Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Historischer Theil.
Fir. 1779. (mit unpassenden Erläuterungen aus Ovid). H. Meyer,
Propyläen Bd. ii. St. 2. 3. und Amalthea i S. 273. (Ergän-
zungen). A. W. Schlegel Bibliotheque universelle 1816.
Litter. T. iii. p.
109. Welcker Zeitschrift i S. 588 ff.
Thiersch Epochen S. 315. 368. Abbildungen bei Fabroni, in der
Galerie de Florence et Palais Pitti von Wicar, Lacombe und
Mongez, T. iii u. iv., und Galeria di Firenze, Stat. P. i
tv. 1 sqq.

1127. Auch Praxiteles arbeitete besonders in Mar-
mor, und that sich selbst am meisten in Gegenständen
aus dem Cyklus des Dionysos, der Aphrodite, des Eros
2genug. In den zahlreichen Figuren, die er aus dem
ersten Kreise bildete, war der Ausdruck Bacchischer Schwär-
merei und Schalkheit mit der höchsten Anmuth und Lieb-
3lichkeit vereinbart. Praxiteles war es, der in mehrern
Musterbildern des Eros die vollendete Schönheit des
Knabenalters darstellte, welches den Griechen grade das
4reizendste schien; der in der enthüllten Aphrodite die höchste
sinnliche Reizfülle mit einem geistigen Ausdrucke vereinigte,
in dem die Liebe von der sanftesten, heitersten Seite,
ganz ohne Beimischung irgend eines verschiedenartigen
und störenden Elements, es sei nun das Bewußtsein gött-
licher Würde und Erhabenheit, oder niedrige und heftige
5Begierde, aufgefaßt erschien. Doch konnten diese herrli-
chen Werke erst aus einer Gemüthsstimmung hervorgehn,
in welcher die sinnlich reizende Erscheinung an der Stelle
der höhern Gewalt, von der jene allein ihren Reiz hat,
vergöttert wurde. Dazu wirkte das Leben mit den Hetä-
ren; manche unter diesen ganz Griechenland mit ihrem
Ruhme erfüllenden Buhlerinnen erschien dem Bildner wirk-
lich, und nicht ohne Grund, als eine in die Erscheinung
6getretne Aphrodite. Auch in dem Kreise des Apollon
gefiel es Praxiteles Manches umzubilden, wie er den ju-
gendlichen Apollon in einem seiner schönsten und geist-
reichsten Werke in Stellung und Figur den edlern Satyr-
gestalten näher brachte, als es ein früherer Künstler ge-
7than haben würde. Ueberhaupt war Praxiteles, der

Hiſtoriſcher Theil.
Fir. 1779. (mit unpaſſenden Erläuterungen aus Ovid). H. Meyer,
Propyläen Bd. ii. St. 2. 3. und Amalthea i S. 273. (Ergän-
zungen). A. W. Schlegel Bibliothèque universelle 1816.
Litter. T. iii. p.
109. Welcker Zeitſchrift i S. 588 ff.
Thierſch Epochen S. 315. 368. Abbildungen bei Fabroni, in der
Galérie de Florence et Palais Pitti von Wicar, Lacombe und
Mongez, T. iii u. iv., und Galeria di Firenze, Stat. P. i
tv. 1 sqq.

