Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

stand gar nicht im Geiste der sonst so compendiarisch
verfahrenden Regierung Sparta's; jeder Ephor konnte
als Aufseher der Spiele für sich thun, was hier dem
ganzen Collegium und den Königen aufgetragen wird,
die noch dazu sonst in den öffentlichen Spielen zwar
einen Ehrenplatz, aber keine Aufsicht hatten. Eleusi-
nien kommen zu Sparta als thymelischer Agon wenig-
stens später vor 1; daß Timotheos darin mit seiner
unanständigen Bakchosgeburt aufzutreten gewagt habe,
befremdet; aber noch viel sonderbarer ist der Ausdruck,
daß er dieselbe den Jünglingen gelehrt, was doch
nichts anders heißen kann, als daß er sie durch Spar-
tiatische junge Männer dargestellt habe; nun war aber
Timotheos Odin ein Dithyramb der spätern, mimeti-
schen Art, der von gelernten Künstlern, nicht von einem
öffentlichen Chor, aufgeführt wurde: und das Letztre
sollte in Sparta der Fall gewesen sein? Die Ausein-
andersetzung über die Musik schmeckt klärlich minder
nach Lakonischer Wortkargheit, als nach der selbstge-
fälligen Phraseologie eines Grammatikers; die Aus-
drücke lassen sich zum Theil eben so bei Attischen Ko-
mikern nachweisen, und haben nichts Eigenthümliches;
und doch möchte ihre genaue Erklärung in manche
Schwierigkeiten verwickeln, aus denen indeß ein Argu-
ment herzunehmen, die Dunkelheit der Materie über-
haupt verbietet. Vom Dialekt endlich scheint es mir
ganz evident, daß er durch oberflächliche Hineintra-
gung einiger, dem Verfertiger zufällig bekannten Lako-
nismen entstanden ist; den Rhotacismus hat derselbe
gegen alle Wahrscheinlichkeit fast überall durchgeführt,
auch ist er offenbar der irrigen Meinung gewesen, Th
sei unlakonisch und müsse überall mit T vertauscht wer-

1 Bd. 2. S. 402.

ſtand gar nicht im Geiſte der ſonſt ſo compendiariſch
verfahrenden Regierung Sparta’s; jeder Ephor konnte
als Aufſeher der Spiele fuͤr ſich thun, was hier dem
ganzen Collegium und den Koͤnigen aufgetragen wird,
die noch dazu ſonſt in den oͤffentlichen Spielen zwar
einen Ehrenplatz, aber keine Aufſicht hatten. Eleuſi-
nien kommen zu Sparta als thymeliſcher Agon wenig-
ſtens ſpaͤter vor 1; daß Timotheos darin mit ſeiner
unanſtaͤndigen Bakchosgeburt aufzutreten gewagt habe,
befremdet; aber noch viel ſonderbarer iſt der Ausdruck,
daß er dieſelbe den Juͤnglingen gelehrt, was doch
nichts anders heißen kann, als daß er ſie durch Spar-
tiatiſche junge Maͤnner dargeſtellt habe; nun war aber
Timotheos Ὠδὶν ein Dithyramb der ſpaͤtern, mimeti-
ſchen Art, der von gelernten Kuͤnſtlern, nicht von einem
oͤffentlichen Chor, aufgefuͤhrt wurde: und das Letztre
ſollte in Sparta der Fall geweſen ſein? Die Ausein-
anderſetzung uͤber die Muſik ſchmeckt klaͤrlich minder
nach Lakoniſcher Wortkargheit, als nach der ſelbſtge-
faͤlligen Phraſeologie eines Grammatikers; die Aus-
druͤcke laſſen ſich zum Theil eben ſo bei Attiſchen Ko-
mikern nachweiſen, und haben nichts Eigenthuͤmliches;
und doch moͤchte ihre genaue Erklaͤrung in manche
Schwierigkeiten verwickeln, aus denen indeß ein Argu-
ment herzunehmen, die Dunkelheit der Materie uͤber-
haupt verbietet. Vom Dialekt endlich ſcheint es mir
ganz evident, daß er durch oberflaͤchliche Hineintra-
gung einiger, dem Verfertiger zufaͤllig bekannten Lako-
nismen entſtanden iſt; den Rhotacismus hat derſelbe
gegen alle Wahrſcheinlichkeit faſt uͤberall durchgefuͤhrt,
auch iſt er offenbar der irrigen Meinung geweſen, Θ
ſei unlakoniſch und muͤſſe uͤberall mit Τ vertauſcht wer-

