doch derſelbe offenbar nur ein Theil des De-
mos 5; Vorſteher des Demos ſcheint hier wie ander-
waͤrts ein foͤrmliches Amt geweſen zu ſein 6. Von
dieſer Zeit an herrſchte die ungebundenſte Freiheit in
Korkyra, von welcher das Spruͤchwort zwar derb, aber
praͤgnant ſagt: Frei ſind wir in Korkyra, mach’ wohin
du willſt 7. Die Korkyraͤer waren ruͤhrig, betriebſam,
unternehmend, gewandte Matroſen, thaͤtige Kaufleute:
aber es war bei ihnen ganz und gar die Feſtigkeit und
edle Richtung des Doriſchen Charakters verſchwunden.
An Unverſchaͤmtheit uͤbertrafen ſie noch die Athener,
1 Thuk. 3, 73.
2 vgl. Dion. Hal. Arch. 7, 66. Diod.
13, 48.
3 Thuk. 3, 81.
4 Da ein βουλευτὴς hoffen
kann, als ſolcher das Volk zu einem Buͤndniſſe mit Athen zu be-
reden. Thuk. 3, 70.
5 Th. 3, 70.
6 Th. 3, 70. 4,
46. Aeneas Poliork. 11. Diodor 12, 57. indeſſen blos: τοὺς δη-
μαγωγεῖν εἰωϑότας καὶ μάλιστα τοῦ πλήθους πϱοΐστασϑαε.
7 Ελενθέϱα Κόϱκυϱα, χἐξ̓ ὃπου ϑέλεις, Prov. metrica v. 569
Schott.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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