Uebrigens ist nicht wohl daran zu denken, daß die Leibeigenen an der täglichen Mahlzeit Theil genommen hätten 1.
Vielleicht war aber in keinem griechischen Staate der unfreie Stand minder gedrückt als in Kreta. Es war ihnen im Allgemeinen jede Thätigkeit und jedes Geschäft gestattet, mit Ausnahme der Eymnasien und des Waffenführens 2. Daher hielten auch die Periöken so fest an der alten Minoischen Gesetzgebung, daß sie dieselbe auch dann noch beobachteten, als die Dorier der Stadt Lyktos davon abgewichen waren 3. Ueber- haupt war Kreta unter allen Dorischen Staaten darin am glücklichsten, daß es seine Institute ohne bedeutenden Widerstand mit Kraft und Ruhe durchsetzen konnte, obgleich durch das gefahrlose Glück und den weitver- breiteten Verkehr auch zeitiger Verfall der alten Sitte herbeigeführt wurde. Das Umgekehrte fand in Argos statt, dessen Dorische Einwohner von allen Seiten bedrängt, sich darum am Ende des Dorismus entäu- ßern und mit den alten Landeseinwohnern verschmelzen mußten. Daher wir zwar auch hier anfangs Unter- thanen und Leibeigene geschieden, aber schon früh das Verhältniß verwirrt und eine ganz veränderte Stellung eingeleitet finden.
2.
Argos hatte Leibeigene, die mit den Heloten verglichen und Gymnesioi genannt werden 4. Der Name bürgt für die Richtigkeit der Vergleichung. Denn er bezeichnet diese Knechte als leichtbewaffnete Beglei-
1 An den Hermden indeß speisten die Sklaven öffentlich, und ihre Herren bedienten sie sogar, wie zu Trözen im Mon. Ge- rästion, Karystios bei Athen. 14, 639 b. vgl. 6, 263 f. In Sparta luden die Herren die Knechte an den Hyakinthien zu Gaste, Poly- krates bei Ath. 4, 139 b.
2 Aristot. Pol. 2, 2, 1
3 Pol. 2, 8, 5.
4 Hesych a. O. Pollux u. Steph. B. a. O.
Uebrigens iſt nicht wohl daran zu denken, daß die Leibeigenen an der taͤglichen Mahlzeit Theil genommen haͤtten 1.
Vielleicht war aber in keinem griechiſchen Staate der unfreie Stand minder gedruͤckt als in Kreta. Es war ihnen im Allgemeinen jede Thaͤtigkeit und jedes Geſchaͤft geſtattet, mit Ausnahme der Eymnaſien und des Waffenfuͤhrens 2. Daher hielten auch die Perioͤken ſo feſt an der alten Minoiſchen Geſetzgebung, daß ſie dieſelbe auch dann noch beobachteten, als die Dorier der Stadt Lyktos davon abgewichen waren 3. Ueber- haupt war Kreta unter allen Doriſchen Staaten darin am gluͤcklichſten, daß es ſeine Inſtitute ohne bedeutenden Widerſtand mit Kraft und Ruhe durchſetzen konnte, obgleich durch das gefahrloſe Gluͤck und den weitver- breiteten Verkehr auch zeitiger Verfall der alten Sitte herbeigefuͤhrt wurde. Das Umgekehrte fand in Argos ſtatt, deſſen Doriſche Einwohner von allen Seiten bedraͤngt, ſich darum am Ende des Dorismus entaͤu- ßern und mit den alten Landeseinwohnern verſchmelzen mußten. Daher wir zwar auch hier anfangs Unter- thanen und Leibeigene geſchieden, aber ſchon fruͤh das Verhaͤltniß verwirrt und eine ganz veraͤnderte Stellung eingeleitet finden.
2.
Argos hatte Leibeigene, die mit den Heloten verglichen und Gymneſioi genannt werden 4. Der Name buͤrgt fuͤr die Richtigkeit der Vergleichung. Denn er bezeichnet dieſe Knechte als leichtbewaffnete Beglei-
1 An den Hermden indeß ſpeisten die Sklaven oͤffentlich, und ihre Herren bedienten ſie ſogar, wie zu Troͤzen im Mon. Ge- raͤſtion, Karyſtios bei Athen. 14, 639 b. vgl. 6, 263 f. In Sparta luden die Herren die Knechte an den Hyakinthien zu Gaſte, Poly- krates bei Ath. 4, 139 b.
