Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

disciplinarischer Gesetze; auch ist die hier executirte Gü-
tergemeinschaft der Dorischen Gütergleichheit in der
Idee nahe verwandt. Und Platon, wenn er auch den
Spartiatischen und Kretischen Staat einer nicht immer
billigen Critik unterzieht, hat doch offenbar seine poli-
tischen Ideen, wenn auch nicht durchaus unmittelbar,
von der Betrachtung dieser Staaten abgezogen 1, da
ganz ohne historisch gegebene Basis, so versteckt sie auch
immer sein mag, Spekulation über den Staat sich
schwerlich denken läßt: die Attisch-Ionische Demokra-
tie aber verschmäht er gänzlich in Betracht zu ziehn,
weil sie ihm auf seinem Standpunkte minder ein Staat,
als eine Vernichtung des Staats scheinen mußte, wo
Jeder für sich Alles zu sein strebend, den Organismus,
in dem Jeder nur als Theil des Ganzen existirt, auf-
zulösen trachtete.

Es wäre interessant zu wissen, wie Spartiaten
der bessern Zeit diese aufgelösten Verfassungen ansa-
hen und beurtheilten. Schwerlich, mögen wir anneh-
men, mit günstiger Meinung. Vielmehr erschien ihnen
der Demos von Athen gewiß im Ganzen, wie ein La-
kone bei Aristophanes 2 sich ausdrückt, als ein Rua-
khetos, als ein verworrener stürmischer Volkshaufen.
Daher sie sich auch im Pelop. Kriege scheuten, mit der
ganzen Gemeine zu verkehren, und nur mit einzel-
nen Ausgewählten unterhandeln wollten 3. Ueberhaupt
aber war Sparta, weil es in Vergleich mit der allge-
meinen Beweglichkeit des Griechischen Wesens seit den
Perserkriegen dem starren Magnete glich, der noch im-

1 Ueber die Aehnlichkeit des Platonischen und Lakonischen
Staats Morgenstern de Platon. rep. p. 305.
2 Lysistr. 170.
vgl. den labros stratos des Pindar oben S. 12, 3.
3 Thuk.
4, 22. Vgl. die Entschuldigungen des Alkibiades, 6, 89.

diſciplinariſcher Geſetze; auch iſt die hier executirte Guͤ-
tergemeinſchaft der Doriſchen Guͤtergleichheit in der
Idee nahe verwandt. Und Platon, wenn er auch den
Spartiatiſchen und Kretiſchen Staat einer nicht immer
billigen Critik unterzieht, hat doch offenbar ſeine poli-
tiſchen Ideen, wenn auch nicht durchaus unmittelbar,
von der Betrachtung dieſer Staaten abgezogen 1, da
ganz ohne hiſtoriſch gegebene Baſis, ſo verſteckt ſie auch
immer ſein mag, Spekulation uͤber den Staat ſich
ſchwerlich denken laͤßt: die Attiſch-Ioniſche Demokra-
tie aber verſchmaͤht er gaͤnzlich in Betracht zu ziehn,
weil ſie ihm auf ſeinem Standpunkte minder ein Staat,
als eine Vernichtung des Staats ſcheinen mußte, wo
Jeder fuͤr ſich Alles zu ſein ſtrebend, den Organismus,
in dem Jeder nur als Theil des Ganzen exiſtirt, auf-
zuloͤſen trachtete.

Es waͤre intereſſant zu wiſſen, wie Spartiaten
der beſſern Zeit dieſe aufgeloͤsten Verfaſſungen anſa-
hen und beurtheilten. Schwerlich, moͤgen wir anneh-
men, mit guͤnſtiger Meinung. Vielmehr erſchien ihnen
der Demos von Athen gewiß im Ganzen, wie ein La-
kone bei Ariſtophanes 2 ſich ausdruͤckt, als ein ῥυά-
χετος, als ein verworrener ſtuͤrmiſcher Volkshaufen.
Daher ſie ſich auch im Pelop. Kriege ſcheuten, mit der
ganzen Gemeine zu verkehren, und nur mit einzel-
nen Ausgewaͤhlten unterhandeln wollten 3. Ueberhaupt
aber war Sparta, weil es in Vergleich mit der allge-
meinen Beweglichkeit des Griechiſchen Weſens ſeit den
Perſerkriegen dem ſtarren Magnete glich, der noch im-