1127. Auch Praxiteles arbeitete beſonders in Mar-
mor, und that ſich ſelbſt am meiſten in Gegenſtaͤnden
aus dem Cyklus des Dionyſos, der Aphrodite, des Eros
2genug. In den zahlreichen Figuren, die er aus dem
erſten Kreiſe bildete, war der Ausdruck Bacchiſcher Schwaͤr-
merei und Schalkheit mit der hoͤchſten Anmuth und Lieb-
3lichkeit vereinbart. Praxiteles war es, der in mehrern
Muſterbildern des Eros die vollendete Schoͤnheit des
Knabenalters darſtellte, welches den Griechen grade das
4reizendſte ſchien; der in der enthuͤllten Aphrodite die hoͤchſte
ſinnliche Reizfuͤlle mit einem geiſtigen Ausdrucke vereinigte,
in dem die Liebe von der ſanfteſten, heiterſten Seite,
ganz ohne Beimiſchung irgend eines verſchiedenartigen
und ſtoͤrenden Elements, es ſei nun das Bewußtſein goͤtt-
licher Wuͤrde und Erhabenheit, oder niedrige und heftige
5Begierde, aufgefaßt erſchien. Doch konnten dieſe herrli-
chen Werke erſt aus einer Gemuͤthsſtimmung hervorgehn,
in welcher die ſinnlich reizende Erſcheinung an der Stelle
der hoͤhern Gewalt, von der jene allein ihren Reiz hat,
vergoͤttert wurde. Dazu wirkte das Leben mit den Hetaͤ-
ren; manche unter dieſen ganz Griechenland mit ihrem
Ruhme erfuͤllenden Buhlerinnen erſchien dem Bildner wirk-
lich, und nicht ohne Grund, als eine in die Erſcheinung
6getretne Aphrodite. Auch in dem Kreiſe des Apollon
gefiel es Praxiteles Manches umzubilden, wie er den ju-
gendlichen Apollon in einem ſeiner ſchoͤnſten und geiſt-
reichſten Werke in Stellung und Figur den edlern Satyr-
geſtalten naͤher brachte, als es ein fruͤherer Kuͤnſtler ge-
7than haben wuͤrde. Ueberhaupt war Praxiteles, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0130" n="108"/><fw place="top" type="header">Hi&#x017F;tori&#x017F;cher Theil.</fw><lb/><hi rendition="#aq">Fir.</hi> 1779. (mit unpa&#x017F;&#x017F;enden Erläuterungen aus Ovid). H. Meyer,<lb/>
Propyläen Bd. <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">ii.</hi></hi> St. 2. 3. und Amalthea <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">i</hi></hi> S. 273. (Ergän-<lb/>
zungen). A. W. Schlegel <hi rendition="#aq">Bibliothèque universelle 1816.<lb/>
Litter. T. <hi rendition="#k">iii.</hi> p.</hi> 109. Welcker Zeit&#x017F;chrift <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">i</hi></hi> S. 588 ff.<lb/>
Thier&#x017F;ch Epochen S. 315. 368. Abbildungen bei Fabroni, in der<lb/><hi rendition="#aq">Galérie de Florence et Palais Pitti</hi> von Wicar, Lacombe und<lb/>
Mongez, <hi rendition="#aq">T. <hi rendition="#k">iii</hi></hi> u. <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">iv.,</hi></hi> und <hi rendition="#aq">Galeria di Firenze, Stat. P. <hi rendition="#k">i</hi><lb/>
tv. 1 sqq.</hi></p><lb/>
              <p><note place="left">1</note>127. Auch <hi rendition="#g">Praxiteles</hi> arbeitete be&#x017F;onders in Mar-<lb/>
mor, und that &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t am mei&#x017F;ten in Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
aus dem Cyklus des Diony&#x017F;os, der Aphrodite, des Eros<lb/><note place="left">2</note>genug. In den zahlreichen Figuren, die er aus dem<lb/>
er&#x017F;ten Krei&#x017F;e bildete, war der Ausdruck Bacchi&#x017F;cher Schwa&#x0364;r-<lb/>
merei und Schalkheit mit der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Anmuth und Lieb-<lb/><note place="left">3</note>lichkeit vereinbart. Praxiteles war es, der in mehrern<lb/>
Mu&#x017F;terbildern des Eros die vollendete Scho&#x0364;nheit <hi rendition="#g">des</hi><lb/>
Knabenalters dar&#x017F;tellte, welches den Griechen grade das<lb/><note place="left">4</note>reizend&#x017F;te &#x017F;chien; der in der enthu&#x0364;llten Aphrodite die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
