Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_018.001 Um das zu erreichen, können wir an dieser Stelle nicht jeder kleinen pmu_018.006 pmu_018.013 pmu_018.015Drittes Kapitel. pmu_018.014 Der Dichter und sein Stil. 1. Wer ist ein Dichter? Sicher nicht jeder, dem ein Verslein gelang in pmu_018.016 Wenn wir ganz empirisch vorgehen, so können wir nur ganz allgemein pmu_018.033 pmu_018.001 Um das zu erreichen, können wir an dieser Stelle nicht jeder kleinen pmu_018.006 pmu_018.013 pmu_018.015Drittes Kapitel. pmu_018.014 Der Dichter und sein Stil. 1. Wer ist ein Dichter? Sicher nicht jeder, dem ein Verslein gelang in pmu_018.016 Wenn wir ganz empirisch vorgehen, so können wir nur ganz allgemein pmu_018.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="18"/><lb n="pmu_018.001"/> Wert bedeutet uns also nicht Übereinstimmung mit irgendeiner <lb n="pmu_018.002"/> spekulativ gefundenen Norm, sondern bedeutet uns ein ästhetisch wirksames <lb n="pmu_018.003"/> Objekt, dessen Wirkung eine gewisse Dauer und Tiefe aufzuzeigen <lb n="pmu_018.004"/> hat. Die Gründe für diese Wirkung aufzusuchen aber ist Ziel unsrer Arbeit.</p> <lb n="pmu_018.005"/> <p> Um das zu erreichen, können wir an dieser Stelle nicht jeder kleinen <lb n="pmu_018.006"/> Besonderheit nachgehen, sondern wir müssen uns ganz an die großen Linien <lb n="pmu_018.007"/> halten. Und zwar nehmen wir solche Werke und diejenigen Stilformen <lb n="pmu_018.008"/> vor, die möglichst allgemein ihre ästhetische Wirksamkeit erwiesen <lb n="pmu_018.009"/> haben. Auf diese Weise können wir hoffen, zu gewissen allgemeinen Erkenntnissen <lb n="pmu_018.010"/> über die ästhetischen Wirkungsmöglichkeiten und ihre psychologischen <lb n="pmu_018.011"/> Bedingungen zu gelangen, von denen aus sich nachher auch <lb n="pmu_018.012"/> Licht über die einzelnen Fälle verbreiten wird.</p> </div> </div> <div n="2"> <head> <lb n="pmu_018.013"/> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel.</hi><lb n="pmu_018.014"/> Der Dichter und sein Stil.</hi> </head> <lb n="pmu_018.015"/> <div n="3"> <p> 1. Wer ist ein Dichter? Sicher nicht jeder, dem ein Verslein gelang in <lb n="pmu_018.016"/> einer gebildeten Sprache. Und doch ist schwer eine Grenze zu ziehen. <lb n="pmu_018.017"/> Wir glauben heute nicht mehr, daß dem Dichter eine besondere, nur ihm <lb n="pmu_018.018"/> eigene, göttliche Gabe geworden sei; auch lehrt uns die Psychologie, daß <lb n="pmu_018.019"/> die Dichtergabe nicht ein spezifisches Phänomen neben den gewöhnlichen <lb n="pmu_018.020"/> psychischen Funktionen ist. Wir wissen heute aus gründlichem Studium <lb n="pmu_018.021"/> des Lebens und der Werke der großen Poeten, daß die dichterische Veranlagung <lb n="pmu_018.022"/> nur eine besondere Steigerung der normalen Funktionen ist, <lb n="pmu_018.023"/> daß also nur ein <hi rendition="#g">Grad</hi>unterschied, kein <hi rendition="#g">Wesens</hi>unterschied besteht zwischen <lb n="pmu_018.024"/> dem Dichter und dem Nichtdichter. Was die Unterscheidung besonders <lb n="pmu_018.025"/> erschwert, ist, daß nicht einmal eine besondere <hi rendition="#g">technische</hi> Ausbildung <lb n="pmu_018.026"/> nötig ist wie beim Musiker oder Maler. Technische Dinge sind zwar <lb n="pmu_018.027"/> auch in der Poesie sehr wichtig, indessen nicht so entscheidend wie in den <lb n="pmu_018.028"/> andern Künsten. Es wäre uns unmöglich, eine Fuge, die voller technischer <lb n="pmu_018.029"/> Mängel ist, als großes Kunstwerk zu bewerten. Jn der Dichtkunst zeigen <lb n="pmu_018.030"/> oft sogar Werke allerersten Ranges die auffallendsten technischen Mängel <lb n="pmu_018.031"/> und haben doch als große Kunstwerke gewirkt.