2 Ariſtot. Pol. 2, 2, 1
3 Pol. 2, 8, 5.
4 Heſych a. O. Pollux u. Steph. B. a. O.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0061"n="55"/>
Uebrigens iſt nicht wohl daran zu denken, daß die<lb/>
Leibeigenen an der taͤglichen Mahlzeit Theil genommen<lb/>
haͤtten <noteplace="foot"n="1">An den Hermden indeß ſpeisten die Sklaven oͤffentlich,<lb/>
und ihre Herren bedienten ſie ſogar, wie zu Troͤzen im Mon. Ge-<lb/>
raͤſtion, Karyſtios bei Athen. 14, 639 <hirendition="#aq">b.</hi> vgl. 6, 263 <hirendition="#aq">f.</hi> In Sparta<lb/>
luden die Herren die Knechte an den Hyakinthien zu Gaſte, Poly-<lb/>
krates bei Ath. 4, 139 <hirendition="#aq">b.</hi></note>.</p><lb/><p>Vielleicht war aber in keinem griechiſchen Staate<lb/>
der unfreie Stand minder gedruͤckt als in Kreta. Es<lb/>
war ihnen im Allgemeinen jede Thaͤtigkeit und jedes<lb/>
Geſchaͤft geſtattet, mit Ausnahme der Eymnaſien und<lb/>
des Waffenfuͤhrens <noteplace="foot"n="2">Ariſtot. Pol. 2, 2, 1</note>. Daher hielten auch die Perioͤken<lb/>ſo feſt an der alten Minoiſchen Geſetzgebung, daß ſie<lb/>
dieſelbe auch dann noch beobachteten, als die Dorier<lb/>
der Stadt Lyktos davon abgewichen waren <noteplace="foot"n="3">Pol.<lb/>
2, 8, 5.</note>. Ueber-<lb/>
haupt war Kreta unter allen Doriſchen Staaten darin<lb/>
am gluͤcklichſten, daß es ſeine Inſtitute ohne bedeutenden<lb/>
Widerſtand mit Kraft und Ruhe durchſetzen konnte,<lb/>
obgleich durch das gefahrloſe Gluͤck und den weitver-<lb/>
breiteten Verkehr auch zeitiger Verfall der alten Sitte<lb/>
herbeigefuͤhrt wurde. Das Umgekehrte fand in Argos<lb/>ſtatt, deſſen Doriſche Einwohner von allen Seiten<lb/>
bedraͤngt, ſich darum am Ende des Dorismus entaͤu-<lb/>
ßern und mit den alten Landeseinwohnern verſchmelzen<lb/>
mußten. Daher wir zwar auch hier anfangs Unter-<lb/>
thanen und Leibeigene geſchieden, aber ſchon fruͤh das<lb/>
Verhaͤltniß verwirrt und eine ganz veraͤnderte Stellung<lb/>
eingeleitet finden.</p></div><lb/><divn="3"><head>2.</head><lb/><p><hirendition="#g">Argos</hi> hatte Leibeigene, die mit den Heloten<lb/>
verglichen und <hirendition="#g">Gymneſioi</hi> genannt werden <noteplace="foot"n="4">Heſych a. O. Pollux u. Steph. B. a. O.</note>. Der<lb/>
Name buͤrgt fuͤr die Richtigkeit der Vergleichung. Denn<lb/>
er bezeichnet dieſe Knechte als leichtbewaffnete Beglei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0061]
Uebrigens iſt nicht wohl daran zu denken, daß die
Leibeigenen an der taͤglichen Mahlzeit Theil genommen
haͤtten 1.
Vielleicht war aber in keinem griechiſchen Staate
der unfreie Stand minder gedruͤckt als in Kreta. Es
war ihnen im Allgemeinen jede Thaͤtigkeit und jedes
Geſchaͤft geſtattet, mit Ausnahme der Eymnaſien und
des Waffenfuͤhrens 2. Daher hielten auch die Perioͤken
ſo feſt an der alten Minoiſchen Geſetzgebung, daß ſie
dieſelbe auch dann noch beobachteten, als die Dorier
der Stadt Lyktos davon abgewichen waren 3. Ueber-
haupt war Kreta unter allen Doriſchen Staaten darin
am gluͤcklichſten, daß es ſeine Inſtitute ohne bedeutenden
Widerſtand mit Kraft und Ruhe durchſetzen konnte,
obgleich durch das gefahrloſe Gluͤck und den weitver-
breiteten Verkehr auch zeitiger Verfall der alten Sitte
herbeigefuͤhrt wurde. Das Umgekehrte fand in Argos
ſtatt, deſſen Doriſche Einwohner von allen Seiten
bedraͤngt, ſich darum am Ende des Dorismus entaͤu-
ßern und mit den alten Landeseinwohnern verſchmelzen
mußten. Daher wir zwar auch hier anfangs Unter-
thanen und Leibeigene geſchieden, aber ſchon fruͤh das
Verhaͤltniß verwirrt und eine ganz veraͤnderte Stellung
eingeleitet finden.
2.
Argos hatte Leibeigene, die mit den Heloten
verglichen und Gymneſioi genannt werden 4. Der
Name buͤrgt fuͤr die Richtigkeit der Vergleichung. Denn
er bezeichnet dieſe Knechte als leichtbewaffnete Beglei-
1 An den Hermden indeß ſpeisten die Sklaven oͤffentlich,
und ihre Herren bedienten ſie ſogar, wie zu Troͤzen im Mon. Ge-
raͤſtion, Karyſtios bei Athen. 14, 639 b. vgl. 6, 263 f. In Sparta
luden die Herren die Knechte an den Hyakinthien zu Gaſte, Poly-
krates bei Ath. 4, 139 b.
2 Ariſtot. Pol. 2, 2, 1
3 Pol.
2, 8, 5.
4 Heſych a. O. Pollux u. Steph. B. a. O.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/61>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.