&#x017F;innliche Reizfu&#x0364;lle mit einem gei&#x017F;tigen Ausdrucke vereinigte,<lb/>
in dem die Liebe von der &#x017F;anfte&#x017F;ten, heiter&#x017F;ten Seite,<lb/>
ganz ohne Beimi&#x017F;chung irgend eines ver&#x017F;chiedenartigen<lb/>
und &#x017F;to&#x0364;renden Elements, es &#x017F;ei nun das Bewußt&#x017F;ein go&#x0364;tt-<lb/>
licher Wu&#x0364;rde und Erhabenheit, oder niedrige und heftige<lb/><note place="left">5</note>Begierde, aufgefaßt er&#x017F;chien. Doch konnten die&#x017F;e herrli-<lb/>
chen Werke er&#x017F;t aus einer Gemu&#x0364;ths&#x017F;timmung hervorgehn,<lb/>
in welcher die &#x017F;innlich reizende Er&#x017F;cheinung an der Stelle<lb/>
der ho&#x0364;hern Gewalt, von der jene allein ihren Reiz hat,<lb/>
vergo&#x0364;ttert wurde. Dazu wirkte das Leben mit den Heta&#x0364;-<lb/>
ren; manche unter die&#x017F;en ganz Griechenland mit ihrem<lb/>
Ruhme erfu&#x0364;llenden Buhlerinnen er&#x017F;chien dem Bildner wirk-<lb/>
lich, und nicht ohne Grund, als eine in die Er&#x017F;cheinung<lb/><note place="left">6</note>getretne Aphrodite. Auch in dem Krei&#x017F;e des Apollon<lb/>
gefiel es Praxiteles Manches umzubilden, wie er den ju-<lb/>
gendlichen Apollon in einem &#x017F;einer &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten und gei&#x017F;t-<lb/>
reich&#x017F;ten Werke in Stellung und Figur den edlern Satyr-<lb/>
ge&#x017F;talten na&#x0364;her brachte, als es ein fru&#x0364;herer Ku&#x0364;n&#x017F;tler ge-<lb/><note place="left">7</note>than haben wu&#x0364;rde. Ueberhaupt war Praxiteles, der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0130] Hiſtoriſcher Theil. Fir. 1779. (mit unpaſſenden Erläuterungen aus Ovid). H. Meyer, Propyläen Bd. ii. St. 2. 3. und Amalthea i S. 273. (Ergän- zungen). A. W. Schlegel Bibliothèque universelle 1816. Litter. T. iii. p. 109. Welcker Zeitſchrift i S. 588 ff. Thierſch Epochen S. 315. 368. Abbildungen bei Fabroni, in der Galérie de Florence et Palais Pitti von Wicar, Lacombe und Mongez, T. iii u. iv., und Galeria di Firenze, Stat. P. i tv. 1 sqq. 127. Auch Praxiteles arbeitete beſonders in Mar- mor, und that ſich ſelbſt am meiſten in Gegenſtaͤnden aus dem Cyklus des Dionyſos, der Aphrodite, des Eros genug. In den zahlreichen Figuren, die er aus dem erſten Kreiſe bildete, war der Ausdruck Bacchiſcher Schwaͤr- merei und Schalkheit mit der hoͤchſten Anmuth und Lieb- lichkeit vereinbart. Praxiteles war es, der in mehrern Muſterbildern des Eros die vollendete Schoͤnheit des Knabenalters darſtellte, welches den Griechen grade das reizendſte ſchien; der in der enthuͤllten Aphrodite die hoͤchſte ſinnliche Reizfuͤlle mit einem geiſtigen Ausdrucke vereinigte, in dem die Liebe von der ſanfteſten, heiterſten Seite, ganz ohne Beimiſchung irgend eines verſchiedenartigen und ſtoͤrenden Elements, es ſei nun das Bewußtſein goͤtt- licher Wuͤrde und Erhabenheit, oder niedrige und heftige Begierde, aufgefaßt erſchien. Doch konnten dieſe herrli- chen Werke erſt aus einer Gemuͤthsſtimmung hervorgehn, in welcher die ſinnlich reizende Erſcheinung an der Stelle der hoͤhern Gewalt, von der jene allein ihren Reiz hat, vergoͤttert wurde. Dazu wirkte das Leben mit den Hetaͤ- ren; manche unter dieſen ganz Griechenland mit ihrem Ruhme erfuͤllenden Buhlerinnen erſchien dem Bildner wirk- lich, und nicht ohne Grund, als eine in die Erſcheinung getretne Aphrodite. Auch in dem Kreiſe des Apollon gefiel es Praxiteles Manches umzubilden, wie er den ju- gendlichen Apollon in einem ſeiner ſchoͤnſten und geiſt- reichſten Werke in Stellung und Figur den edlern Satyr- geſtalten naͤher brachte, als es ein fruͤherer Kuͤnſtler ge- than haben wuͤrde. Ueberhaupt war Praxiteles, der 1 2 3 4 5 6 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/130
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/130>, abgerufen am 24.11.2024.