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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.

4. Den hohen Visirhelm haben die M. Korinths mit dem
Pegasos (Ath. Ippia) u. seiner Colonieen, z. B. Aktion, Anak-
torion, Argos Amphilochikon, auch Syrakus (mit wenigen Ausnah-
men), von Agathokles, Alexander, Pyrrhos. Dagegen haben
die M. Athens fast in allen Formen (vgl. M. Hunter tb. 8--
10. Tychsen Comtt. rec. Gott. V. tb. 2.) so wie die von Ve-
lia, Thurii u. andern Orten, den niedrigen anschließenden Helm,
mit einem bloßen Schirm. Offenbar ist jenes das berühmte kra-
nos Korinthiourges, welches schwerlich irgend eine Athenische
Hauptstatue haben durfte, daher die Albanische Büste u. Velletri-
sche Statue nicht zunächst Copieen nach Phidias sein können. Vgl.
§. 342, 3.

1370. Die Modificationen dieser Gestalt hängen eng mit
der Bekleidung zusammen. Athena hat nämlich erstens
in vielen Statuen des ausgebildeten Styls ein Himation
umgeworfen, entweder so daß es vorn überfallend blos
um den untern Theil des Leibes liegt, oder so daß es
auch den linken Arm und einen Theil der Aegis verhüllt.
2Diese Athena hat stets den Schild am Boden stehend
oder ermangelt dessen ganz; sie wird demgemäß als eine
siegreiche (daher auch die Nike auf der Hand) und ruhig
3herrschende Göttin gedacht. Dieser entgegen stehen die
Pallasbilder im Dorischen Chiton mit dem Ueberschlag
(Diploidion), aber ohne Himation: eine Tracht, die un-
mittelbar für den Kampf geeignet ist, zu dessen Behuf
auch bei Homer das Obergewand, es sei Chläna oder
4Peplos, stets hinweg gethan wird. Mit solcher Be-
kleidung stimmt sehr gut ein aufgehobner Schild, der die
Pallas Promachos des Phidias charakterisirte, und wahr-
scheinlich mehrern nach einem erhabnen Muster gefertig-
ten Pallasbildern zu restituiren ist, welche in dem küh-
nen Wurfe der Aegis und in der ganzen Haltung des
Körpers etwas mehr Kampfbewegung zeigen als gewöhn-
lich, und sich durch besonders mächtige und athletische
5Gliederformen auszeichnen. Wo auf kleinern Kunstwerken
Athena zum Kampf eilend oder schon am Kampfe Theil
nehmend, die Lanze erhebend oder auch den Blitz schleu-
6dernd, erscheint, hat sie immer diese Bekleidung. In-

Syſtematiſcher Theil.

4. Den hohen Viſirhelm haben die M. Korinths mit dem
Pegaſos (Ἀϑ. Ἱππία) u. ſeiner Colonieen, z. B. Aktion, Anak-
torion, Argos Amphilochikon, auch Syrakus (mit wenigen Ausnah-
men), von Agathokles, Alexander, Pyrrhos. Dagegen haben
die M. Athens faſt in allen Formen (vgl. M. Hunter tb. 8—
10. Tychſen Comtt. rec. Gott. V. tb. 2.) ſo wie die von Ve-
lia, Thurii u. andern Orten, den niedrigen anſchließenden Helm,
mit einem bloßen Schirm. Offenbar iſt jenes das berühmte κρά-
νος Κορινϑιουργὲς, welches ſchwerlich irgend eine Atheniſche
Hauptſtatue haben durfte, daher die Albaniſche Büſte u. Velletri-
ſche Statue nicht zunächſt Copieen nach Phidias ſein können. Vgl.
§. 342, 3.

