Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite
10.

Diese Verbindung führt wieder auf den Satz
zurück, daß in der ächtdorischen Verfassung Ideen an
der Spitze standen, die dem Volkstamme national, und
im Apollinischen Cultus nach einer andern Seite hin
ausgedrückt waren: die der harmonischen Ordnung
(to eukosmon), der innern Regelung und Maaßhal-
tung (sophrosune) und der stets gerüsteten Mannhaf-
tigkeit (arete) 1. Dazu ist die Verfassung eine Er-
ziehung des Alters wie der Jugend, wie denn über-
haupt die Erziehung ein wichtigeres Kapitel im Dori-
schen Staate ist, als die Regierung. Daher mußten
denn auch alle Versuche, den Lykurgischen Staat aus
partiellen Zwecken und Absichten zu erklären, miß-
glücken. Daß äußeres Glück und Genuß nicht das
Ziel dieser Einrichtungen war, sah man leicht. Aber
man glaubte Alles mit Aristoteles 2 aus dem Endzweck
herleiten zu können, die Spartiaten zu tapfern Krie-
gern und den Staat zu einem herrschenden und er-
obernden zu machen: da doch Sparta fast niemals
Kriege suchte, selten Siege verfolgte, und in der gan-
zen Zeit seiner Blüthe keine eigentliche Eroberung machte.
-- Sondern der Dorische Staat ist ein Kunstwerk, wie
es menschliches Handeln stets wird, wo es, von einem
Prinzip beseelt, sich zu einem Organismus gestaltet,
ein Kunstwerk, welches die gesammte Nation in ihrer
Einheit fortwährend schafft und darstellt.


1 Vgl. indeß Thuk. 1, 84. Platon Alkib. I c. 38.
2 7,
2, 5. Engel de rep. milit. Spart. Göttinger Preisschr. 1790.,
wo Kosacken, Spartiaten und Kreter zusammengestellt werden.
Vgl. Heyne de Spartan. rep. Commentat. Gotting. T. IX. p. 8.
2*
10.

Dieſe Verbindung fuͤhrt wieder auf den Satz
zuruͤck, daß in der aͤchtdoriſchen Verfaſſung Ideen an
der Spitze ſtanden, die dem Volkſtamme national, und
im Apolliniſchen Cultus nach einer andern Seite hin
ausgedruͤckt waren: die der harmoniſchen Ordnung
(τὸ εὔκοσμον), der innern Regelung und Maaßhal-
tung (σωφϱοσύνη) und der ſtets geruͤſteten Mannhaf-
tigkeit (ἀρετή) 1. Dazu iſt die Verfaſſung eine Er-
ziehung des Alters wie der Jugend, wie denn uͤber-
haupt die Erziehung ein wichtigeres Kapitel im Dori-
ſchen Staate iſt, als die Regierung. Daher mußten
denn auch alle Verſuche, den Lykurgiſchen Staat aus
partiellen Zwecken und Abſichten zu erklaͤren, miß-
gluͤcken. Daß aͤußeres Gluͤck und Genuß nicht das
Ziel dieſer Einrichtungen war, ſah man leicht. Aber
man glaubte Alles mit Ariſtoteles 2 aus dem Endzweck
herleiten zu koͤnnen, die Spartiaten zu tapfern Krie-
gern und den Staat zu einem herrſchenden und er-
obernden zu machen: da doch Sparta faſt niemals
Kriege ſuchte, ſelten Siege verfolgte, und in der gan-
zen Zeit ſeiner Bluͤthe keine eigentliche Eroberung machte.
— Sondern der Doriſche Staat iſt ein Kunſtwerk, wie
es menſchliches Handeln ſtets wird, wo es, von einem
Prinzip beſeelt, ſich zu einem Organismus geſtaltet,
ein Kunſtwerk, welches die geſammte Nation in ihrer
Einheit fortwaͤhrend ſchafft und darſtellt.


