3. Z. B. Aegyptischen, Griechischen; Styl der Griechischen Kunst in besondern Zeiten; des Phidias, des Praxiteles. Nur der hat einen Styl, dessen Eigenthümlichkeit mächtig genug ist, seine ganze Kunstthätigkeit durchgreifend zu bestimmen. Der Styl bedingt auch die Auffassung, nicht blos die Formenwahl, obgleich man neuerlich ihn ganz auf die Erfüllung der Bedingungen des Stoffs (§. 25) hat einschränken wollen. Dagegen ist Manier ein Losreißen der Form von den Forderungen des Gegenstandes, nach trägen Gewöh- nungen oder krankhaften Richtungen der Empfindung.
30. Das geistige Leben, welches sich in der Kunst1 darstellt, hängt mit dem gesammten Geistesleben so eng zusammen, daß es eben nur durch sein Verhältniß zur Darstellung ein Kunstleben wird. Indeß steht die Kunst2 überall besonders mit dem religiösen Leben, mit der durch die Vorstellung der Gottheit erregten Seelen- stimmung, in Verbindung, schon deswegen, weil eigent- liches Zweckerfüllen, praktisches Thun, auch in dieser so wenig wie in der Kunst stattfindet.
2. So schließt sich an den Cultus durch Tempel, Bild, Hym- nus, Chor, Pompen, Agonen die Uebung der Architektur, Plastik, Musik, Poesie, Orchestik, Gymnastik an. -- Diese Paragraphen enthalten zum Theil Lehnsätze aus einem andern Theil der Ge- schichtswissenschaft.
31. Die Religion wird um so mehr künstlerisch und1 besonders plastisch sein, je mehr ihre Vorstellungen in den Formen des Organismus auf adäquate Weise dar- stellbar sind. Eine Religion, welcher das göttliche Le-2 ben mit dem in der Natur vorhandenen, im Menschen sich vollendenden, zusammenfällt (wie die Griechische), ist es ohne Zweifel besonders. Indeß erkennt auch eine3 solche doch immer ein Undarstellbares, jenen Formen nicht Adäquates, an, indem doch auch jenes göttliche Naturle- ben, um göttlich zu sein, als ein Höheres und dadurch dem Menschen Fremdes gefaßt werden muß.
Zur Theorie der Kunſt.
3. Z. B. Aegyptiſchen, Griechiſchen; Styl der Griechiſchen Kunſt in beſondern Zeiten; des Phidias, des Praxiteles. Nur der hat einen Styl, deſſen Eigenthümlichkeit mächtig genug iſt, ſeine ganze Kunſtthätigkeit durchgreifend zu beſtimmen. Der Styl bedingt auch die Auffaſſung, nicht blos die Formenwahl, obgleich man neuerlich ihn ganz auf die Erfüllung der Bedingungen des Stoffs (§. 25) hat einſchränken wollen. Dagegen iſt Manier ein Losreißen der Form von den Forderungen des Gegenſtandes, nach trägen Gewöh- nungen oder krankhaften Richtungen der Empfindung.
30. Das geiſtige Leben, welches ſich in der Kunſt1 darſtellt, haͤngt mit dem geſammten Geiſtesleben ſo eng zuſammen, daß es eben nur durch ſein Verhaͤltniß zur Darſtellung ein Kunſtleben wird. Indeß ſteht die Kunſt2 uͤberall beſonders mit dem religioͤſen Leben, mit der durch die Vorſtellung der Gottheit erregten Seelen- ſtimmung, in Verbindung, ſchon deswegen, weil eigent- liches Zweckerfuͤllen, praktiſches Thun, auch in dieſer ſo wenig wie in der Kunſt ſtattfindet.
2. So ſchließt ſich an den Cultus durch Tempel, Bild, Hym- nus, Chor, Pompen, Agonen die Uebung der Architektur, Plaſtik, Muſik, Poeſie, Orcheſtik, Gymnaſtik an. — Dieſe Paragraphen enthalten zum Theil Lehnſätze aus einem andern Theil der Ge- ſchichtswiſſenſchaft.
31. Die Religion wird um ſo mehr kuͤnſtleriſch und1 beſonders plaſtiſch ſein, je mehr ihre Vorſtellungen in den Formen des Organismus auf adaͤquate Weiſe dar- ſtellbar ſind. Eine Religion, welcher das goͤttliche Le-2 ben mit dem in der Natur vorhandenen, im Menſchen ſich vollendenden, zuſammenfaͤllt (wie die Griechiſche), iſt es ohne Zweifel beſonders. Indeß erkennt auch eine3 ſolche doch immer ein Undarſtellbares, jenen Formen nicht Adaͤquates, an, indem doch auch jenes goͤttliche Naturle- ben, um goͤttlich zu ſein, als ein Hoͤheres und dadurch dem Menſchen Fremdes gefaßt werden muß.
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Zur Theorie der Kunſt.
3. Z. B. Aegyptiſchen, Griechiſchen; Styl der Griechiſchen Kunſt
in beſondern Zeiten; des Phidias, des Praxiteles. Nur der hat
einen Styl, deſſen Eigenthümlichkeit mächtig genug iſt, ſeine ganze
Kunſtthätigkeit durchgreifend zu beſtimmen. Der Styl bedingt auch
die Auffaſſung, nicht blos die Formenwahl, obgleich man neuerlich
ihn ganz auf die Erfüllung der Bedingungen des Stoffs (§. 25)
hat einſchränken wollen. Dagegen iſt Manier ein Losreißen der
Form von den Forderungen des Gegenſtandes, nach trägen Gewöh-
nungen oder krankhaften Richtungen der Empfindung.
30. Das geiſtige Leben, welches ſich in der Kunſt
darſtellt, haͤngt mit dem geſammten Geiſtesleben ſo eng
zuſammen, daß es eben nur durch ſein Verhaͤltniß zur
Darſtellung ein Kunſtleben wird. Indeß ſteht die Kunſt
uͤberall beſonders mit dem religioͤſen Leben, mit
der durch die Vorſtellung der Gottheit erregten Seelen-
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liches Zweckerfuͤllen, praktiſches Thun, auch in dieſer ſo
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Muſik, Poeſie, Orcheſtik, Gymnaſtik an. — Dieſe Paragraphen
enthalten zum Theil Lehnſätze aus einem andern Theil der Ge-
ſchichtswiſſenſchaft.
31. Die Religion wird um ſo mehr kuͤnſtleriſch und
beſonders plaſtiſch ſein, je mehr ihre Vorſtellungen in
den Formen des Organismus auf adaͤquate Weiſe dar-
ſtellbar ſind. Eine Religion, welcher das goͤttliche Le-
ben mit dem in der Natur vorhandenen, im Menſchen
ſich vollendenden, zuſammenfaͤllt (wie die Griechiſche),
iſt es ohne Zweifel beſonders. Indeß erkennt auch eine
ſolche doch immer ein Undarſtellbares, jenen Formen nicht
Adaͤquates, an, indem doch auch jenes goͤttliche Naturle-
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dem Menſchen Fremdes gefaßt werden muß.
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/37>, abgerufen am 14.08.2024.
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