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Müller, Johann Bernhard: Leben und Gewohnheiten Der Ostiacken. Berlin, 1726.

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ziehen ihm die Bekleidung des Verstorbenen an,
und nehmen selbigen des Nachts in ihre Ar-
men/ des Tages aber stellen sie ihn vor ihre Au-
gen/ und beweinen in der Gestalt des Götzen ih-
ren verstorbenen Mann. Dis continuiren sie
ein gantzes Jahr, und wann selbiges verflossen/
nehmen sie die Kleider und umgewundene Lum-
pen wieder zurück/ und werffen den Götzen biß
auf eine künfftige Benöhtigung bey sei-
te. Woferne aber diese Ceremonien von etli-
chen Weibern nicht so streng in acht genommen
werden/ halten die andern sie vor leichtfertig/
und blamiren sie, daß sie ihrem Manne bey Leb-
zeiten untreu gewesen/ und nicht nach Gebühr
geliebt haben.

§. 16. Nachdem sie einen Bären erschla-
gen/ ziehen sie ihm die Haut ab/ hangen sie bey
dem Götzen/ auf einen erhahenen Baum, und
thun derselbigen eine grosse Verehrung an/ ent-
schuldigen sich mit einem lauten Geplär und ver-
stelltem Klagen/ daß sie nicht Schuld an seinem
Tode/ sie hätten das Eisen/ womit er getödtet/
nicht geschmiedet, noch den Pfeil gefiedert/ es
wären auch nicht ihre/ sondern fremder Vö-
gel Federn/ die die Flucht des Pfeiles so schnell
gemacht/ sie bitten um Vergebung, daß sie nur
den Pfeil abgedrückt, der ihn getroffen. Die
Ursache dieser Excuse ist die Furcht/ die sie ih-
nen einbilden/ es könne die vernünfftige Seele
des Bären ihnen in den Wäldern/ noch scha-
den, und müsten sie sich bey Zeiten mit der See-

len
D 4

ziehen ihm die Bekleidung des Verſtorbenen an,
und nehmen ſelbigen des Nachts in ihre Ar-
men/ des Tages aber ſtellen ſie ihn vor ihre Au-
gen/ und beweinen in der Geſtalt des Goͤtzen ih-
ren verſtorbenen Mann. Dis continuiren ſie
ein gantzes Jahr, und wann ſelbiges verfloſſen/
nehmen ſie die Kleider und umgewundene Lum-
pen wieder zuruͤck/ und werffen den Goͤtzen biß
auf eine kuͤnfftige Benoͤhtigung bey ſei-
te. Woferne aber dieſe Ceremonien von etli-
chen Weibern nicht ſo ſtreng in acht genommen
werden/ halten die andern ſie vor leichtfertig/
und blamiren ſie, daß ſie ihrem Manne bey Leb-
zeiten untreu geweſen/ und nicht nach Gebuͤhr
geliebt haben.

§. 16. Nachdem ſie einen Baͤren erſchla-
gen/ ziehen ſie ihm die Haut ab/ hangen ſie bey
dem Goͤtzen/ auf einen erhahenen Baum, und
thun derſelbigen eine groſſe Verehrung an/ ent-
ſchuldigen ſich mit einem lauten Geplaͤr und ver-
ſtelltem Klagen/ daß ſie nicht Schuld an ſeinem
Tode/ ſie haͤtten das Eiſen/ womit er getoͤdtet/
nicht geſchmiedet, noch den Pfeil gefiedert/ es
waͤren auch nicht ihre/ ſondern fremder Voͤ-
gel Federn/ die die Flucht des Pfeiles ſo ſchnell
gemacht/ ſie bitten um Vergebung, daß ſie nur
den Pfeil abgedruͤckt, der ihn getroffen. Die
Urſache dieſer Excuſe iſt die Furcht/ die ſie ih-
nen einbilden/ es koͤnne die vernuͤnfftige Seele
des Baͤren ihnen in den Waͤldern/ noch ſcha-
den, und muͤſten ſie ſich bey Zeiten mit der See-

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[55/0071] ziehen ihm die Bekleidung des Verſtorbenen an, und nehmen ſelbigen des Nachts in ihre Ar- men/ des Tages aber ſtellen ſie ihn vor ihre Au- gen/ und beweinen in der Geſtalt des Goͤtzen ih- ren verſtorbenen Mann. Dis continuiren ſie ein gantzes Jahr, und wann ſelbiges verfloſſen/ nehmen ſie die Kleider und umgewundene Lum- pen wieder zuruͤck/ und werffen den Goͤtzen biß auf eine kuͤnfftige Benoͤhtigung bey ſei- te. Woferne aber dieſe Ceremonien von etli- chen Weibern nicht ſo ſtreng in acht genommen werden/ halten die andern ſie vor leichtfertig/ und blamiren ſie, daß ſie ihrem Manne bey Leb- zeiten untreu geweſen/ und nicht nach Gebuͤhr geliebt haben. §. 16. Nachdem ſie einen Baͤren erſchla- gen/ ziehen ſie ihm die Haut ab/ hangen ſie bey dem Goͤtzen/ auf einen erhahenen Baum, und thun derſelbigen eine groſſe Verehrung an/ ent- ſchuldigen ſich mit einem lauten Geplaͤr und ver- ſtelltem Klagen/ daß ſie nicht Schuld an ſeinem Tode/ ſie haͤtten das Eiſen/ womit er getoͤdtet/ nicht geſchmiedet, noch den Pfeil gefiedert/ es waͤren auch nicht ihre/ ſondern fremder Voͤ- gel Federn/ die die Flucht des Pfeiles ſo ſchnell gemacht/ ſie bitten um Vergebung, daß ſie nur den Pfeil abgedruͤckt, der ihn getroffen. Die Urſache dieſer Excuſe iſt die Furcht/ die ſie ih- nen einbilden/ es koͤnne die vernuͤnfftige Seele des Baͤren ihnen in den Waͤldern/ noch ſcha- den, und muͤſten ſie ſich bey Zeiten mit der See- len D 4

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Zitationshilfe: Müller, Johann Bernhard: Leben und Gewohnheiten Der Ostiacken. Berlin, 1726, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_ostiacken_1726/71>, abgerufen am 27.11.2024.