1 Ueber die Aehnlichkeit des Platoniſchen und Lakoniſchen
Staats Morgenſtern de Platon. rep. p. 305.
2 Lyſiſtr. 170.
vgl. den λάβϱος στϱατὸς des Pindar oben S. 12, 3.
3 Thuk.
4, 22. Vgl. die Entſchuldigungen des Alkibiades, 6, 89.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="187"/>
di&#x017F;ciplinari&#x017F;cher Ge&#x017F;etze; auch i&#x017F;t die hier executirte Gu&#x0364;-<lb/>
tergemein&#x017F;chaft der Dori&#x017F;chen Gu&#x0364;tergleichheit in der<lb/>
Idee nahe verwandt. Und Platon, wenn er auch den<lb/>
Spartiati&#x017F;chen und Kreti&#x017F;chen Staat einer nicht immer<lb/>
billigen Critik unterzieht, hat doch offenbar &#x017F;eine poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Ideen, wenn auch nicht durchaus unmittelbar,<lb/>
von der Betrachtung die&#x017F;er Staaten abgezogen <note place="foot" n="1">Ueber die Aehnlichkeit des Platoni&#x017F;chen und Lakoni&#x017F;chen<lb/>
Staats Morgen&#x017F;tern <hi rendition="#aq">de Platon. rep. p.</hi> 305.</note>, da<lb/>
ganz ohne hi&#x017F;tori&#x017F;ch gegebene Ba&#x017F;is, &#x017F;o ver&#x017F;teckt &#x017F;ie auch<lb/>
immer &#x017F;ein mag, Spekulation u&#x0364;ber den Staat &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chwerlich denken la&#x0364;ßt: die Atti&#x017F;ch-Ioni&#x017F;che Demokra-<lb/>
tie aber ver&#x017F;chma&#x0364;ht er ga&#x0364;nzlich in Betracht zu ziehn,<lb/>
weil &#x017F;ie ihm auf &#x017F;einem Standpunkte minder ein Staat,<lb/>
als eine Vernichtung des Staats &#x017F;cheinen mußte, wo<lb/>
Jeder fu&#x0364;r &#x017F;ich Alles zu &#x017F;ein &#x017F;trebend, den Organismus,<lb/>
in dem Jeder nur als Theil des Ganzen exi&#x017F;tirt, auf-<lb/>
zulo&#x0364;&#x017F;en trachtete.</p><lb/>
            <p>Es wa&#x0364;re intere&#x017F;&#x017F;ant zu wi&#x017F;&#x017F;en, wie Spartiaten<lb/>
der be&#x017F;&#x017F;ern Zeit die&#x017F;e aufgelo&#x0364;sten Verfa&#x017F;&#x017F;ungen an&#x017F;a-<lb/>
hen und beurtheilten. Schwerlich, mo&#x0364;gen wir anneh-<lb/>
men, mit gu&#x0364;n&#x017F;tiger Meinung. Vielmehr er&#x017F;chien ihnen<lb/>
der Demos von Athen gewiß im Ganzen, wie ein La-<lb/>
kone bei Ari&#x017F;tophanes <note place="foot" n="2">Ly&#x017F;i&#x017F;tr. 170.<lb/>
vgl. den &#x03BB;&#x03AC;&#x03B2;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; &#x03C3;&#x03C4;&#x03F1;&#x03B1;&#x03C4;&#x1F78;&#x03C2; des Pindar oben S. 12, 3.</note> &#x017F;ich ausdru&#x0364;ckt, als ein &#x1FE5;&#x03C5;&#x03AC;-<lb/>
&#x03C7;&#x03B5;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;, als ein verworrener &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;cher Volkshaufen.<lb/>
Daher &#x017F;ie &#x017F;ich auch im Pelop. Kriege &#x017F;cheuten, mit der<lb/>
ganzen Gemeine zu verkehren, und nur mit einzel-<lb/>
nen Ausgewa&#x0364;hlten unterhandeln wollten <note place="foot" n="3">Thuk.<lb/>
4, 22. Vgl. die Ent&#x017F;chuldigungen des Alkibiades, 6, 89.</note>. Ueberhaupt<lb/>
aber war Sparta, weil es in Vergleich mit der allge-<lb/>
meinen Beweglichkeit des Griechi&#x017F;chen We&#x017F;ens &#x017F;eit den<lb/>
Per&#x017F;erkriegen dem &#x017F;tarren Magnete glich, der noch im-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0193] diſciplinariſcher Geſetze; auch iſt die hier executirte Guͤ- tergemeinſchaft der Doriſchen Guͤtergleichheit in der Idee nahe verwandt. Und Platon, wenn er auch den Spartiatiſchen und Kretiſchen Staat einer nicht immer billigen Critik unterzieht, hat doch offenbar ſeine poli- tiſchen Ideen, wenn auch nicht durchaus unmittelbar, von der Betrachtung dieſer Staaten abgezogen 1, da ganz ohne hiſtoriſch gegebene Baſis, ſo verſteckt ſie auch immer ſein mag, Spekulation uͤber den Staat ſich ſchwerlich denken laͤßt: die Attiſch-Ioniſche Demokra- tie aber verſchmaͤht er gaͤnzlich in Betracht zu ziehn, weil ſie ihm auf ſeinem Standpunkte minder ein Staat, als eine Vernichtung des Staats ſcheinen mußte, wo Jeder fuͤr ſich Alles zu ſein ſtrebend, den Organismus, in dem Jeder nur als Theil des Ganzen exiſtirt, auf- zuloͤſen trachtete. Es waͤre intereſſant zu wiſſen, wie Spartiaten der beſſern Zeit dieſe aufgeloͤsten Verfaſſungen anſa- hen und beurtheilten. Schwerlich, moͤgen wir anneh- men, mit guͤnſtiger Meinung. Vielmehr erſchien ihnen der Demos von Athen gewiß im Ganzen, wie ein La- kone bei Ariſtophanes 2 ſich ausdruͤckt, als ein ῥυά- χετος, als ein verworrener ſtuͤrmiſcher Volkshaufen. Daher ſie ſich auch im Pelop. Kriege ſcheuten, mit der ganzen Gemeine zu verkehren, und nur mit einzel- nen Ausgewaͤhlten unterhandeln wollten 3. Ueberhaupt aber war Sparta, weil es in Vergleich mit der allge- meinen Beweglichkeit des Griechiſchen Weſens ſeit den Perſerkriegen dem ſtarren Magnete glich, der noch im- 1 Ueber die Aehnlichkeit des Platoniſchen und Lakoniſchen Staats Morgenſtern de Platon. rep. p. 305. 2 Lyſiſtr. 170. vgl. den λάβϱος στϱατὸς des Pindar oben S. 12, 3. 3 Thuk. 4, 22. Vgl. die Entſchuldigungen des Alkibiades, 6, 89.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/193
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/193>, abgerufen am 19.05.2024.