1370. Die Modificationen dieſer Geſtalt haͤngen eng mit
der Bekleidung zuſammen. Athena hat naͤmlich erſtens
in vielen Statuen des ausgebildeten Styls ein Himation
umgeworfen, entweder ſo daß es vorn uͤberfallend blos
um den untern Theil des Leibes liegt, oder ſo daß es
auch den linken Arm und einen Theil der Aegis verhuͤllt.
2Dieſe Athena hat ſtets den Schild am Boden ſtehend
oder ermangelt deſſen ganz; ſie wird demgemaͤß als eine
ſiegreiche (daher auch die Nike auf der Hand) und ruhig
3herrſchende Goͤttin gedacht. Dieſer entgegen ſtehen die
Pallasbilder im Doriſchen Chiton mit dem Ueberſchlag
(Diploidion), aber ohne Himation: eine Tracht, die un-
mittelbar fuͤr den Kampf geeignet iſt, zu deſſen Behuf
auch bei Homer das Obergewand, es ſei Chlaͤna oder
4Peplos, ſtets hinweg gethan wird. Mit ſolcher Be-
kleidung ſtimmt ſehr gut ein aufgehobner Schild, der die
Pallas Promachos des Phidias charakteriſirte, und wahr-
ſcheinlich mehrern nach einem erhabnen Muſter gefertig-
ten Pallasbildern zu reſtituiren iſt, welche in dem kuͤh-
nen Wurfe der Aegis und in der ganzen Haltung des
Koͤrpers etwas mehr Kampfbewegung zeigen als gewoͤhn-
lich, und ſich durch beſonders maͤchtige und athletiſche
5Gliederformen auszeichnen. Wo auf kleinern Kunſtwerken
Athena zum Kampf eilend oder ſchon am Kampfe Theil
nehmend, die Lanze erhebend oder auch den Blitz ſchleu-
6dernd, erſcheint, hat ſie immer dieſe Bekleidung. In-

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[484/0506] Syſtematiſcher Theil. 4. Den hohen Viſirhelm haben die M. Korinths mit dem Pegaſos (Ἀϑ. Ἱππία) u. ſeiner Colonieen, z. B. Aktion, Anak- torion, Argos Amphilochikon, auch Syrakus (mit wenigen Ausnah- men), von Agathokles, Alexander, Pyrrhos. Dagegen haben die M. Athens faſt in allen Formen (vgl. M. Hunter tb. 8— 10. Tychſen Comtt. rec. Gott. V. tb. 2.) ſo wie die von Ve- lia, Thurii u. andern Orten, den niedrigen anſchließenden Helm, mit einem bloßen Schirm. Offenbar iſt jenes das berühmte κρά- νος Κορινϑιουργὲς, welches ſchwerlich irgend eine Atheniſche Hauptſtatue haben durfte, daher die Albaniſche Büſte u. Velletri- ſche Statue nicht zunächſt Copieen nach Phidias ſein können. Vgl. §. 342, 3. 370. Die Modificationen dieſer Geſtalt haͤngen eng mit der Bekleidung zuſammen. Athena hat naͤmlich erſtens in vielen Statuen des ausgebildeten Styls ein Himation umgeworfen, entweder ſo daß es vorn uͤberfallend blos um den untern Theil des Leibes liegt, oder ſo daß es auch den linken Arm und einen Theil der Aegis verhuͤllt. Dieſe Athena hat ſtets den Schild am Boden ſtehend oder ermangelt deſſen ganz; ſie wird demgemaͤß als eine ſiegreiche (daher auch die Nike auf der Hand) und ruhig herrſchende Goͤttin gedacht. Dieſer entgegen ſtehen die Pallasbilder im Doriſchen Chiton mit dem Ueberſchlag (Diploidion), aber ohne Himation: eine Tracht, die un- mittelbar fuͤr den Kampf geeignet iſt, zu deſſen Behuf auch bei Homer das Obergewand, es ſei Chlaͤna oder Peplos, ſtets hinweg gethan wird. Mit ſolcher Be- kleidung ſtimmt ſehr gut ein aufgehobner Schild, der die Pallas Promachos des Phidias charakteriſirte, und wahr- ſcheinlich mehrern nach einem erhabnen Muſter gefertig- ten Pallasbildern zu reſtituiren iſt, welche in dem kuͤh- nen Wurfe der Aegis und in der ganzen Haltung des Koͤrpers etwas mehr Kampfbewegung zeigen als gewoͤhn- lich, und ſich durch beſonders maͤchtige und athletiſche Gliederformen auszeichnen. Wo auf kleinern Kunſtwerken Athena zum Kampf eilend oder ſchon am Kampfe Theil nehmend, die Lanze erhebend oder auch den Blitz ſchleu- dernd, erſcheint, hat ſie immer dieſe Bekleidung. In- 1 2 3 4 5 6

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/506>, abgerufen am 22.11.2024.