wohl auch den Neubürgern gleiches Recht gegeben, die sonst einmal von den alten Colonisten ihrer Anmaßun- gen wegen aus der Stadt gejagt worden waren 1. Darnach scheint die Demokratie lange fortbestanden zu haben 2, aber sie führte nach Theopomp bei dem täg- lichen Herumtreiben auf dem Markte allgemach ein verworfenes Leben in Schenken und Lüderlichkeit her- bei; welches auch auf die Nachbarstadt Chalkedon über- ging, da diese die Byzantische Volksherrschaft ange- nommen, und mit der alten Verfassung auch die früher vortreffliche Zucht der Sitten aufgegeben hatte. Auch waren in diesen Zeiten meistentheils die Byzantier in Finanznoth, aus der sie sich oft durch sehr gewaltsame Operationen zu retten suchten 3. -- In dem Dekret bei Demosthenes übergiebt der Rath (bola) einen Vorbeschluß, Retra genannt 4, einem Einzelnen, um ihn an das Volk in der alia zu bringen, ziemlich auf Attische Weise; die damalige Verfassung heißt darin a patrios politeia. Die Archontenwürde war vielleicht mit der Demokratie eingeführt 5; die Civilgewalt der Strategen ist vielen Staaten in spätern Zeiten gemein. -- Als Abtheilung der Phylen 6, wie es scheint, als eine Art Phratrien also, kommen die Hunderte, eka- tostus, vor 7; die wahrscheinlich allen Megarischen Colonieen gemein waren, da wir sie auch in Herakleia Pontike finden. Hier wissen wir notorisch, daß einst die Hekatostys Glieder der Phylen waren, deren die
1 Arist. Pol. 5, 2, 10.
2 Theopomp bei Athen. 12, 526 e. vergl. Memnon 23 bei Photios p. 724.
3 Ps. Aristot. Oekon. 2, 3. Die Zolleintreibungen am Bosporos sind bekannt.
4 Retra heißt auch in Sparta (oben S. 86.) ein Senatsbeschluß schon ehe ihn das Volk gebilligt hat.
5 Sie kommt auf Mün- zen vor. vgl. Heyne Commentat. rec. Gotting. T. 1. p. 8.
6 Ps. Aristot. Oekon. a. O.
7 Chandl. Inscr. App. 12. p. 94.
wohl auch den Neubuͤrgern gleiches Recht gegeben, die ſonſt einmal von den alten Coloniſten ihrer Anmaßun- gen wegen aus der Stadt gejagt worden waren 1. Darnach ſcheint die Demokratie lange fortbeſtanden zu haben 2, aber ſie fuͤhrte nach Theopomp bei dem taͤg- lichen Herumtreiben auf dem Markte allgemach ein verworfenes Leben in Schenken und Luͤderlichkeit her- bei; welches auch auf die Nachbarſtadt Chalkedon uͤber- ging, da dieſe die Byzantiſche Volksherrſchaft ange- nommen, und mit der alten Verfaſſung auch die fruͤher vortreffliche Zucht der Sitten aufgegeben hatte. Auch waren in dieſen Zeiten meiſtentheils die Byzantier in Finanznoth, aus der ſie ſich oft durch ſehr gewaltſame Operationen zu retten ſuchten 3. — In dem Dekret bei Demoſthenes uͤbergiebt der Rath (βωλὰ) einen Vorbeſchluß, ῥήτρα genannt 4, einem Einzelnen, um ihn an das Volk in der ἁλία zu bringen, ziemlich auf Attiſche Weiſe; die damalige Verfaſſung heißt darin ἁ πάτριος πολιτεία. Die Archontenwuͤrde war vielleicht mit der Demokratie eingefuͤhrt 5; die Civilgewalt der Strategen iſt vielen Staaten in ſpaͤtern Zeiten gemein. — Als Abtheilung der Phylen 6, wie es ſcheint, als eine Art Phratrien alſo, kommen die Hunderte, ἐκα- τοστῦς, vor 7; die wahrſcheinlich allen Megariſchen Colonieen gemein waren, da wir ſie auch in Herakleia Pontike finden. Hier wiſſen wir notoriſch, daß einſt die Hekatoſtys Glieder der Phylen waren, deren die
1 Ariſt. Pol. 5, 2, 10.
2 Theopomp bei Athen. 12, 526 e. vergl. Memnon 23 bei Photios p. 724.
3 Pſ. Ariſtot. Oekon. 2, 3. Die Zolleintreibungen am Boſporos ſind bekannt.
4 ῥὴτϱα heißt auch in Sparta (oben S. 86.) ein Senatsbeſchluß ſchon ehe ihn das Volk gebilligt hat.
5 Sie kommt auf Muͤn- zen vor. vgl. Heyne Commentat. rec. Gotting. T. 1. p. 8.
6 Pſ. Ariſtot. Oekon. a. O.
7 Chandl. Inscr. App. 12. p. 94.
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Darnach ſcheint die Demokratie lange fortbeſtanden zu
haben 2, aber ſie fuͤhrte nach Theopomp bei dem taͤg-
lichen Herumtreiben auf dem Markte allgemach ein
verworfenes Leben in Schenken und Luͤderlichkeit her-
bei; welches auch auf die Nachbarſtadt Chalkedon uͤber-
ging, da dieſe die Byzantiſche Volksherrſchaft ange-
nommen, und mit der alten Verfaſſung auch die fruͤher
vortreffliche Zucht der Sitten aufgegeben hatte. Auch
waren in dieſen Zeiten meiſtentheils die Byzantier in
Finanznoth, aus der ſie ſich oft durch ſehr gewaltſame
Operationen zu retten ſuchten 3. — In dem Dekret
bei Demoſthenes uͤbergiebt der Rath (βωλὰ) einen
Vorbeſchluß, ῥήτρα genannt 4, einem Einzelnen, um
ihn an das Volk in der ἁλία zu bringen, ziemlich auf
Attiſche Weiſe; die damalige Verfaſſung heißt darin ἁ
πάτριος πολιτεία. Die Archontenwuͤrde war vielleicht
mit der Demokratie eingefuͤhrt 5; die Civilgewalt der
Strategen iſt vielen Staaten in ſpaͤtern Zeiten gemein.
— Als Abtheilung der Phylen 6, wie es ſcheint, als
eine Art Phratrien alſo, kommen die Hunderte, ἐκα-
τοστῦς, vor 7; die wahrſcheinlich allen Megariſchen
Colonieen gemein waren, da wir ſie auch in Herakleia
Pontike finden. Hier wiſſen wir notoriſch, daß einſt
die Hekatoſtys Glieder der Phylen waren, deren die
1 Ariſt. Pol. 5, 2, 10.
2 Theopomp bei Athen. 12,
526 e. vergl. Memnon 23 bei Photios p. 724.
3 Pſ. Ariſtot.
Oekon. 2, 3. Die Zolleintreibungen am Boſporos ſind bekannt.
4 ῥὴτϱα heißt auch in Sparta (oben S. 86.) ein Senatsbeſchluß
ſchon ehe ihn das Volk gebilligt hat.
5 Sie kommt auf Muͤn-
zen vor. vgl. Heyne Commentat. rec. Gotting. T. 1. p. 8.
6 Pſ. Ariſtot. Oekon. a. O.
7 Chandl. Inscr. App. 12. p. 94.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/176>, abgerufen am 18.12.2024.
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