1 Vgl. indeß Thuk. 1, 84. Platon Alkib. I c. 38.
2 7,
2, 5. Engel de rep. milit. Spart. Goͤttinger Preisſchr. 1790.,
wo Koſacken, Spartiaten und Kreter zuſammengeſtellt werden.
Vgl. Heyne de Spartan. rep. Commentat. Gotting. T. IX. p. 8.
2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="19"/>
          <div n="3">
            <head>10.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Verbindung fu&#x0364;hrt wieder auf den Satz<lb/>
zuru&#x0364;ck, daß in der a&#x0364;chtdori&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung Ideen an<lb/>
der Spitze &#x017F;tanden, die dem Volk&#x017F;tamme national, und<lb/>
im Apollini&#x017F;chen Cultus nach einer andern Seite hin<lb/>
ausgedru&#x0364;ckt waren: die der harmoni&#x017F;chen Ordnung<lb/>
(&#x03C4;&#x1F78; &#x03B5;&#x1F54;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;), der innern Regelung und Maaßhal-<lb/>
tung (&#x03C3;&#x03C9;&#x03C6;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03CD;&#x03BD;&#x03B7;) und der &#x017F;tets geru&#x0364;&#x017F;teten Mannhaf-<lb/>
tigkeit (&#x1F00;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C4;&#x03AE;) <note place="foot" n="1">Vgl. indeß Thuk. 1, 84. Platon Alkib. <hi rendition="#aq">I c.</hi> 38.</note>. Dazu i&#x017F;t die Verfa&#x017F;&#x017F;ung eine Er-<lb/>
ziehung des Alters wie der Jugend, wie denn u&#x0364;ber-<lb/>
haupt die Erziehung ein wichtigeres Kapitel im Dori-<lb/>
&#x017F;chen Staate i&#x017F;t, als die Regierung. Daher mußten<lb/>
denn auch alle Ver&#x017F;uche, den Lykurgi&#x017F;chen Staat aus<lb/>
partiellen Zwecken und Ab&#x017F;ichten zu erkla&#x0364;ren, miß-<lb/>
glu&#x0364;cken. Daß a&#x0364;ußeres Glu&#x0364;ck und Genuß nicht das<lb/>
Ziel die&#x017F;er Einrichtungen war, &#x017F;ah man leicht. Aber<lb/>
man glaubte Alles mit Ari&#x017F;toteles <note place="foot" n="2">7,<lb/>
2, 5. Engel <hi rendition="#aq">de rep. milit. Spart.</hi> Go&#x0364;ttinger Preis&#x017F;chr. 1790.,<lb/>
wo Ko&#x017F;acken, Spartiaten und Kreter zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt werden.<lb/>
Vgl. Heyne <hi rendition="#aq">de Spartan. rep. Commentat. Gotting. T. IX. p.</hi> 8.</note> aus dem Endzweck<lb/>
herleiten zu ko&#x0364;nnen, die Spartiaten zu tapfern Krie-<lb/>
gern und den Staat zu einem herr&#x017F;chenden und er-<lb/>
obernden zu machen: da doch Sparta fa&#x017F;t niemals<lb/>
Kriege &#x017F;uchte, &#x017F;elten Siege verfolgte, und in der gan-<lb/>
zen Zeit &#x017F;einer Blu&#x0364;the keine eigentliche Eroberung machte.<lb/>
&#x2014; Sondern der Dori&#x017F;che Staat i&#x017F;t ein Kun&#x017F;twerk, wie<lb/>
es men&#x017F;chliches Handeln &#x017F;tets wird, wo es, von einem<lb/>
Prinzip be&#x017F;eelt, &#x017F;ich zu einem Organismus ge&#x017F;taltet,<lb/>
ein Kun&#x017F;twerk, welches die ge&#x017F;ammte Nation in ihrer<lb/>
Einheit fortwa&#x0364;hrend &#x017F;chafft und dar&#x017F;tellt.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] 10. Dieſe Verbindung fuͤhrt wieder auf den Satz zuruͤck, daß in der aͤchtdoriſchen Verfaſſung Ideen an der Spitze ſtanden, die dem Volkſtamme national, und im Apolliniſchen Cultus nach einer andern Seite hin ausgedruͤckt waren: die der harmoniſchen Ordnung (τὸ εὔκοσμον), der innern Regelung und Maaßhal- tung (σωφϱοσύνη) und der ſtets geruͤſteten Mannhaf- tigkeit (ἀρετή) 1. Dazu iſt die Verfaſſung eine Er- ziehung des Alters wie der Jugend, wie denn uͤber- haupt die Erziehung ein wichtigeres Kapitel im Dori- ſchen Staate iſt, als die Regierung. Daher mußten denn auch alle Verſuche, den Lykurgiſchen Staat aus partiellen Zwecken und Abſichten zu erklaͤren, miß- gluͤcken. Daß aͤußeres Gluͤck und Genuß nicht das Ziel dieſer Einrichtungen war, ſah man leicht. Aber man glaubte Alles mit Ariſtoteles 2 aus dem Endzweck herleiten zu koͤnnen, die Spartiaten zu tapfern Krie- gern und den Staat zu einem herrſchenden und er- obernden zu machen: da doch Sparta faſt niemals Kriege ſuchte, ſelten Siege verfolgte, und in der gan- zen Zeit ſeiner Bluͤthe keine eigentliche Eroberung machte. — Sondern der Doriſche Staat iſt ein Kunſtwerk, wie es menſchliches Handeln ſtets wird, wo es, von einem Prinzip beſeelt, ſich zu einem Organismus geſtaltet, ein Kunſtwerk, welches die geſammte Nation in ihrer Einheit fortwaͤhrend ſchafft und darſtellt. 1 Vgl. indeß Thuk. 1, 84. Platon Alkib. I c. 38. 2 7, 2, 5. Engel de rep. milit. Spart. Goͤttinger Preisſchr. 1790., wo Koſacken, Spartiaten und Kreter zuſammengeſtellt werden. Vgl. Heyne de Spartan. rep. Commentat. Gotting. T. IX. p. 8. 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/25
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/25>, abgerufen am 21.11.2024.