8. Die bekleideten Chariten des Sokrates sind oft besprochen worden. Ob aber wohl dies sehr vorzügliche Werk (unter den er- sten Werken der Sculptur, nach Plin. xxxvi, 4, 10.) wirklich von Sophroniskos Sohn herrührte, der es doch schwerlich so weit in der Kunst gebracht? Dem Pausanias sagten es die Athener so; Plinius weiß aber offenbar davon noch Nichts.
2. Männerkleider.
337. Das Griechische Volk charakterisirt sich (im1 Gegensatz zu allen alten nnd neuen Barbaren) als das eigentliche Kunstvolk auch durch die große Einfachheit und Simplicität der Gewänder. Alles zerfällt in endumata, d. h. übergezogne, und epiblemata, um- gelegte. Der männliche Chiton ist ein wollnes, ur-2 sprünglich ärmelloses Hemde; nur der Jonische, der vor der Zeit des Peloponnesischen Krieges auch in Athen ge- tragen wurde, war von Leinwand, faltenreich und lang; er bildete den Uebergang zu den Lydischen Gewändern, welche zu dem Dionysischen Festgepränge gehörten. Verschiedne3 Stände haben den Chiton von verschiednem Zuschnitt; seinen Charakter erhält er aber noch mehr durch die Art der Gürtung. Das Himation ist ein viereckiges4 großes Tuch, welches regelmäßig von dem linken Arme aus, der es festhält, über den Rücken, und alsdann über den rechten Arm hinweg, oder auch unter demselben durch, nach dem linken Arme hin herumgezogen wird. Noch mehr wie an der Gürtung des Chiton, erkannte5 man an der Art des Umlegens des Himations die gute Erziehung des Freigebornen und die mannigfachen Cha- raktere des Lebens. Wesentlich verschieden von bei-6 den Kleidungsstücken ist die Chlamys, auch die Thes- salischen Fittige genannt, die Nationaltracht des Illyri- schen und benachbarten Nordens, welche in Griechenland besonders von Reutern und Epheben angenommen wurde; ein Mantelkragen, der mit einer Schnalle oder Spange
II. Bildende Kunſt. Formen.
8. Die bekleideten Chariten des Sokrates ſind oft beſprochen worden. Ob aber wohl dies ſehr vorzügliche Werk (unter den er- ſten Werken der Sculptur, nach Plin. xxxvi, 4, 10.) wirklich von Sophroniskos Sohn herrührte, der es doch ſchwerlich ſo weit in der Kunſt gebracht? Dem Pauſanias ſagten es die Athener ſo; Plinius weiß aber offenbar davon noch Nichts.
2. Maͤnnerkleider.
337. Das Griechiſche Volk charakteriſirt ſich (im1 Gegenſatz zu allen alten nnd neuen Barbaren) als das eigentliche Kunſtvolk auch durch die große Einfachheit und Simplicitaͤt der Gewaͤnder. Alles zerfaͤllt in ἐνδύματα, d. h. uͤbergezogne, und ἐπιβλήματα, um- gelegte. Der maͤnnliche Chiton iſt ein wollnes, ur-2 ſpruͤnglich aͤrmelloſes Hemde; nur der Joniſche, der vor der Zeit des Peloponneſiſchen Krieges auch in Athen ge- tragen wurde, war von Leinwand, faltenreich und lang; er bildete den Uebergang zu den Lydiſchen Gewaͤndern, welche zu dem Dionyſiſchen Feſtgepraͤnge gehoͤrten. Verſchiedne3 Staͤnde haben den Chiton von verſchiednem Zuſchnitt; ſeinen Charakter erhaͤlt er aber noch mehr durch die Art der Guͤrtung. Das Himation iſt ein viereckiges4 großes Tuch, welches regelmaͤßig von dem linken Arme aus, der es feſthaͤlt, uͤber den Ruͤcken, und alsdann uͤber den rechten Arm hinweg, oder auch unter demſelben durch, nach dem linken Arme hin herumgezogen wird. Noch mehr wie an der Guͤrtung des Chiton, erkannte5 man an der Art des Umlegens des Himations die gute Erziehung des Freigebornen und die mannigfachen Cha- raktere des Lebens. Weſentlich verſchieden von bei-6 den Kleidungsſtuͤcken iſt die Chlamys, auch die Theſ- ſaliſchen Fittige genannt, die Nationaltracht des Illyri- ſchen und benachbarten Nordens, welche in Griechenland beſonders von Reutern und Epheben angenommen wurde; ein Mantelkragen, der mit einer Schnalle oder Spange
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II. Bildende Kunſt. Formen.
8. Die bekleideten Chariten des Sokrates ſind oft beſprochen
worden. Ob aber wohl dies ſehr vorzügliche Werk (unter den er-
ſten Werken der Sculptur, nach Plin. xxxvi, 4, 10.) wirklich
von Sophroniskos Sohn herrührte, der es doch ſchwerlich ſo weit
in der Kunſt gebracht? Dem Pauſanias ſagten es die Athener ſo;
Plinius weiß aber offenbar davon noch Nichts.
2. Maͤnnerkleider.
337. Das Griechiſche Volk charakteriſirt ſich (im
Gegenſatz zu allen alten nnd neuen Barbaren) als das
eigentliche Kunſtvolk auch durch die große Einfachheit
und Simplicitaͤt der Gewaͤnder. Alles zerfaͤllt in
ἐνδύματα, d. h. uͤbergezogne, und ἐπιβλήματα, um-
gelegte. Der maͤnnliche Chiton iſt ein wollnes, ur-
ſpruͤnglich aͤrmelloſes Hemde; nur der Joniſche, der vor
der Zeit des Peloponneſiſchen Krieges auch in Athen ge-
tragen wurde, war von Leinwand, faltenreich und lang;
er bildete den Uebergang zu den Lydiſchen Gewaͤndern, welche
zu dem Dionyſiſchen Feſtgepraͤnge gehoͤrten. Verſchiedne
Staͤnde haben den Chiton von verſchiednem Zuſchnitt;
ſeinen Charakter erhaͤlt er aber noch mehr durch die Art
der Guͤrtung. Das Himation iſt ein viereckiges
großes Tuch, welches regelmaͤßig von dem linken Arme
aus, der es feſthaͤlt, uͤber den Ruͤcken, und alsdann
uͤber den rechten Arm hinweg, oder auch unter demſelben
durch, nach dem linken Arme hin herumgezogen wird.
Noch mehr wie an der Guͤrtung des Chiton, erkannte
man an der Art des Umlegens des Himations die gute
Erziehung des Freigebornen und die mannigfachen Cha-
raktere des Lebens. Weſentlich verſchieden von bei-
den Kleidungsſtuͤcken iſt die Chlamys, auch die Theſ-
ſaliſchen Fittige genannt, die Nationaltracht des Illyri-
ſchen und benachbarten Nordens, welche in Griechenland
beſonders von Reutern und Epheben angenommen wurde;
ein Mantelkragen, der mit einer Schnalle oder Spange
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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