war in allen Zeiten gewöhnlich: dagegen war die Ent- kleidung des ausgebildeten weiblichen Körpers in der Kunst lange unerhört, und bedurfte, als sie aufkam (§. 125, 3. 127, 4.), doch zuerst auch einer Anknüpfung an das Leben; man dachte stets dabei an das Bad, bis sich die Augen gewöhnten die Vorstellung auch ohne diese 9Rechtfertigung hinzunehmen. Die Porträtstatue be- hält die Tracht des Lebens, wenn sie nicht, durch He- roisirung oder Vergöttlichung der Gestalt, auch hierin über das gemeine Bedürfniß hinausgehoben wird.
1. Dieser Paragraph behandelt denselben Gegenstand, wie Hirts Abhandlung "Ueber die Bildung des Nackten bei den Alten" Schrif- ten der Berl. Akad. 1820.; aber versucht die Aufgabe anders zu lösen.
2. Die völlige Nacktheit kam zuerst bei den gymnischen Uebun- gen in Kreta und Lakedämon auf. Olympias 15 verliert Orsip- pos von Megara im Stadion zu Olympia die Binde durch Zufall und wird dadurch Sieger; Akanthos von Lakedämon tritt nun im Diaulos gleich von Anfang nackt auf, und für die Läufer ward es nun Gesetz. Bei andern Athleten aber war die völlige Nacktheit noch nicht lange vor Thukydides aufgekommen. So stellt die Sache am richtigsten Böckh dar, C. I. p. 554. Bei den Barbaren, be- sonders Asiens, blieb der Gürtel; hier war es auch für Männer schimpflich nackt gesehen zu werden (Herod. i, 10.); wovon man noch die Spur in den Götterbildern der Kleinasiatischen Kaisermün- zen sieht, welche meist stärker bekleidet sind als die Griechischen.
3. Die Bühnentracht geht, wie Pollux und die PioClementini- sche Mosaik zeigt, von den bunten Röcken (poikilois) der Diony- sischen Züge aus. Die Volksvorstellung wird oft mehr von der bildenden, bisweilen aber auch von der Bühne aus bestimmt; Dio- nysos denkt sich der Grieche nicht leicht ohne Safrangewand und Purpurmantel.
5. S. über das Ausgehn im bloßen Himation bei den jün- gern Männern in Sparta und Kreta des Bf. Dorier ii. S. 268. Von Sokrates, Phokion ist gleiche Einfachheit der Sitte bekannt.
6. Wie man im Leben den im bloßen Chiton gumnos nennt: so stellt die Kunst, welche den Chiton mit Idealgestalten nicht ver- einigen kann, einen solchen wirklich als gumnos dar.
Syſtematiſcher Theil.
war in allen Zeiten gewoͤhnlich: dagegen war die Ent- kleidung des ausgebildeten weiblichen Koͤrpers in der Kunſt lange unerhoͤrt, und bedurfte, als ſie aufkam (§. 125, 3. 127, 4.), doch zuerſt auch einer Anknuͤpfung an das Leben; man dachte ſtets dabei an das Bad, bis ſich die Augen gewoͤhnten die Vorſtellung auch ohne dieſe 9Rechtfertigung hinzunehmen. Die Portraͤtſtatue be- haͤlt die Tracht des Lebens, wenn ſie nicht, durch He- roiſirung oder Vergoͤttlichung der Geſtalt, auch hierin uͤber das gemeine Beduͤrfniß hinausgehoben wird.
1. Dieſer Paragraph behandelt denſelben Gegenſtand, wie Hirts Abhandlung „Ueber die Bildung des Nackten bei den Alten„ Schrif- ten der Berl. Akad. 1820.; aber verſucht die Aufgabe anders zu löſen.
2. Die völlige Nacktheit kam zuerſt bei den gymniſchen Uebun- gen in Kreta und Lakedämon auf. Olympias 15 verliert Orſip- pos von Megara im Stadion zu Olympia die Binde durch Zufall und wird dadurch Sieger; Akanthos von Lakedämon tritt nun im Diaulos gleich von Anfang nackt auf, und für die Läufer ward es nun Geſetz. Bei andern Athleten aber war die völlige Nacktheit noch nicht lange vor Thukydides aufgekommen. So ſtellt die Sache am richtigſten Böckh dar, C. I. p. 554. Bei den Barbaren, be- ſonders Aſiens, blieb der Gürtel; hier war es auch für Männer ſchimpflich nackt geſehen zu werden (Herod. i, 10.); wovon man noch die Spur in den Götterbildern der Kleinaſiatiſchen Kaiſermün- zen ſieht, welche meiſt ſtärker bekleidet ſind als die Griechiſchen.
3. Die Bühnentracht geht, wie Pollux und die PioClementini- ſche Moſaik zeigt, von den bunten Röcken (ποικίλοις) der Diony- ſiſchen Züge aus. Die Volksvorſtellung wird oft mehr von der bildenden, bisweilen aber auch von der Bühne aus beſtimmt; Dio- nyſos denkt ſich der Grieche nicht leicht ohne Safrangewand und Purpurmantel.
5. S. über das Ausgehn im bloßen Himation bei den jün- gern Männern in Sparta und Kreta des Bf. Dorier ii. S. 268. Von Sokrates, Phokion iſt gleiche Einfachheit der Sitte bekannt.
6. Wie man im Leben den im bloßen Chiton γυμνὸς nennt: ſo ſtellt die Kunſt, welche den Chiton mit Idealgeſtalten nicht ver- einigen kann, einen ſolchen wirklich als γυμνὸς dar.
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Syſtematiſcher Theil.
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lange unerhoͤrt, und bedurfte, als ſie aufkam (§. 125,
3. 127, 4.), doch zuerſt auch einer Anknuͤpfung an
das Leben; man dachte ſtets dabei an das Bad, bis
ſich die Augen gewoͤhnten die Vorſtellung auch ohne dieſe
Rechtfertigung hinzunehmen. Die Portraͤtſtatue be-
haͤlt die Tracht des Lebens, wenn ſie nicht, durch He-
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Abhandlung „Ueber die Bildung des Nackten bei den Alten„ Schrif-
ten der Berl. Akad. 1820.; aber verſucht die Aufgabe anders zu löſen.
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gen in Kreta und Lakedämon auf. Olympias 15 verliert Orſip-
pos von Megara im Stadion zu Olympia die Binde durch Zufall
und wird dadurch Sieger; Akanthos von Lakedämon tritt nun im
Diaulos gleich von Anfang nackt auf, und für die Läufer ward es
nun Geſetz. Bei andern Athleten aber war die völlige Nacktheit
noch nicht lange vor Thukydides aufgekommen. So ſtellt die Sache
am richtigſten Böckh dar, C. I. p. 554. Bei den Barbaren, be-
ſonders Aſiens, blieb der Gürtel; hier war es auch für Männer
ſchimpflich nackt geſehen zu werden (Herod. i, 10.); wovon man
noch die Spur in den Götterbildern der Kleinaſiatiſchen Kaiſermün-
zen ſieht, welche meiſt ſtärker bekleidet ſind als die Griechiſchen.
3. Die Bühnentracht geht, wie Pollux und die PioClementini-
ſche Moſaik zeigt, von den bunten Röcken (ποικίλοις) der Diony-
ſiſchen Züge aus. Die Volksvorſtellung wird oft mehr von der
bildenden, bisweilen aber auch von der Bühne aus beſtimmt; Dio-
nyſos denkt ſich der Grieche nicht leicht ohne Safrangewand und
Purpurmantel.
5. S. über das Ausgehn im bloßen Himation bei den jün-
gern Männern in Sparta und Kreta des Bf. Dorier ii. S. 268.
Von Sokrates, Phokion iſt gleiche Einfachheit der Sitte bekannt.
6. Wie man im Leben den im bloßen Chiton γυμνὸς nennt:
ſo ſtellt die Kunſt, welche den Chiton mit Idealgeſtalten nicht ver-
einigen kann, einen ſolchen wirklich als γυμνὸς dar.
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/442>, abgerufen am 22.11.2024.
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