Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_015.001 Vor allem kommt es darauf an, nicht Motive und Ziel der dichterischen pmu_015.027 pmu_015.001 Vor allem kommt es darauf an, nicht Motive und Ziel der dichterischen pmu_015.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="15"/><lb n="pmu_015.001"/> um so höher stand, je höher das Streben des Künstlers ging. Aber für <lb n="pmu_015.002"/> ein Jdealpublikum haben alle großen Künstler geschaffen und die Auffassungsmöglichkeiten <lb n="pmu_015.003"/> desselben sorgfältig in Rechnung gestellt. So ist der <lb n="pmu_015.004"/> Dichterstil insofern nach dem Publikum orientiert, da zunächst der Dichter <lb n="pmu_015.005"/> selbst einmal sein eigenes Publikum zu sein pflegt und die nächste Jnstanz <lb n="pmu_015.006"/> für die Wirkung seines Werkes, daneben auch alle Freunde, denen er es <lb n="pmu_015.007"/> zur Prüfung unterbreitet, ebenso wie das Publikum, dem er es vorlegen <lb n="pmu_015.008"/> wird. Wir wissen, daß selbst bei großen und edlen Dichtern auch ganz <lb n="pmu_015.009"/> äußere Momente mitgewirkt haben, die für ihr Schaffen bedingend wurden. <lb n="pmu_015.010"/> Man lese nur, welche Rolle das Wort „Effekt“ in Schillers Briefwechsel <lb n="pmu_015.011"/> spielt, und auch bei andern Dichtern sind „Aktualität“ und andre <lb n="pmu_015.012"/> Wirkungsberechnungen oft sehr ausschlaggebend gewesen für ihr Dichten. <lb n="pmu_015.013"/> Damit wären wir schon beim <hi rendition="#g">Gegenstand,</hi> denn natürlich können nur <lb n="pmu_015.014"/> solche Gegenstände zur Verarbeitung kommen, die überhaupt eine Wirkung <lb n="pmu_015.015"/> ermöglichen. Ebenso muß natürlich die <hi rendition="#g">Darbietung</hi> aufs genaueste <lb n="pmu_015.016"/> auf das Publikum Rücksicht nehmen, und bei allen <hi rendition="#g">Sprachformen</hi> spielt <lb n="pmu_015.017"/> die Rücksicht auf den Hörer oder Leser natürlich die gleiche Rolle. Denn <lb n="pmu_015.018"/> schließlich ist es ja das Publikum, das über das Bestehen eines Werkes <lb n="pmu_015.019"/> entscheidet. Es nimmt an oder verwirft. Dabei sei nochmals mit aller <lb n="pmu_015.020"/> Schärfe hervorgehoben, daß es sich nicht um ein Zufallspublikum oder <lb n="pmu_015.021"/> überhaupt die ersten besten handelt, sondern daß für das dauernde Bestehen <lb n="pmu_015.022"/> eines Werkes zu jeder Zeit sich eine Jnstanz ästhetisch gebildeter <lb n="pmu_015.023"/> und überragender Köpfe findet, die zwar auch nicht objektiv sind, aber <lb n="pmu_015.024"/> in ihrer Gesamtheit doch eine gewisse Gewähr für das Erkennen künstlerischer <lb n="pmu_015.025"/> Werte darstellen, wovon später zu sprechen sein wird.</p> <lb n="pmu_015.026"/> <p> Vor allem kommt es darauf an, nicht Motive und Ziel der dichterischen <lb n="pmu_015.027"/> Betätigung zu verwechseln. Wenn die beabsichtigte Wirkung auf ein Publikum <lb n="pmu_015.028"/> das einzige Motiv des Schaffens ist, so haben wir es nicht mit <lb n="pmu_015.029"/> Kunstwerken, sondern mit ausgeklügelten Machwerken zu tun. Diese Autoren <lb n="pmu_015.030"/> nennen wir nicht Dichter, sondern Macher. Wir werden später <lb n="pmu_015.031"/> sehen, welche Motive den Dichter zum Schaffen leiten können. Aber seine <lb n="pmu_015.032"/> Richtung muß das Kunstschaffen stets durch die beabsichtigte Wirkung auf <lb n="pmu_015.033"/> ein Publikum bekommen, und insofern ist die beabsichtigte und tatsächliche <lb n="pmu_015.034"/> Wirkung stets bei der Analyse aller Stilformen in Rechnung zu setzen. <lb n="pmu_015.035"/> Jn allen Stilformen haben wir also zweierlei zu beachten, die Elemente, <lb n="pmu_015.036"/> die auf ihren Ursprung zurückzuführen sind, und die Elemente, die sich <lb n="pmu_015.037"/> aus der beabsichtigten Wirkung ergeben. Beide allerdings verschmelzen <lb n="pmu_015.038"/> meist zu einer untrennbaren Einheit, und nicht immer läßt sich mehr erkennen, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0025]