</p> <lb n="pmu_018.032"/> <p> Wenn wir ganz empirisch vorgehen, so können wir nur ganz allgemein <lb n="pmu_018.033"/> sagen: derjenige ist ein Dichter, dem es geglückt ist, Werke zu schaffen, die <lb n="pmu_018.034"/> weithin und dauernd als Dichtungen erlebt wurden. Man sieht, eine <lb n="pmu_018.035"/> sichere Grenze ist damit nicht gezogen, kann auch nicht gezogen werden, <lb n="pmu_018.036"/> da nur ein <hi rendition="#g">Grad</hi>unterschied besteht. Versuchen wir nun im einzelnen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0028]
pmu_018.001
Wert bedeutet uns also nicht Übereinstimmung mit irgendeiner pmu_018.002
spekulativ gefundenen Norm, sondern bedeutet uns ein ästhetisch wirksames pmu_018.003
Objekt, dessen Wirkung eine gewisse Dauer und Tiefe aufzuzeigen pmu_018.004
hat. Die Gründe für diese Wirkung aufzusuchen aber ist Ziel unsrer Arbeit.
pmu_018.005
Um das zu erreichen, können wir an dieser Stelle nicht jeder kleinen pmu_018.006
Besonderheit nachgehen, sondern wir müssen uns ganz an die großen Linien pmu_018.007
halten. Und zwar nehmen wir solche Werke und diejenigen Stilformen pmu_018.008
vor, die möglichst allgemein ihre ästhetische Wirksamkeit erwiesen pmu_018.009
haben. Auf diese Weise können wir hoffen, zu gewissen allgemeinen Erkenntnissen pmu_018.010
über die ästhetischen Wirkungsmöglichkeiten und ihre psychologischen pmu_018.011
Bedingungen zu gelangen, von denen aus sich nachher auch pmu_018.012
Licht über die einzelnen Fälle verbreiten wird.
pmu_018.013
Drittes Kapitel. pmu_018.014
Der Dichter und sein Stil. pmu_018.015
1. Wer ist ein Dichter? Sicher nicht jeder, dem ein Verslein gelang in pmu_018.016
einer gebildeten Sprache. Und doch ist schwer eine Grenze zu ziehen. pmu_018.017
Wir glauben heute nicht mehr, daß dem Dichter eine besondere, nur ihm pmu_018.018
eigene, göttliche Gabe geworden sei; auch lehrt uns die Psychologie, daß pmu_018.019
die Dichtergabe nicht ein spezifisches Phänomen neben den gewöhnlichen pmu_018.020
psychischen Funktionen ist. Wir wissen heute aus gründlichem Studium pmu_018.021
des Lebens und der Werke der großen Poeten, daß die dichterische Veranlagung pmu_018.022
nur eine besondere Steigerung der normalen Funktionen ist, pmu_018.023
daß also nur ein Gradunterschied, kein Wesensunterschied besteht zwischen pmu_018.024
dem Dichter und dem Nichtdichter. Was die Unterscheidung besonders pmu_018.025
erschwert, ist, daß nicht einmal eine besondere technische Ausbildung pmu_018.026
nötig ist wie beim Musiker oder Maler. Technische Dinge sind zwar pmu_018.027
auch in der Poesie sehr wichtig, indessen nicht so entscheidend wie in den pmu_018.028
andern Künsten. Es wäre uns unmöglich, eine Fuge, die voller technischer pmu_018.029
Mängel ist, als großes Kunstwerk zu bewerten. Jn der Dichtkunst zeigen pmu_018.030
oft sogar Werke allerersten Ranges die auffallendsten technischen Mängel pmu_018.031
und haben doch als große Kunstwerke gewirkt.
pmu_018.032
Wenn wir ganz empirisch vorgehen, so können wir nur ganz allgemein pmu_018.033
sagen: derjenige ist ein Dichter, dem es geglückt ist, Werke zu schaffen, die pmu_018.034
weithin und dauernd als Dichtungen erlebt wurden. Man sieht, eine pmu_018.035
sichere Grenze ist damit nicht gezogen, kann auch nicht gezogen werden, pmu_018.036
da nur ein Gradunterschied besteht. Versuchen wir nun im einzelnen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |