dieselben Kruptoi oder Agronomoi nennen. -- Wie hätte Plato den Namen der Kryptie hier brauchen mö- gen, wenn sie einen heimlichen Helotenmord bezeichnete, und wenn nicht vielmehr zwischen seiner und dieser Ein- richtung, sei auch die letztere härter und roher gewe- sen, im Wesen eine Uebereinstimmung statt fand? Auch Sparta's Jünglinge wurden theils zu eigener Uebung und Abhärtung, theils zur Aufsicht des ziemlich aus- gedehnten Landes unter eigenen Obrigkeiten 1 ausge- schickt, und hatten vermuthlich ein besonderes Augen- merk auf die Heloten, welche Sparta schon deswegen fürchten mußte, weil sie meist für sich allein und ab- gesondert wohnten. Daß Willkühr und Härte davon nicht genugsam ausgeschlossen waren, wird man zugeben müssen; nur war der Zweck des Instituts ein anderer: das Thukydides 2 indessen auch so mit zu den Einrich- tungen rechnen mag, welche die Spartiaten zur Bewa- chung ihrer Helotie getroffen.
Es bedarf kaum einer Nachbemerkung, daß diese stehende Einrichtung der Krypteia nicht mit einzelnen Maaßregeln zusammenhängt, zu welchen sich Sparta in verzweifelten Umständen genöthigt glaubte. Thuky- dides läßt das Schicksal der 2000 Heloten errathen, welche, zum Kriege geweihet, plötzlich verschwanden. Es war dies der Fluch der Leibeigenschaft, welche auch Plato die härteste in Hellas nennt 3, daß sie ihre Her- ren gerade da verließ, wo sie ihrer Hülfe am meisten bedurften, und sie selbst nöthigte, sich fremden Bei-
3 Gesetze 6, 776. eitirt von Plut. Lyk. 28. Athen. 6, 164. Auch Kritias der Athener sagt, aber mehr witzig als wahr, in Sparta seien die Freien am meisten Freie (vgl. Diogen. Prov. 4, 87. Apostol. 8, 12.), die Sklaven am mei- sten Sklaven, bei Liban. or. 24. T. 2. p. 85 R.
dieſelben Κρυπτοὶ oder Ἀγϱονόμοι nennen. — Wie haͤtte Plato den Namen der Kryptie hier brauchen moͤ- gen, wenn ſie einen heimlichen Helotenmord bezeichnete, und wenn nicht vielmehr zwiſchen ſeiner und dieſer Ein- richtung, ſei auch die letztere haͤrter und roher gewe- ſen, im Weſen eine Uebereinſtimmung ſtatt fand? Auch Sparta’s Juͤnglinge wurden theils zu eigener Uebung und Abhaͤrtung, theils zur Aufſicht des ziemlich aus- gedehnten Landes unter eigenen Obrigkeiten 1 ausge- ſchickt, und hatten vermuthlich ein beſonderes Augen- merk auf die Heloten, welche Sparta ſchon deswegen fuͤrchten mußte, weil ſie meiſt fuͤr ſich allein und ab- geſondert wohnten. Daß Willkuͤhr und Haͤrte davon nicht genugſam ausgeſchloſſen waren, wird man zugeben muͤſſen; nur war der Zweck des Inſtituts ein anderer: das Thukydides 2 indeſſen auch ſo mit zu den Einrich- tungen rechnen mag, welche die Spartiaten zur Bewa- chung ihrer Helotie getroffen.
Es bedarf kaum einer Nachbemerkung, daß dieſe ſtehende Einrichtung der Krypteia nicht mit einzelnen Maaßregeln zuſammenhaͤngt, zu welchen ſich Sparta in verzweifelten Umſtaͤnden genoͤthigt glaubte. Thuky- dides laͤßt das Schickſal der 2000 Heloten errathen, welche, zum Kriege geweihet, ploͤtzlich verſchwanden. Es war dies der Fluch der Leibeigenſchaft, welche auch Plato die haͤrteſte in Hellas nennt 3, daß ſie ihre Her- ren gerade da verließ, wo ſie ihrer Huͤlfe am meiſten bedurften, und ſie ſelbſt noͤthigte, ſich fremden Bei-
3 Geſetze 6, 776. eitirt von Plut. Lyk. 28. Athen. 6, 164. Auch Kritias der Athener ſagt, aber mehr witzig als wahr, in Sparta ſeien die Freien am meiſten Freie (vgl. Diogen. Prov. 4, 87. Apoſtol. 8, 12.), die Sklaven am mei- ſten Sklaven, bei Liban. or. 24. T. 2. p. 85 R.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0050"n="44"/>
dieſelben Κρυπτοὶ oder Ἀγϱονόμοι nennen. — Wie<lb/>
haͤtte Plato den Namen der Kryptie hier brauchen moͤ-<lb/>
gen, wenn ſie einen heimlichen Helotenmord bezeichnete,<lb/>
und wenn nicht vielmehr zwiſchen ſeiner und dieſer Ein-<lb/>
richtung, ſei auch die letztere haͤrter und roher gewe-<lb/>ſen, im Weſen eine Uebereinſtimmung ſtatt fand? Auch<lb/>
Sparta’s Juͤnglinge wurden theils zu eigener Uebung<lb/>
und Abhaͤrtung, theils zur Aufſicht des ziemlich aus-<lb/>
gedehnten Landes unter eigenen Obrigkeiten <noteplace="foot"n="1">Damoteles ein Spartiate ἐπὶτῆςκϱυπτεὶαςτεταγμὲνος,<lb/>
Plut. Kleom. 28.</note> ausge-<lb/>ſchickt, und hatten vermuthlich ein beſonderes Augen-<lb/>
merk auf die Heloten, welche Sparta ſchon deswegen<lb/>
fuͤrchten mußte, weil ſie meiſt fuͤr ſich allein und ab-<lb/>
geſondert wohnten. Daß Willkuͤhr und Haͤrte davon<lb/>
nicht genugſam ausgeſchloſſen waren, wird man zugeben<lb/>
muͤſſen; nur war der Zweck des Inſtituts ein anderer:<lb/>
das Thukydides <noteplace="foot"n="2">4, 80.</note> indeſſen auch ſo mit zu den Einrich-<lb/>
tungen rechnen mag, welche die Spartiaten zur Bewa-<lb/>
chung ihrer Helotie getroffen.</p><lb/><p>Es bedarf kaum einer Nachbemerkung, daß dieſe<lb/>ſtehende Einrichtung der Krypteia nicht mit einzelnen<lb/>
Maaßregeln zuſammenhaͤngt, zu welchen ſich Sparta<lb/>
in verzweifelten Umſtaͤnden genoͤthigt glaubte. Thuky-<lb/>
dides laͤßt das Schickſal der 2000 Heloten errathen,<lb/>
welche, zum Kriege geweihet, ploͤtzlich verſchwanden.<lb/>
Es war dies der Fluch der Leibeigenſchaft, welche auch<lb/>
Plato die haͤrteſte in Hellas nennt <noteplace="foot"n="3">Geſetze 6, 776. eitirt von<lb/>
Plut. Lyk. 28. Athen. 6, 164. Auch Kritias der Athener ſagt, aber<lb/>
mehr witzig als wahr, in Sparta ſeien die Freien am meiſten Freie<lb/>
(vgl. Diogen. <hirendition="#aq">Prov.</hi> 4, 87. Apoſtol. 8, 12.), die Sklaven am mei-<lb/>ſten Sklaven, bei Liban. <hirendition="#aq">or. 24. T. 2. p.</hi> 85 R.</note>, daß ſie ihre Her-<lb/>
ren gerade da verließ, wo ſie ihrer Huͤlfe am meiſten<lb/>
bedurften, und ſie ſelbſt noͤthigte, ſich fremden Bei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[44/0050]
dieſelben Κρυπτοὶ oder Ἀγϱονόμοι nennen. — Wie
haͤtte Plato den Namen der Kryptie hier brauchen moͤ-
gen, wenn ſie einen heimlichen Helotenmord bezeichnete,
und wenn nicht vielmehr zwiſchen ſeiner und dieſer Ein-
richtung, ſei auch die letztere haͤrter und roher gewe-
ſen, im Weſen eine Uebereinſtimmung ſtatt fand? Auch
Sparta’s Juͤnglinge wurden theils zu eigener Uebung
und Abhaͤrtung, theils zur Aufſicht des ziemlich aus-
gedehnten Landes unter eigenen Obrigkeiten 1 ausge-
ſchickt, und hatten vermuthlich ein beſonderes Augen-
merk auf die Heloten, welche Sparta ſchon deswegen
fuͤrchten mußte, weil ſie meiſt fuͤr ſich allein und ab-
geſondert wohnten. Daß Willkuͤhr und Haͤrte davon
nicht genugſam ausgeſchloſſen waren, wird man zugeben
muͤſſen; nur war der Zweck des Inſtituts ein anderer:
das Thukydides 2 indeſſen auch ſo mit zu den Einrich-
tungen rechnen mag, welche die Spartiaten zur Bewa-
chung ihrer Helotie getroffen.
Es bedarf kaum einer Nachbemerkung, daß dieſe
ſtehende Einrichtung der Krypteia nicht mit einzelnen
Maaßregeln zuſammenhaͤngt, zu welchen ſich Sparta
in verzweifelten Umſtaͤnden genoͤthigt glaubte. Thuky-
dides laͤßt das Schickſal der 2000 Heloten errathen,
welche, zum Kriege geweihet, ploͤtzlich verſchwanden.
Es war dies der Fluch der Leibeigenſchaft, welche auch
Plato die haͤrteſte in Hellas nennt 3, daß ſie ihre Her-
ren gerade da verließ, wo ſie ihrer Huͤlfe am meiſten
bedurften, und ſie ſelbſt noͤthigte, ſich fremden Bei-
1 Damoteles ein Spartiate ἐπὶ τῆς κϱυπτεὶας τεταγμὲνος,
Plut. Kleom. 28.
2 4, 80.
3 Geſetze 6, 776. eitirt von
Plut. Lyk. 28. Athen. 6, 164. Auch Kritias der Athener ſagt, aber
mehr witzig als wahr, in Sparta ſeien die Freien am meiſten Freie
(vgl. Diogen. Prov. 4, 87. Apoſtol. 8, 12.), die Sklaven am mei-
ſten Sklaven, bei Liban. or. 24. T. 2. p. 85 R.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/50>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.