1 Bd. 2. S. 402.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0331" n="325"/>
&#x017F;tand gar nicht im Gei&#x017F;te der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o compendiari&#x017F;ch<lb/>
verfahrenden Regierung Sparta&#x2019;s; jeder Ephor konnte<lb/>
als Auf&#x017F;eher der Spiele fu&#x0364;r &#x017F;ich thun, was hier dem<lb/>
ganzen Collegium und den Ko&#x0364;nigen aufgetragen wird,<lb/>
die noch dazu &#x017F;on&#x017F;t in den o&#x0364;ffentlichen Spielen zwar<lb/>
einen Ehrenplatz, aber keine Auf&#x017F;icht hatten. Eleu&#x017F;i-<lb/>
nien kommen zu Sparta als thymeli&#x017F;cher Agon wenig-<lb/>
&#x017F;tens &#x017F;pa&#x0364;ter vor <note place="foot" n="1">Bd. 2. S. 402.</note>; daß Timotheos darin mit &#x017F;einer<lb/>
unan&#x017F;ta&#x0364;ndigen Bakchosgeburt aufzutreten gewagt habe,<lb/>
befremdet; aber noch viel &#x017F;onderbarer i&#x017F;t der Ausdruck,<lb/>
daß er die&#x017F;elbe den Ju&#x0364;nglingen gelehrt, was doch<lb/>
nichts anders heißen kann, als daß er &#x017F;ie durch Spar-<lb/>
tiati&#x017F;che junge Ma&#x0364;nner darge&#x017F;tellt habe; nun war aber<lb/>
Timotheos &#x1F68;&#x03B4;&#x1F76;&#x03BD; ein Dithyramb der &#x017F;pa&#x0364;tern, mimeti-<lb/>
&#x017F;chen Art, der von gelernten Ku&#x0364;n&#x017F;tlern, nicht von einem<lb/>
o&#x0364;ffentlichen Chor, aufgefu&#x0364;hrt wurde: und das Letztre<lb/>
&#x017F;ollte in Sparta der Fall gewe&#x017F;en &#x017F;ein? Die Ausein-<lb/>
ander&#x017F;etzung u&#x0364;ber die Mu&#x017F;ik &#x017F;chmeckt kla&#x0364;rlich minder<lb/>
nach Lakoni&#x017F;cher Wortkargheit, als nach der &#x017F;elb&#x017F;tge-<lb/>
fa&#x0364;lligen Phra&#x017F;eologie eines Grammatikers; die Aus-<lb/>
dru&#x0364;cke la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich zum Theil eben &#x017F;o bei Atti&#x017F;chen Ko-<lb/>
mikern nachwei&#x017F;en, und haben nichts Eigenthu&#x0364;mliches;<lb/>
und doch mo&#x0364;chte ihre genaue Erkla&#x0364;rung in manche<lb/>
Schwierigkeiten verwickeln, aus denen indeß ein Argu-<lb/>
ment herzunehmen, die Dunkelheit der Materie u&#x0364;ber-<lb/>
haupt verbietet. Vom Dialekt endlich &#x017F;cheint es mir<lb/>
ganz evident, daß er durch oberfla&#x0364;chliche Hineintra-<lb/>
gung einiger, dem Verfertiger zufa&#x0364;llig bekannten Lako-<lb/>
nismen ent&#x017F;tanden i&#x017F;t; den Rhotacismus hat der&#x017F;elbe<lb/>
gegen alle Wahr&#x017F;cheinlichkeit fa&#x017F;t u&#x0364;berall durchgefu&#x0364;hrt,<lb/>
auch i&#x017F;t er offenbar der irrigen Meinung gewe&#x017F;en, &#x0398;<lb/>
&#x017F;ei unlakoni&#x017F;ch und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e u&#x0364;berall mit &#x03A4; vertau&#x017F;cht wer-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0331] ſtand gar nicht im Geiſte der ſonſt ſo compendiariſch verfahrenden Regierung Sparta’s; jeder Ephor konnte als Aufſeher der Spiele fuͤr ſich thun, was hier dem ganzen Collegium und den Koͤnigen aufgetragen wird, die noch dazu ſonſt in den oͤffentlichen Spielen zwar einen Ehrenplatz, aber keine Aufſicht hatten. Eleuſi- nien kommen zu Sparta als thymeliſcher Agon wenig- ſtens ſpaͤter vor 1; daß Timotheos darin mit ſeiner unanſtaͤndigen Bakchosgeburt aufzutreten gewagt habe, befremdet; aber noch viel ſonderbarer iſt der Ausdruck, daß er dieſelbe den Juͤnglingen gelehrt, was doch nichts anders heißen kann, als daß er ſie durch Spar- tiatiſche junge Maͤnner dargeſtellt habe; nun war aber Timotheos Ὠδὶν ein Dithyramb der ſpaͤtern, mimeti- ſchen Art, der von gelernten Kuͤnſtlern, nicht von einem oͤffentlichen Chor, aufgefuͤhrt wurde: und das Letztre ſollte in Sparta der Fall geweſen ſein? Die Ausein- anderſetzung uͤber die Muſik ſchmeckt klaͤrlich minder nach Lakoniſcher Wortkargheit, als nach der ſelbſtge- faͤlligen Phraſeologie eines Grammatikers; die Aus- druͤcke laſſen ſich zum Theil eben ſo bei Attiſchen Ko- mikern nachweiſen, und haben nichts Eigenthuͤmliches; und doch moͤchte ihre genaue Erklaͤrung in manche Schwierigkeiten verwickeln, aus denen indeß ein Argu- ment herzunehmen, die Dunkelheit der Materie uͤber- haupt verbietet. Vom Dialekt endlich ſcheint es mir ganz evident, daß er durch oberflaͤchliche Hineintra- gung einiger, dem Verfertiger zufaͤllig bekannten Lako- nismen entſtanden iſt; den Rhotacismus hat derſelbe gegen alle Wahrſcheinlichkeit faſt uͤberall durchgefuͤhrt, auch iſt er offenbar der irrigen Meinung geweſen, Θ ſei unlakoniſch und muͤſſe uͤberall mit Τ vertauſcht wer- 1 Bd. 2. S. 402.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/331
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/331>, abgerufen am 21.11.2024.