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um so höher stand, je höher das Streben des Künstlers ging. Aber für pmu_015.002
ein Jdealpublikum haben alle großen Künstler geschaffen und die Auffassungsmöglichkeiten pmu_015.003
desselben sorgfältig in Rechnung gestellt. So ist der pmu_015.004
Dichterstil insofern nach dem Publikum orientiert, da zunächst der Dichter pmu_015.005
selbst einmal sein eigenes Publikum zu sein pflegt und die nächste Jnstanz pmu_015.006
für die Wirkung seines Werkes, daneben auch alle Freunde, denen er es pmu_015.007
zur Prüfung unterbreitet, ebenso wie das Publikum, dem er es vorlegen pmu_015.008
wird. Wir wissen, daß selbst bei großen und edlen Dichtern auch ganz pmu_015.009
äußere Momente mitgewirkt haben, die für ihr Schaffen bedingend wurden. pmu_015.010
Man lese nur, welche Rolle das Wort „Effekt“ in Schillers Briefwechsel pmu_015.011
spielt, und auch bei andern Dichtern sind „Aktualität“ und andre pmu_015.012
Wirkungsberechnungen oft sehr ausschlaggebend gewesen für ihr Dichten. pmu_015.013
Damit wären wir schon beim Gegenstand, denn natürlich können nur pmu_015.014
solche Gegenstände zur Verarbeitung kommen, die überhaupt eine Wirkung pmu_015.015
ermöglichen. Ebenso muß natürlich die Darbietung aufs genaueste pmu_015.016
auf das Publikum Rücksicht nehmen, und bei allen Sprachformen spielt pmu_015.017
die Rücksicht auf den Hörer oder Leser natürlich die gleiche Rolle. Denn pmu_015.018
schließlich ist es ja das Publikum, das über das Bestehen eines Werkes pmu_015.019
entscheidet. Es nimmt an oder verwirft. Dabei sei nochmals mit aller pmu_015.020
Schärfe hervorgehoben, daß es sich nicht um ein Zufallspublikum oder pmu_015.021
überhaupt die ersten besten handelt, sondern daß für das dauernde Bestehen pmu_015.022
eines Werkes zu jeder Zeit sich eine Jnstanz ästhetisch gebildeter pmu_015.023
und überragender Köpfe findet, die zwar auch nicht objektiv sind, aber pmu_015.024
in ihrer Gesamtheit doch eine gewisse Gewähr für das Erkennen künstlerischer pmu_015.025
Werte darstellen, wovon später zu sprechen sein wird.
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Vor allem kommt es darauf an, nicht Motive und Ziel der dichterischen pmu_015.027
Betätigung zu verwechseln. Wenn die beabsichtigte Wirkung auf ein Publikum pmu_015.028
das einzige Motiv des Schaffens ist, so haben wir es nicht mit pmu_015.029
Kunstwerken, sondern mit ausgeklügelten Machwerken zu tun. Diese Autoren pmu_015.030
nennen wir nicht Dichter, sondern Macher. Wir werden später pmu_015.031
sehen, welche Motive den Dichter zum Schaffen leiten können. Aber seine pmu_015.032
Richtung muß das Kunstschaffen stets durch die beabsichtigte Wirkung auf pmu_015.033
ein Publikum bekommen, und insofern ist die beabsichtigte und tatsächliche pmu_015.034
Wirkung stets bei der Analyse aller Stilformen in Rechnung zu setzen. pmu_015.035
Jn allen Stilformen haben wir also zweierlei zu beachten, die Elemente, pmu_015.036
die auf ihren Ursprung zurückzuführen sind, und die Elemente, die sich pmu_015.037
aus der beabsichtigten Wirkung ergeben. Beide allerdings verschmelzen pmu_015.038
meist zu einer untrennbaren Einheit, und nicht immer läßt sich mehr erkennen,
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